Wiederaufleben einer Forderung: Zweifel des Tatrichters am Vorliegen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners
BGH v. 13.10.2022 - IX ZR 130/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaft auf Zahlung in Anspruch. Mit Vertrag von Juni 2012 gewährte die Klägerin der B. GmbH & Co. KG (Schuldnerin) ein verzinsliches Darlehen i.H.v. 150.000 €, rückzahlbar bis zum 31.10.2012. Der Beklagte, Gesellschafter und Steuerberater der Schuldnerin, verbürgte sich für die Rückzahlung dieses Darlehens einschließlich der Zinsen persönlich und unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage. Neben dem der streitgegenständlichen Bürgschaftsforderung zugrundeliegenden Darlehen über 150.000 € hatte die Klägerin der Schuldnerin bereits im Mai 2012 ein weiteres Darlehen über 250.000 € gewährt, welches zum 30.12.2012 zurückgezahlt werden sollte. Im Juli 2012 hatte die Schuldnerin zudem mit einer dritten Person einen Vertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft mit Wirkung zum 31.12.2012 geschlossen, in dem sich die stille Gesellschafterin zu einer Bareinlage i.H.v. 525.000 € auf ein Konto der Schuldnerin bis spätestens 31.3.2013 verpflichtete.
Am 27.12.2012 leistete die Schuldnerin an die Klägerin eine Teilzahlung auf das durch die Bürgschaft des Beklagten abgesicherte Darlehen i.H.v. 50.000 €. Auf Eigenantrag von September 2014 wurde im März 2015 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Nach Anfechtung der von der Schuldnerin bewirkten Zahlung erstattete die Klägerin im März 2018 dem Insolvenzverwalter die an sie gezahlten 50.000 €. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt sie von dem Beklagten die Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen.
Das LG gab der Klage antragsgemäß statt; das OLG wies sie ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Klägerin kann die begehrte Zahlung von dem Beklagten nicht gem. § 765 Abs. 1 BGB aus der Bürgschaft verlangen.
Die durch die Bürgschaft gesicherte Darlehensverbindlichkeit der Schuldnerin ist infolge der von ihr am 27.12.2012 bewirkten Zahlung an die Klägerin gem. § 362 Abs. 1 BGB i.H.v. 50.000 € erloschen und nach Rückgewähr dieses Betrags an den Insolvenzverwalter im März 2018 nicht gem. § 144 Abs. 1 InsO wiederaufgelebt. Gewährt der Empfänger einer Leistung das Erlangte an den Insolvenzverwalter auf dessen Verlangen zurück, lebt seine Forderung gem. § 144 Abs. 1 InsO nur dann wieder auf, wenn die Leistung tatsächlich anfechtbar war. Rechtsfehlerfrei hat das OLG eine Anfechtbarkeit der in Frage stehenden Zahlung nach § 133 Abs. 1 InsO in der früheren Fassung der Norm verneint, weil es sich nicht von dem Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin hat überzeugen können. Andere Anfechtungstatbestände scheiden von vornherein aus.
Gem. § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt voraus, dass der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als mutmaßliche Folge erkannt und gebilligt hat. Der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners sowie die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon sind allerdings innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven.
Es ist Aufgabe des Tatrichters, die ihm unterbreiteten Hilfstatsachen auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen. Dabei hat er die Rechtsprechung des BGH zu den für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sprechenden Beweisanzeichen zu berücksichtigen. Zu beachten ist, dass solche Tatsachen nur mehr oder weniger gewichtige Indizien darstellen, die eine Gesamtwürdigung durch den Tatrichter nicht entbehrlich machen und nicht schematisch im Sinne einer von dem anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürfen.
Danach ist es nicht zu beanstanden, dass das OLG auf der Grundlage der unstreitigen Tatsachen einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin im Ergebnis nicht hat feststellen können und diesen Umstand seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Mit Recht hat das OLG angenommen, dass der Gläubiger grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung i.S.d. § 144 Abs. 1 InsO, insbesondere für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners, trägt. Der Gläubiger hat nach dieser Bestimmung die Tatsachen, welche die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Anfechtung begründen, darzulegen und zu beweisen.
Ob dann etwas Anderes zu gelten hat, wenn im Anfechtungsprozess die Darlegungs- und Beweislast für einzelne, streitige Tatsachenbehauptungen nicht beim Insolvenzverwalter, sondern beim Anfechtungsgegner läge, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil die von dem OLG seiner Prüfung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zugrunde gelegten Tatsachen allesamt unstreitig sind. Aus dem Sicherungszweck der Bürgschaft ergibt sich nach § 765 Abs. 1 BGB, § 144 Abs. 1 InsO ebenfalls keine abweichende Bewertung. Der Gläubiger des Hauptschuldners trägt im Verhältnis zum Bürgen grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung. Zweifel am Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes gehen zu seinen Lasten.
