Wertermittlung für ein unter Einräumung eines Wohnungsrechts übertragenes Grundstück
OLG Celle v. 24.10.2022 - 6 U 11/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger verlangt als Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht Zahlung wegen Verarmung des Schenkers. Die 1951 geborene und am 5.9.2017 verstorbene E. M., die Mutter des Beklagten, war mit ihrem Bruder R. P. je zur ideellen Hälfte Miteigentümer des Grundstücks Am K. in B., das mit einem Zweifamilienhaus bebaut ist. Durch notariellen "Kaufvertrag mit Auflassung" vom 4.4.2012 veräußerte R. P. seine ideelle Hälfte des Grundbesitzes an den Beklagten und dessen Ehefrau N. M.
Mit derselben Urkunde ("Übergabevertrag im Wege der vorweggenommenen Erbfolge") übertrug die Mutter des Beklagten ihre ideelle Hälfte allein auf den Beklagten, der sich verpflichtete, die bestehenden Darlehensschulden abzulösen, für die zwei Grundschulden im Grundbuch eingetragen waren. Der Beklagte und seine Ehefrau räumten der Mutter des Beklagten ein lebenslängliches Wohnungsrecht an der im Erdgeschoss des Hauses gelegenen Wohnung ein, bestehend aus vier Zimmern, Küche, Bad, verbunden mit dem Recht, diese unter Ausschluss des Eigentümers auf ihre Lebenszeit als Wohnung zu benutzen, und die gemeinschaftlichen Räume und Einrichtungen des Hauses mitzubenutzen sowie freies Ein- und Umgangsrecht in Haus, Hof und Garten zu jeder Tages- und Nachtzeit. Schuldrechtlich wurde vereinbart: "§§ 13, 14 ff. Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum BGB werden abbedungen. Das Wohnungsrecht erlischt somit ersatzlos, wenn die Berechtigte, aus welchen Gründen auch immer, das Wohnungsrecht nicht mehr in Person ausübt. Den Berechtigten ist es nicht gestattet, die Ausübung des Wohnungsrecht ganz oder teilweise Dritten zu überlassen."
Im November 2013 wurde bei der Mutter des Beklagten eine rasch fortschreitende Demenzerkrankung diagnostiziert mit der Folge, dass sie nicht mehr in der Lage war, ein selbständiges Leben zu führen. Ab dem 13.11.2013 war sie bis zu ihrem Tod durchgehend in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht, wofür der Kläger ab dem 1.1.2016 Sozialhilfeleistungen für die Mutter des Beklagten i.H.v. insgesamt rd. 14.600 € erbrachte. Mit der Klage hat der Kläger vom Beklagten Erstattung dieses Betrages nebst Zinsen verlangt und vorgetragen, der Verkehrswert des hälftigen Miteigentumsanteils habe mindestens 135.000 € betragen. Abzgl. der auf die Mutter des Beklagten im Innenverhältnis mit ihrem Bruder entfallenden Darlehensrestschuld i.H.v. 61.200 € (50 % von 122.400 €) verbleibe eine Schenkung i.H.v. 73.800 €. Bei der Bewertung des Wohnungsrechts komme es auf den Anspruch zur Löschung der Grundbucheintragung an, weil die Mutter ab dem 13.11.2013 das Wohnungsrecht nicht mehr in Person habe ausüben können. Der Beklagte beantragte Klagabweisung und machte geltend, der Wert des Wohnungsrechts sei anhand der üblichen Kapitalisierungstafeln zu bemessen.
Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger kann von dem Beklagten keine Zahlung verlangen, weil nicht dargelegt ist, dass der Beklagte von seiner Mutter eine Schenkung erhalten hat, die der Kläger als Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht wegen Verarmung des Schenkers herausverlangen könnte.
Gem. § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Schenker von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, soweit der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der notarielle "Übergabevertrag" vom 4.4.2012 eine zumindest teilweise Schenkung der Mutter an den Beklagten enthält. Zum Zeitpunkt der Beurkundung liegt keine Unentgeltlichkeit vor, weil unter Berücksichtigung des Wohnungsrechts die vom Beklagten zu erbringende Gegenleistung zur Tilgung der Darlehensrestschuld i.H.v. 61.200 € höher ist als der Wert der ideellen Grundstückshälfte, die er von seiner Mutter erhalten hat.
