WEG: Zur Inhaltskontrolle einer Gemeinschaftsordnung
BGH v. 20.11.2020 - V ZR 196/19
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Mitglieder einer großen Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Gemeinschaftsordnung (GO), die Bestandteil der Teilungserklärung aus dem Jahr 1990 ist, enthält in Ziff. 13.3 folgende Regelung:
"Für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung genügt die Absendung an die Anschrift, die dem Verwalter von dem Wohnungseigentümer zuletzt mitgeteilt worden ist."
In der Versammlung am 25.9.2015 war ein Beschluss über die Wiederbestellung der bisherigen Verwalterin (Streithelferin) gefasst worden. Die Einladung mit dem TOP 7/15 "Verwalterbestellung zu den bisherigen Vertrags- u. Preiskonditionen" datierte vom 4.9.2015. Mit der Behauptung, die Einladung habe mehrere Wohnungseigentümer nicht oder nicht rechtzeitig erreicht, hatten die Kläger Anfechtungsklage erhoben.
Das AG hat der Klage stattgegeben und den zu TOP 7/15 gefassten Beschluss für ungültig erklärt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Streithelferin hat das LG zurückgewiesen. Auf die Revision der Streithelferin hat der BGH das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe:
Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts richtet sich ins-gesamt nach der in Ziff. 13.3 GO enthaltenen Vereinbarung, ob die Eigentümerversammlung ordnungsmäßig einberufen worden ist; die Klausel bezieht sich nicht nur auf diejenigen Wohnungseigentümer, die einen Wohnsitzwechsel nicht angezeigt haben.
Die hier verwendete Klausel ist in der Praxis gebräuchlich. Sie wird teils ungenau ebenfalls als "Zugangsfiktion" bezeichnet, obwohl sie ihrem Wortlaut nach nicht den Zugang regelt, sondern die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung definiert. Die weit überwiegende Ansicht entnimmt ihr, dass allgemein der Nachweis der rechtzeitigen Absendung für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung ausreichend ist, und hält dies auch für wirksam; dies bezieht sich auf alle Wohnungseigentümer und nicht nur auf diejenigen, die einen Wohnsitzwechsel nicht mitgeteilt haben. Der Senat schließt sich dieser Ansicht an. Die Gemeinschaftsordnung ist Bestandteil der Grundbucheintragung. Ihre Auslegung unterliegt daher vollen Umfangs der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Maßgebend sind ihr Wortlaut und Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt, weil sie auch die Sonderrechtsnachfolger der Wohnungseigentümer bindet.
Die Vereinbarung in Ziff. 13.3 GO ist auch wirksam. Ob die einseitig vorgegebene Gemeinschaftsordnung der AGB-Kontrolle gemäß den §§ 307 ff. BGB unterliegt, wird unterschiedlich beurteilt. Nach nahezu einhelliger Ansicht der auf das Wohnungseigentumsrecht bezogenen Rechtsprechung und Literatur sind die Vorschriften nicht (entsprechend) anwendbar. Von dem teilenden Eigentümer vorgegebene Bestimmungen in der Gemeinschaftsordnung, die in einem spezifischen Zusammenhang mit der einseitigen Aufteilung stehen, unterliegen einer Inhaltskontrolle im Hinblick auf einen Missbrauch der einseitigen Gestaltungsmacht; diese Inhaltskontrolle richtet sich unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls am Maßstab von Treu und Glauben gem. § 242 BGB aus.
Nach diesen Maßstäben sieht der Senat die Klausel im Einklang mit der überwiegenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung als wirksam an. Ein spezifischer Zusammenhang mit der einseitigen Aufteilung ist nicht erkennbar, weil es sich um eine gebräuchliche Klausel handelt, die das dauerhafte Zusammenleben der Wohnungseigentümer regelt und keinen inhaltlichen Bezug zu dem teilenden Eigentümer erkennen lässt. Da das aus § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB analog abgeleitete Zugangserfordernis abdingbar ist, kommt es entscheidend darauf an, ob die Klausel in schwerwiegender Weise in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht als unverzichtbares Mitgliedschaftsrecht eingreift und damit i.S.v. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.
