12.06.2024

Wann ist die Bestellung eines Verfahrensbeistands im Verfahren auf Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge erforderlich?

Dem selbst nicht verfahrensfähigen Kind ist zur Wahrung seiner Interessen und zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes ein Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn seine Interessen im familiengerichtlichen Verfahren anderweitig nicht ausreichend gewahrt sind, insbesondere wenn im Verfahren nach § 1674 BGB die Frage, ob den Eltern die Wahrnehmung der Kindesinteressen möglich ist, den Gegenstand des Verfahrens bildet.

OLG Karlsruhe v. 7.6.2024 - 18 WF 59/24
Der Sachverhalt:
Die neunjährige B. reiste Mitte Oktober 2023 ohne ihre Eltern und Geschwister nach Deutschland ein. Sie lebt seitdem bei ihrem Onkel und hat telefonischen Kontakt zu ihren Eltern unter Verwendung des Mobiltelefons ihres Onkels. Mit Schreiben vom 20.10.2023 regte das Jugendamt gegenüber dem Familiengericht die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB und die Bestellung des Onkels zum Vormund der Betroffenen an. Dabei teilte es seine Einschätzung mit, dass die Eltern aufgrund der eingeschränkten Versorgungslage in Syrien sowie fehlender Kenntnisse des deutschen Sprach- und Rechtsraums nicht in der Lage seien, die elterliche Sorge für die Betroffene auszuüben.

Am 30.4.2023 hatten die Eltern dem Onkel eine "islamrechtliche Vormundschaft" für migrations- und passrechtliche Angelegenheiten erteilt. Diese war ab ihrer Ausstellung auf drei Monate befristet. Im Rahmen der persönlichen Anhörung der B. und ihres Onkels am 28.12.2023 teilte der Onkel mit, dass er seinen Bruder in Syrien kontaktieren und diesen um eine vollumfängliche Vollmacht für B bitten werde. Er rechne innerhalb von sechs Wochen mit deren Erhalt.

Mit Beschluss vom 7.3.2024 (25 F 91/23) entschied das AG, von familiengerichtlichen Maßnahmen abzusehen, da die Eltern mithilfe moderner Kommunikationsmittel die elterliche Sorge für die Betroffene von Syrien aus ausüben könnten. Die B. habe nahezu täglich Kontakt zu den Eltern. Die politische Situation im Herkunftsland und die bestehende Sprachbarriere seien für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge unerheblich. Der Beschluss wurde am 13.3.2024 an die B. übermittelt. Dem Jugendamt wurde er am 20.3.2024 zugestellt. Die Anschrift der Eltern ist bislang nicht aktenkundig, der angegriffene Beschluss wurde an sie nicht versandt. Ein Verfahrensbeistand wurde der Betroffenen nicht bestellt.

Mit Schreiben vom 28.3.2024 legte die Betroffene selbst Beschwerde gegen den Beschluss vom 7.3.2024 ein. Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Die Gründe:
Die neunjährige B. ist nicht verfahrensfähig. Nur wer verfahrensfähig ist, kann wirksam Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG einlegen.

Grundsätzlich sind nach bürgerlichem Recht beschränkt geschäftsfähige Personen gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 FamFG nur dann selbst verfahrensfähig, wenn sie für den Gegenstand des Verfahrens nach bürgerlichem Recht als geschäftsfähig anerkannt sind, etwa nach §§ 112 f. BGB, oder soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet haben und in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen, wie etwa ihr Recht zum Widerspruch gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB (Sternal/Sternal, FamFG, 21. Auflage 2023, § 9 Rn. 12). Für das Beschwerdeverfahren sieht § 60 FamFG zudem eine Erweiterung der Verfahrensfähigkeit Minderjähriger auf jene Fälle vor, in denen der Minderjährige ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters selbständig zur Beschwerdeführung befugt ist.

Danach kann ein Kind in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters das Beschwerderecht ausüben, es sei denn, es ist geschäftsunfähig oder hat bei Erlass der Entscheidung das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet. Unter diesen Voraussetzungen ist das Kind nicht nur zur Einlegung der Beschwerde berechtigt, sondern darüber hinaus für das gesamte Beschwerdeverfahren verfahrensfähig (Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Auflage 2024, § 60 FamFG Rn. 6). Somit war eine Verfahrensfähigkeit der neunjährigen Betroffenen unter keinem Gesichtspunkt gegeben. Zwar ist sie gem. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EGBGB i.V.m. § 106 BGB beschränkt geschäftsfähig. Sie ist jedoch weder nach bürgerlichem Recht als für den Gegenstand des Verfahrens geschäftsfähig anerkannt noch hat sie das 14. Lebensjahr vollendet.

Dem selbst nicht verfahrensfähigen Kind ist zur Wahrung seiner Interessen und zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes ein Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn seine Interessen im familiengerichtlichen Verfahren anderweitig nicht ausreichend gewahrt sind, insbesondere wenn im Verfahren nach § 1674 BGB die Frage, ob den Eltern die Wahrnehmung der Kindesinteressen möglich ist, den Gegenstand des Verfahrens bildet. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands kann noch nach Erlass einer Sachentscheidung nachzuholen sein, um einen effektiven Rechtsschutz für das betroffene Kind zu gewährleisten.

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Aufsatz
Alexandra Altrogge
Das Eckpunktepapier zum Kindschaftsrecht - der große Wurf oder doch nur ein Flickenteppich? - Teil 2
FamRB 2024, 215
FAMRB0065320

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