05.12.2023

Warnblinkleuchten allein schließen beim Rückwärtsfahren nicht die Gefährdung aus

Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kann nicht allein durch angeschaltete Warnblinkleuchten ausgeschlossen werden. Der Fahrzeugführer (hier: ein LKW-Fahrer) muss sich beim Rückwärtsfahrern vergewissern, dass sich kein Hindernis im toten Winkel seines Fahrzeugs befindet. Erforderlichenfalls muss er sich von einer anderen Person einweisen lassen.

LG Lübeck v. 14.11.2023 - 9 O 13/23
Der Sachverhalt:
Im Mai 2022 war der Beklagte zu 2) zusammen mit einem Beifahrer in dem LKW der Beklagten zu 1) unterwegs. Der Z. fuhr zur gleichen Zeit im Kombi der Klägerin die Straße in entgegengesetzter Richtung. In seinem Fahrzeug befand sich auch der Zeuge X. als Beifahrer. Bevor der Z. nach rechts in eine Straße einbiegen wollte, fuhr der Beklagte zu 2) seinerseits in den Einmündungsbereich der Straße und kam zunächst leicht schräg zum Stehen. Als der Lkw im Mündungsbereich stand, fuhr der Z. ein Stück um den stehenden Lkw auf dessen Beifahrerseite herum. Der Lkw fuhr dann jedoch rückwärts, wodurch es zu einem Zusammenstoß der Fahrzeuge kam. Dabei wurde das klägerische Fahrzeug beschädigt.

Die Klägerin behauptete, dass an dem Lkw keine Warnblinker, Blinker oder Rundumleuchten eingeschaltet waren, als dieser sich in dem Einmündungsbereich stellte und dort kurzzeitig stehen geblieben war. Der Beklagte zu 2) sei ohne erkennbare Anzeichen rückwärtsgefahren, sodass der Z., der zu dem Zeitpunkt gestanden habe, nicht mehr habe ausweichen können. Die Klägerin hat letztendlich von den Beklagten als Gesamtschuldner die Zahlung von rund 14.426 € gefordert.

Die Beklagten behaupteten, der Beklagte zu 2) habe die Warnblinker und die Rundumleuchte an dem Lkw während des gesamten Manövers eingeschaltet. Auch sei der Schaden geringer als von der Klägerseite angegeben. Sie waren zudem der Ansicht, dass der Z. den Unfall selbst verursacht und allein zu verantworten habe. Die Klägerin sei darüber hinaus ihrer Schadensminderungspflicht nicht nachgekommen, da sie die Reparatur nicht sorgfältig vorbereitet habe, um die Mietwagendauer so kurz wie möglich zu halten.

Das LG gab der Klage teilweise statt.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung i.H.v. 8.625 € gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG. Bei der Abwägung der Verschuldensbeiträge nach § 17 StVG war von einer Haftung der Beklagtenseite i.H.v. 60 % und der Klägerseite i.H.v. 40 % auszugehen.

Auf Seiten der Beklagten lag ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO vor. Hiernach muss sich der Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Erforderlichenfalls muss sich der Fahrzeugführer von einer anderen Person einweisen lassen. Für einen solchen Verstoß spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Dieser ist gegeben, wenn es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren zu einem Zusammenstoß kommt, was hier eindeutig der Fall war.

Der Beweis des ersten Anscheins konnte durch die Beklagtenseite auch nicht erschüttert werden. Zwar hat der Beklagte zu 2) vorgetragen, dass er die Warnblinkleuchten angeschaltet gehabt hätte und somit erkennbar gewesen wäre, dass er habe rangieren wollen. Jedoch bestand trotz dessen die Anforderung, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies konnte aber nicht allein durch angeschaltete Warnblinkleuchten garantiert werden. Es wäre somit erforderlich gewesen, den vorbeifahrenden Verkehr so ausgiebig zu beobachten, dass ausgeschlossen gewesen wäre, dass sich ein Fahrzeug in den rückwärts zu befahrenden Bereich befand. Dies hatte der Beklagte zu 2) jedoch nicht getan. Er hatte das klägerische Fahrzeug zwar wahrgenommen, war dann aber, als er dieses nicht mehr sehen konnte, davon ausgegangen, dass das Fahrzeugs wohl an ihm vorbeigefahren sei. Er hätte sich aber vergewissern müssen, dass sich kein Hindernis im toten Winkel seines Fahrzeugs befindet.

Nach § 17 StVG musste sich die Klägerin das Mitverschulden des Z. entgegenhalten lassen. Durch ein unfallursächliches Mitverschulden eines Fahrers erhöht sich die Betriebsgefahr des Fahrzeugs. Da es hierbei auch nicht darauf ankommt, ob der Fahrer selbst der Halter ist, erfolgt auf diese Weise eine Zurechnung des Verschuldens des Fahrers auf den Halter, die insoweit eine Haftungseinheit bilden. Die Ursache für die Kollision war hier von beiden Beteiligten gesetzt worden. Dem Lkw-Fahrer fiel ein Verstoß gegen § 9 StVO zur Last, der etwas schwerer wiegte als der Verstoß des Kombi-Fahrers gegen die allgemeine Vorsichts- und Rücksichtnahmepflicht. Bei der Haftungsverteilung war auch zu berücksichtigen, dass es sich bei einem LKW aufgrund dessen Unübersichtlichkeit um ein Fahrzeug handelt, dem eine höhere Betriebsgefahr traf. Ein vollständiges zurücktreten des Verstoßes der Klägerin war nicht nach § 17 Abs. 3 StVG anzunehmen, da der Unfall für Z. - selbst bei der Unterstellung, dass der Kombi zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hatte - vermeidbar war.

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