Aus Sicht der einzelnen Wohnungseigentümer hat die Klausel zur Folge, dass ein Wohnungseigentümer, der infolge eines Postfehlers keine Einladung erhält und infolgedessen nicht an der Versammlung teilnehmen kann, allein aus diesem Umstand keinen Beschlussmangel herleiten kann. Das gilt selbst dann, wenn der Wohnungseigentümer den fehlenden Zugang beweisen kann. Denn nur bei einer Zugangsfiktion könnte sich ggf. die - hier nicht zu erörternde - Frage stellen, ob die Fiktion widerleglich ist; darauf kommt es bei der vorliegenden Klausel von vornherein nicht an, weil die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung nur die Absendung und gerade nicht den Zugang voraussetzt.
Demgegenüber gibt es aus Sicht der Gesamtheit der Wohnungseigentümer ein gewichtiges praktisches Bedürfnis für eine Vereinbarung dieser Art. Denn im Prinzip darf der Verwalter darauf vertrauen, dass ein rechtzeitiger Postversand ausreichend ist, damit die Ladungen bei den Empfängern ankommen. Der Zugang der Sendungen lässt sich auf diese Weise aber regelmäßig nicht nachweisen. Also müsste der Verwalter alle Ladungen per Einschreiben oder gar per Boten zustellen lassen. Der damit einhergehende erhebliche Verwaltungs- und Kostenaufwand widerspricht jedoch dem Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer; das gilt umso mehr, als der Beweis für den Inhalt der Sendung selbst bei einer solchen Vorgehensweise nicht erbracht wäre. Die Fassung rechtssicherer Beschlüsse, an der ein elementares Interesse der Wohnungseigentümergemeinschaft besteht, wird daher im Vergleich zu der gesetzlichen Regelung erheblich erleichtert.
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Die Parteien sind Mitglieder einer großen Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Gemeinschaftsordnung (GO), die Bestandteil der Teilungserklärung aus dem Jahr 1990 ist, enthält in Ziff. 13.3 folgende Regelung:
"Für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung genügt die Absendung an die Anschrift, die dem Verwalter von dem Wohnungseigentümer zuletzt mitgeteilt worden ist."
In der Versammlung am 25.9.2015 war ein Beschluss über die Wiederbestellung der bisherigen Verwalterin (Streithelferin) gefasst worden. Die Einladung mit dem TOP 7/15 "Verwalterbestellung zu den bisherigen Vertrags- u. Preiskonditionen" datierte vom 4.9.2015. Mit der Behauptung, die Einladung habe mehrere Wohnungseigentümer nicht oder nicht rechtzeitig erreicht, hatten die Kläger Anfechtungsklage erhoben.
Das AG hat der Klage stattgegeben und den zu TOP 7/15 gefassten Beschluss für ungültig erklärt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Streithelferin hat das LG zurückgewiesen. Auf die Revision der Streithelferin hat der BGH das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gründe:
Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts richtet sich ins-gesamt nach der in Ziff. 13.3 GO enthaltenen Vereinbarung, ob die Eigentümerversammlung ordnungsmäßig einberufen worden ist; die Klausel bezieht sich nicht nur auf diejenigen Wohnungseigentümer, die einen Wohnsitzwechsel nicht angezeigt haben.