Den Grundstückswert hat der Beklagte nicht unbelastet erhalten, sondern bei Bewertung von Leistung und Gegenleistung ist zu berücksichtigen, dass er und seine Ehefrau sich im Rahmen des Vertrages verpflichtet haben, für die Mutter das o. g. lebenslängliche Wohnungsrecht zu bestellen. Dieses Wohnungsrecht stammt nicht allein aus der ideellen Eigentumshälfte der Mutter, die ohne Mitwirkung des Eigentümers der anderen ideellen Grundstückshälfte nicht in der Lage gewesen wäre, ein solches Wohnungsrecht zu bestellen. Insoweit ist die Bestellung des Wohnungsrechts durch den Beklagten unter Mitwirkung seiner Ehefrau zumindest teilweise auch eine Gegenleistung. Im Übrigen mindert sich jedenfalls der Wert des von der Mutter übertragenen Grundbesitzes. Dieses Wohnungsrecht ist mit dem Wert zu berücksichtigen, den es bei Beurkundung des Vertrages hatte. Der Grundstücksübertragung gegen Einräumung eines solchen Rechts wohnt ein Risikofaktor für beide Vertragsteile inne. Dieser darf nicht dadurch umgangen werden, dass nachträglich auf die tatsächliche Entwicklung abgestellt wird.
An der Bewertung des Wohnungsrechts ändert sich nichts dadurch, dass noch im Laufe des Jahres 2013 die 1951 geborene Mutter des Beklagten erkrankte und ab November 2013 bis zu ihrem Tod 2017 durchgehend in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht war, sowie sich an der Bewertung auch nichts ändern würde, wenn die Mutter des Beklagten ihr Wohnungsrecht länger wahrgenommen hätte als statistisch zu erwarten. Wegen des einer Grundstücksübertragung gegen Einräumung eines Wohnungsrechts innewohnenden Risikos der künftigen Entwicklung bleibt der spätere tatsächliche Verlauf zwischen Vertragsschluss und Erlöschen des Wohnungsrechts aufgrund einer Erkrankung oder des Versterbens des Wohnungsrechtsinhabers unberücksichtigt.
Ein angemessener Abschlag von dem sich nach § 14 BewG ergebenden Kapitalisierungsfaktor ist ausnahmsweise dann vorzunehmen, wenn der Wohnungsrechtsinhaber bereits bei Vertragsschluss schwer erkrankt war, daher mit dem baldigen Erlöschen des Wohnungsrechts gerechnet werden musste, dieser Umstand beiden Vertragsschließenden bekannt war, und das Wohnungsrecht auch tatsächlich kurze Zeit nach Vertragsschluss erloschen ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.
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Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz
Der Kläger verlangt als Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht Zahlung wegen Verarmung des Schenkers. Die 1951 geborene und am 5.9.2017 verstorbene E. M., die Mutter des Beklagten, war mit ihrem Bruder R. P. je zur ideellen Hälfte Miteigentümer des Grundstücks Am K. in B., das mit einem Zweifamilienhaus bebaut ist. Durch notariellen "Kaufvertrag mit Auflassung" vom 4.4.2012 veräußerte R. P. seine ideelle Hälfte des Grundbesitzes an den Beklagten und dessen Ehefrau N. M.
Mit derselben Urkunde ("Übergabevertrag im Wege der vorweggenommenen Erbfolge") übertrug die Mutter des Beklagten ihre ideelle Hälfte allein auf den Beklagten, der sich verpflichtete, die bestehenden Darlehensschulden abzulösen, für die zwei Grundschulden im Grundbuch eingetragen waren. Der Beklagte und seine Ehefrau räumten der Mutter des Beklagten ein lebenslängliches Wohnungsrecht an der im Erdgeschoss des Hauses gelegenen Wohnung ein, bestehend aus vier Zimmern, Küche, Bad, verbunden mit dem Recht, diese unter Ausschluss des Eigentümers auf ihre Lebenszeit als Wohnung zu benutzen, und die gemeinschaftlichen Räume und Einrichtungen des Hauses mitzubenutzen sowie freies Ein- und Umgangsrecht in Haus, Hof und Garten zu jeder Tages- und Nachtzeit. Schuldrechtlich wurde vereinbart: "§§ 13, 14 ff. Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum BGB werden abbedungen. Das Wohnungsrecht erlischt somit ersatzlos, wenn die Berechtigte, aus welchen Gründen auch immer, das Wohnungsrecht nicht mehr in Person ausübt. Den Berechtigten ist es nicht gestattet, die Ausübung des Wohnungsrecht ganz oder teilweise Dritten zu überlassen."
