Was rechtfertigt die Verwertungskündigung einer Mietwohnung?
LG Lübeck v. 26.6.2024 - 14 S 38/24
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist seit November 2017 Mieterin der Klägerin. Diese hatte mit Schreiben vom 30.8.2023 das Dauernutzungsverhältnis zum 31.5.2023 gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB wegen Modernisierung und Sanierung der Wohnanlage für einen Zeitraum von planmäßig ca. 18 Monaten kündigt. Im bewohnten Zustand sei eine Sanierung bzw. Modernisierung der Bausubstanz nicht möglich - was zwischen den Parteien unstreitig ist. Insbesondere würde eine komplette Erneuerung der Küchen und Bäder erfolgen, wobei Veränderungen der Wohnungsgrundrisse vorgenommen würden, da die Bäder vergrößert werden sollten. Zudem solle eine Veränderung der Wohnungsgrundrisse zu nahezu barrierefreien Nutzung erfolgen.
Mit E-Mail vom 7.9.2022 bot die Klägerin der Beklagten Alternativwohnungen und im Rahmen von Verhandlungen auch ein Umzugspaket an. Mit E-Mail vom 17.10.2022 widersprach die Beklagte der Kündigung und wandte im Wesentlichen eine nicht hinzunehmende Härte nach § 574 Abs. 2 BGB ein. Das AG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Kündigungsschreiben genüge den formellen Voraussetzungen nach § 573 Abs. 3 S. 1 BGB. Die Beklagte beantragte daraufhin im Berufungsverfahren PKH und Wiedereinsetzung in die Berufungsfristen. Das LG gab den Anträgen statt.
Die Gründe:
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint nicht mutwillig und bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Die mit Schreiben vom 30.8.2023 ausgesprochene Kündigung dürfte formell wirksam sein. In materieller Hinsicht dürften die in der Kündigung angegebenen Kündigungsgründe allerdings den Anforderungen an eine Verwertungskündigung nicht genügen, soweit der Bestand des Dauernutzungsverhältnisses gegen die Durchführbarkeit der von der Klägerin angestrebten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vorgebracht wurde. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses insbesondere dann vor, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.
Bei der Frage, ob ein Vermieter durch die Fortsetzung eines Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird, dürfte nicht allein darauf abzustellen sein, ob eine bewohnte Wohnung der Durchführung der angestrebten Verwertung entgegensteht. Vielmehr ist auch zu bewerten, ob das Mietverhältnis als solches einer Durchführung der Arbeiten entgegensteht. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Mieter nicht bereiterklärt, seine Wohnung vorübergehend zu räumen oder eine vorübergehende Räumung oder eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu angepassten Konditionen aus anderen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sind. Die vorübergehende Räumung der Mietsache muss dem Vermieter insbesondere in finanzieller Hinsicht zumutbar sein. Bei der Zumutbarkeit kommt es auf die Dauer der Unterbringung und auf die Relation der Unterbringungskosten zu den reinen Modernisierungskosten an.
Sowohl die Klägerin als auch das AG beschränkten sich bei der Bewertung, ob eine Hinderung der Verwertung vorliegt, auf die Auswirkungen der streitgegenständlichen Wohnung in bewohntem Zustand. Die Frage, ob es den Parteien möglich und zumutbar gewesen wäre, die Beklagte vorübergehend in einer alternativen Unterkunft unterzubringen, ist in dem Verfahren bislang nicht erörtert worden. Eine derartige Erörterung dürfte auch in der Berufungsinstanz nicht nachzuholen sein, weil es sich bei dieser Frage um einen separaten Kündigungsgrund handelt, der - obschon im Kündigungszeitpunkt vorliegend - in der Kündigung vom 30.8.2022 keine Erwähnung findet und deshalb nach § 573 Abs. 3 S. 2 BGB nicht zu berücksichtigen ist.
Soweit die Kündigung auf eine Veränderung des Wohnungsgrundrisses und damit dem Wegfall des Objekts gestützt wurde, wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu erörtern sein, inwieweit sich dieser Umstand als Grund in der Kündigung widerspiegelt und welchen Umfang die Veränderungen haben. Darüber hinausgehende, nachträglich vorgebrachte Kündigungsgründe dürften gem. § 573 Abs. 3 S. 2 BGB als Kündigungsgründe ausscheiden.
Mehr zum Thema:
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§ 573 Ordentliche Kündigung des Vermieters
Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl.