Die hier verwendete Klausel ist in der Praxis gebräuchlich. Sie wird teils ungenau ebenfalls als "Zugangsfiktion" bezeichnet, obwohl sie ihrem Wortlaut nach nicht den Zugang regelt, sondern die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung definiert. Die weit überwiegende Ansicht entnimmt ihr, dass allgemein der Nachweis der rechtzeitigen Absendung für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung ausreichend ist, und hält dies auch für wirksam; dies bezieht sich auf alle Wohnungseigentümer und nicht nur auf diejenigen, die einen Wohnsitzwechsel nicht mitgeteilt haben. Der Senat schließt sich dieser Ansicht an. Die Gemeinschaftsordnung ist Bestandteil der Grundbucheintragung. Ihre Auslegung unterliegt daher vollen Umfangs der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Maßgebend sind ihr Wortlaut und Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt, weil sie auch die Sonderrechtsnachfolger der Wohnungseigentümer bindet.
Die Vereinbarung in Ziff. 13.3 GO ist auch wirksam. Ob die einseitig vorgegebene Gemeinschaftsordnung der AGB-Kontrolle gemäß den §§ 307 ff. BGB unterliegt, wird unterschiedlich beurteilt. Nach nahezu einhelliger Ansicht der auf das Wohnungseigentumsrecht bezogenen Rechtsprechung und Literatur sind die Vorschriften nicht (entsprechend) anwendbar. Von dem teilenden Eigentümer vorgegebene Bestimmungen in der Gemeinschaftsordnung, die in einem spezifischen Zusammenhang mit der einseitigen Aufteilung stehen, unterliegen einer Inhaltskontrolle im Hinblick auf einen Missbrauch der einseitigen Gestaltungsmacht; diese Inhaltskontrolle richtet sich unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls am Maßstab von Treu und Glauben gem. § 242 BGB aus.
Nach diesen Maßstäben sieht der Senat die Klausel im Einklang mit der überwiegenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung als wirksam an. Ein spezifischer Zusammenhang mit der einseitigen Aufteilung ist nicht erkennbar, weil es sich um eine gebräuchliche Klausel handelt, die das dauerhafte Zusammenleben der Wohnungseigentümer regelt und keinen inhaltlichen Bezug zu dem teilenden Eigentümer erkennen lässt. Da das aus § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB analog abgeleitete Zugangserfordernis abdingbar ist, kommt es entscheidend darauf an, ob die Klausel in schwerwiegender Weise in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht als unverzichtbares Mitgliedschaftsrecht eingreift und damit i.S.v. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.
Aus Sicht der einzelnen Wohnungseigentümer hat die Klausel zur Folge, dass ein Wohnungseigentümer, der infolge eines Postfehlers keine Einladung erhält und infolgedessen nicht an der Versammlung teilnehmen kann, allein aus diesem Umstand keinen Beschlussmangel herleiten kann. Das gilt selbst dann, wenn der Wohnungseigentümer den fehlenden Zugang beweisen kann. Denn nur bei einer Zugangsfiktion könnte sich ggf. die - hier nicht zu erörternde - Frage stellen, ob die Fiktion widerleglich ist; darauf kommt es bei der vorliegenden Klausel von vornherein nicht an, weil die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung nur die Absendung und gerade nicht den Zugang voraussetzt.
Demgegenüber gibt es aus Sicht der Gesamtheit der Wohnungseigentümer ein gewichtiges praktisches Bedürfnis für eine Vereinbarung dieser Art. Denn im Prinzip darf der Verwalter darauf vertrauen, dass ein rechtzeitiger Postversand ausreichend ist, damit die Ladungen bei den Empfängern ankommen. Der Zugang der Sendungen lässt sich auf diese Weise aber regelmäßig nicht nachweisen. Also müsste der Verwalter alle Ladungen per Einschreiben oder gar per Boten zustellen lassen. Der damit einhergehende erhebliche Verwaltungs- und Kostenaufwand widerspricht jedoch dem Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer; das gilt umso mehr, als der Beweis für den Inhalt der Sendung selbst bei einer solchen Vorgehensweise nicht erbracht wäre. Die Fassung rechtssicherer Beschlüsse, an der ein elementares Interesse der Wohnungseigentümergemeinschaft besteht, wird daher im Vergleich zu der gesetzlichen Regelung erheblich erleichtert.