Im November 2013 wurde bei der Mutter des Beklagten eine rasch fortschreitende Demenzerkrankung diagnostiziert mit der Folge, dass sie nicht mehr in der Lage war, ein selbständiges Leben zu führen. Ab dem 13.11.2013 war sie bis zu ihrem Tod durchgehend in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht, wofür der Kläger ab dem 1.1.2016 Sozialhilfeleistungen für die Mutter des Beklagten i.H.v. insgesamt rd. 14.600 € erbrachte. Mit der Klage hat der Kläger vom Beklagten Erstattung dieses Betrages nebst Zinsen verlangt und vorgetragen, der Verkehrswert des hälftigen Miteigentumsanteils habe mindestens 135.000 € betragen. Abzgl. der auf die Mutter des Beklagten im Innenverhältnis mit ihrem Bruder entfallenden Darlehensrestschuld i.H.v. 61.200 € (50 % von 122.400 €) verbleibe eine Schenkung i.H.v. 73.800 €. Bei der Bewertung des Wohnungsrechts komme es auf den Anspruch zur Löschung der Grundbucheintragung an, weil die Mutter ab dem 13.11.2013 das Wohnungsrecht nicht mehr in Person habe ausüben können. Der Beklagte beantragte Klagabweisung und machte geltend, der Wert des Wohnungsrechts sei anhand der üblichen Kapitalisierungstafeln zu bemessen.
Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger kann von dem Beklagten keine Zahlung verlangen, weil nicht dargelegt ist, dass der Beklagte von seiner Mutter eine Schenkung erhalten hat, die der Kläger als Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht wegen Verarmung des Schenkers herausverlangen könnte.
Gem. § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Schenker von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, soweit der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der notarielle "Übergabevertrag" vom 4.4.2012 eine zumindest teilweise Schenkung der Mutter an den Beklagten enthält. Zum Zeitpunkt der Beurkundung liegt keine Unentgeltlichkeit vor, weil unter Berücksichtigung des Wohnungsrechts die vom Beklagten zu erbringende Gegenleistung zur Tilgung der Darlehensrestschuld i.H.v. 61.200 € höher ist als der Wert der ideellen Grundstückshälfte, die er von seiner Mutter erhalten hat.
Den Grundstückswert hat der Beklagte nicht unbelastet erhalten, sondern bei Bewertung von Leistung und Gegenleistung ist zu berücksichtigen, dass er und seine Ehefrau sich im Rahmen des Vertrages verpflichtet haben, für die Mutter das o. g. lebenslängliche Wohnungsrecht zu bestellen. Dieses Wohnungsrecht stammt nicht allein aus der ideellen Eigentumshälfte der Mutter, die ohne Mitwirkung des Eigentümers der anderen ideellen Grundstückshälfte nicht in der Lage gewesen wäre, ein solches Wohnungsrecht zu bestellen. Insoweit ist die Bestellung des Wohnungsrechts durch den Beklagten unter Mitwirkung seiner Ehefrau zumindest teilweise auch eine Gegenleistung. Im Übrigen mindert sich jedenfalls der Wert des von der Mutter übertragenen Grundbesitzes. Dieses Wohnungsrecht ist mit dem Wert zu berücksichtigen, den es bei Beurkundung des Vertrages hatte. Der Grundstücksübertragung gegen Einräumung eines solchen Rechts wohnt ein Risikofaktor für beide Vertragsteile inne. Dieser darf nicht dadurch umgangen werden, dass nachträglich auf die tatsächliche Entwicklung abgestellt wird.
An der Bewertung des Wohnungsrechts ändert sich nichts dadurch, dass noch im Laufe des Jahres 2013 die 1951 geborene Mutter des Beklagten erkrankte und ab November 2013 bis zu ihrem Tod 2017 durchgehend in einer vollstationären Pflegeeinrichtung untergebracht war, sowie sich an der Bewertung auch nichts ändern würde, wenn die Mutter des Beklagten ihr Wohnungsrecht länger wahrgenommen hätte als statistisch zu erwarten. Wegen des einer Grundstücksübertragung gegen Einräumung eines Wohnungsrechts innewohnenden Risikos der künftigen Entwicklung bleibt der spätere tatsächliche Verlauf zwischen Vertragsschluss und Erlöschen des Wohnungsrechts aufgrund einer Erkrankung oder des Versterbens des Wohnungsrechtsinhabers unberücksichtigt.
Ein angemessener Abschlag von dem sich nach § 14 BewG ergebenden Kapitalisierungsfaktor ist ausnahmsweise dann vorzunehmen, wenn der Wohnungsrechtsinhaber bereits bei Vertragsschluss schwer erkrankt war, daher mit dem baldigen Erlöschen des Wohnungsrechts gerechnet werden musste, dieser Umstand beiden Vertragsschließenden bekannt war, und das Wohnungsrecht auch tatsächlich kurze Zeit nach Vertragsschluss erloschen ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.
Das Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!