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Rechtsprechung:
Härtefallprüfung im Räumungsverfahren
BGH vom 13.12.2022 - VIII ZR 96/22
Norbert Monschau, MietRB 2023, 65
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Die Beklagte ist seit November 2017 Mieterin der Klägerin. Diese hatte mit Schreiben vom 30.8.2023 das Dauernutzungsverhältnis zum 31.5.2023 gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB wegen Modernisierung und Sanierung der Wohnanlage für einen Zeitraum von planmäßig ca. 18 Monaten kündigt. Im bewohnten Zustand sei eine Sanierung bzw. Modernisierung der Bausubstanz nicht möglich - was zwischen den Parteien unstreitig ist. Insbesondere würde eine komplette Erneuerung der Küchen und Bäder erfolgen, wobei Veränderungen der Wohnungsgrundrisse vorgenommen würden, da die Bäder vergrößert werden sollten. Zudem solle eine Veränderung der Wohnungsgrundrisse zu nahezu barrierefreien Nutzung erfolgen.
Mit E-Mail vom 7.9.2022 bot die Klägerin der Beklagten Alternativwohnungen und im Rahmen von Verhandlungen auch ein Umzugspaket an. Mit E-Mail vom 17.10.2022 widersprach die Beklagte der Kündigung und wandte im Wesentlichen eine nicht hinzunehmende Härte nach § 574 Abs. 2 BGB ein. Das AG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Kündigungsschreiben genüge den formellen Voraussetzungen nach § 573 Abs. 3 S. 1 BGB. Die Beklagte beantragte daraufhin im Berufungsverfahren PKH und Wiedereinsetzung in die Berufungsfristen. Das LG gab den Anträgen statt.
Die Gründe:
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint nicht mutwillig und bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Die mit Schreiben vom 30.8.2023 ausgesprochene Kündigung dürfte formell wirksam sein. In materieller Hinsicht dürften die in der Kündigung angegebenen Kündigungsgründe allerdings den Anforderungen an eine Verwertungskündigung nicht genügen, soweit der Bestand des Dauernutzungsverhältnisses gegen die Durchführbarkeit der von der Klägerin angestrebten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vorgebracht wurde. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses insbesondere dann vor, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.
Bei der Frage, ob ein Vermieter durch die Fortsetzung eines Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird, dürfte nicht allein darauf abzustellen sein, ob eine bewohnte Wohnung der Durchführung der angestrebten Verwertung entgegensteht. Vielmehr ist auch zu bewerten, ob das Mietverhältnis als solches einer Durchführung der Arbeiten entgegensteht. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Mieter nicht bereiterklärt, seine Wohnung vorübergehend zu räumen oder eine vorübergehende Räumung oder eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu angepassten Konditionen aus anderen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sind. Die vorübergehende Räumung der Mietsache muss dem Vermieter insbesondere in finanzieller Hinsicht zumutbar sein. Bei der Zumutbarkeit kommt es auf die Dauer der Unterbringung und auf die Relation der Unterbringungskosten zu den reinen Modernisierungskosten an.
Sowohl die Klägerin als auch das AG beschränkten sich bei der Bewertung, ob eine Hinderung der Verwertung vorliegt, auf die Auswirkungen der streitgegenständlichen Wohnung in bewohntem Zustand. Die Frage, ob es den Parteien möglich und zumutbar gewesen wäre, die Beklagte vorübergehend in einer alternativen Unterkunft unterzubringen, ist in dem Verfahren bislang nicht erörtert worden. Eine derartige Erörterung dürfte auch in der Berufungsinstanz nicht nachzuholen sein, weil es sich bei dieser Frage um einen separaten Kündigungsgrund handelt, der - obschon im Kündigungszeitpunkt vorliegend - in der Kündigung vom 30.8.2022 keine Erwähnung findet und deshalb nach § 573 Abs. 3 S. 2 BGB nicht zu berücksichtigen ist.
Soweit die Kündigung auf eine Veränderung des Wohnungsgrundrisses und damit dem Wegfall des Objekts gestützt wurde, wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu erörtern sein, inwieweit sich dieser Umstand als Grund in der Kündigung widerspiegelt und welchen Umfang die Veränderungen haben. Darüber hinausgehende, nachträglich vorgebrachte Kündigungsgründe dürften gem. § 573 Abs. 3 S. 2 BGB als Kündigungsgründe ausscheiden.
Kommentierung | BGB
§ 573 Ordentliche Kündigung des Vermieters
Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl.
Kommentierung | BGB
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Rechtsprechung:
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BGH vom 13.12.2022 - VIII ZR 96/22
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