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Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaft auf Zahlung in Anspruch. Mit Vertrag von Juni 2012 gewährte die Klägerin der B. GmbH & Co. KG (Schuldnerin) ein verzinsliches Darlehen i.H.v. 150.000 €, rückzahlbar bis zum 31.10.2012. Der Beklagte, Gesellschafter und Steuerberater der Schuldnerin, verbürgte sich für die Rückzahlung dieses Darlehens einschließlich der Zinsen persönlich und unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage. Neben dem der streitgegenständlichen Bürgschaftsforderung zugrundeliegenden Darlehen über 150.000 € hatte die Klägerin der Schuldnerin bereits im Mai 2012 ein weiteres Darlehen über 250.000 € gewährt, welches zum 30.12.2012 zurückgezahlt werden sollte. Im Juli 2012 hatte die Schuldnerin zudem mit einer dritten Person einen Vertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft mit Wirkung zum 31.12.2012 geschlossen, in dem sich die stille Gesellschafterin zu einer Bareinlage i.H.v. 525.000 € auf ein Konto der Schuldnerin bis spätestens 31.3.2013 verpflichtete.
Am 27.12.2012 leistete die Schuldnerin an die Klägerin eine Teilzahlung auf das durch die Bürgschaft des Beklagten abgesicherte Darlehen i.H.v. 50.000 €. Auf Eigenantrag von September 2014 wurde im März 2015 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Nach Anfechtung der von der Schuldnerin bewirkten Zahlung erstattete die Klägerin im März 2018 dem Insolvenzverwalter die an sie gezahlten 50.000 €. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt sie von dem Beklagten die Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen.
Das LG gab der Klage antragsgemäß statt; das OLG wies sie ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Klägerin kann die begehrte Zahlung von dem Beklagten nicht gem. § 765 Abs. 1 BGB aus der Bürgschaft verlangen.
Die durch die Bürgschaft gesicherte Darlehensverbindlichkeit der Schuldnerin ist infolge der von ihr am 27.12.2012 bewirkten Zahlung an die Klägerin gem. § 362 Abs. 1 BGB i.H.v. 50.000 € erloschen und nach Rückgewähr dieses Betrags an den Insolvenzverwalter im März 2018 nicht gem. § 144 Abs. 1 InsO wiederaufgelebt. Gewährt der Empfänger einer Leistung das Erlangte an den Insolvenzverwalter auf dessen Verlangen zurück, lebt seine Forderung gem. § 144 Abs. 1 InsO nur dann wieder auf, wenn die Leistung tatsächlich anfechtbar war. Rechtsfehlerfrei hat das OLG eine Anfechtbarkeit der in Frage stehenden Zahlung nach § 133 Abs. 1 InsO in der früheren Fassung der Norm verneint, weil es sich nicht von dem Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin hat überzeugen können. Andere Anfechtungstatbestände scheiden von vornherein aus.
Gem. § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt voraus, dass der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als mutmaßliche Folge erkannt und gebilligt hat. Der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners sowie die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon sind allerdings innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven.
Es ist Aufgabe des Tatrichters, die ihm unterbreiteten Hilfstatsachen auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen. Dabei hat er die Rechtsprechung des BGH zu den für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sprechenden Beweisanzeichen zu berücksichtigen. Zu beachten ist, dass solche Tatsachen nur mehr oder weniger gewichtige Indizien darstellen, die eine Gesamtwürdigung durch den Tatrichter nicht entbehrlich machen und nicht schematisch im Sinne einer von dem anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürfen.
Danach ist es nicht zu beanstanden, dass das OLG auf der Grundlage der unstreitigen Tatsachen einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin im Ergebnis nicht hat feststellen können und diesen Umstand seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Mit Recht hat das OLG angenommen, dass der Gläubiger grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung i.S.d. § 144 Abs. 1 InsO, insbesondere für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners, trägt. Der Gläubiger hat nach dieser Bestimmung die Tatsachen, welche die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Anfechtung begründen, darzulegen und zu beweisen.
Ob dann etwas Anderes zu gelten hat, wenn im Anfechtungsprozess die Darlegungs- und Beweislast für einzelne, streitige Tatsachenbehauptungen nicht beim Insolvenzverwalter, sondern beim Anfechtungsgegner läge, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil die von dem OLG seiner Prüfung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zugrunde gelegten Tatsachen allesamt unstreitig sind. Aus dem Sicherungszweck der Bürgschaft ergibt sich nach § 765 Abs. 1 BGB, § 144 Abs. 1 InsO ebenfalls keine abweichende Bewertung. Der Gläubiger des Hauptschuldners trägt im Verhältnis zum Bürgen grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Anfechtbarkeit der Leistung. Zweifel am Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes gehen zu seinen Lasten.
Rechtsprechung:
Keine unangemessene Benachteiligung des Bürgen durch formularmäßigen Ausschluss der Einrede der Anfechtbarkeit im Bürgschaftsvertrag
BGH vom 25.01.2022 - XI ZR 255/20
ZIP 2022, 418
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