04.04.2022

Vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung: Geschäfts- oder Verfahrensgebühr?

Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats.

BGH v. 24.2.2022 - VII ZR 320/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt - soweit im Revisionsverfahren noch im Streit - die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Klägerin erstellte für von der Beklagten beauftragte Parkettarbeiten eine Teilrechnung vom 30.5.2018 über rd. 3.600 € und eine Schlussrechnung vom 14.6.2018 über weitere rd. 3.900 €. Beide Rechnungen enthielten den Zusatz: "Zahlung: Innerhalb 8 Kalendertagen nach Rechnungsdatum ohne Abzug". Mit E-Mail vom 4.7.2018 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass die beiden angehängten Rechnungen noch unbezahlt seien und bat um Überprüfung und umgehende Überweisung bis spätestens zum 9.7.2018. Mit weiterer E-Mail vom 11.7.2018 setzte die Klägerin der Beklagten eine Frist zur Zahlung der Rechnungen gem. Anlage über insgesamt rd. 7.500 € bis zum 16.7.2018.

Nachdem keine Zahlung erfolgte, beauftragte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten, der die Beklagte am 26.7.2018 mit am selben Tag zugegangenem Schreiben per Fax und E-Mail zur Zahlung der offenen Geldsumme zzgl. Zinsen, vorgerichtlicher Mahnkosten und der Kosten seiner Beauftragung i.H.v. rd. 600 € aufforderte. Am 27.7.2018 zahlte die Beklagte an die Klägerin rd. 3.900 €. Während des anschließend über den Restbetrag einschließlich Zinsen und Kosten eingeleiteten Mahnverfahrens zahlte die Beklagte an die Klägerin am 27.9.2018 weitere 3.570 €. Nach Abgabe des Verfahrens an das AG beantragte die Klägerin zuletzt, die Beklagte zu verurteilen, an sie Zinsen i.H.v. insgesamt rd. 59 €, Mahnkosten von 5 € sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten von rd. 610 € nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen nahm sie die Klage zurück.

AG und LG gaben der Klage statt und verurteilten die Beklagte zur Zahlung von rd. 670 € nebst Zinsen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Die Feststellungen des LG rechtfertigen die Verurteilung der Beklagten nicht.

Dass sich die Beklagte mit der Zahlung der Forderungen aus der Teilrechnung vom 30.5.2018 und der Schlussrechnung vom 14.6.2018 seit dem 17.7.2018 in Verzug befand, wird von der Revision nicht angegriffen und lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Ebenfalls noch zutreffend hat das LG erkannt, dass ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB neben dem Vorliegen von Verzug von weiteren Voraussetzungen abhängt. Zutreffend weist die Revision indes darauf hin, dass die Ersatzfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zudem von Art und Umfang des im Einzelfall erteilten Mandats abhängt.

Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außer- gerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen.

Das LG hat lediglich festgestellt, dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten nach Unterbleiben des Zahlungseingangs beauftragt hat, aber keine Feststellungen zu Art und Umfang des Mandats getroffen. Auf dieser Grundlage kann die Verurteilung keinen Bestand haben.

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