Zerrüttung des Mietverhältnisses: Kein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung ohne (Mit-)Verschulden des anderen Vertragsteils
BGH v. 29.11.2023 - VIII ZR 211/22
Der Sachverhalt:
Die Beklagten sind seit 2011 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Vierzimmerwohnung der Kläger. Die Kläger bewohnen eine Wohnung im Erdgeschoss des Hauses. Seit dem Jahr 2014 kam es zwischen den Parteien zu regelmäßigen Auseinandersetzungen wegen angeblicher beidseitiger Vertragsverletzungen, wie etwa Verstößen gegen die Haus- und Reinigungsordnung, Lärmbelästigungen, fehlerhaftem Befüllen und Abstellen von Mülltonnen sowie Zuparken von Einfahrten.
In einem auch an eine im Haus lebende Familie türkischer Abstammung gerichteten Schreiben erklärten die Kläger - nach den bisherigen Feststellungen inhaltlich unzutreffend -, die Beklagten hätten sich rassistisch über Ausländer geäußert. Im Mai 2020 erstatteten die Beklagten eine Strafanzeige gegen die Kläger wegen Verleumdung, in der sie u.a. angaben, die Kläger hätten behauptet, die Beklagten hätten sich rassistisch über türkischstämmige Mitbürger geäußert. Ferner hätten die Kläger die Mutter des Beklagten aufgrund der Anzahl ihrer Kinder als "asozial" bezeichnet. Die Klägerin habe den Beklagten zudem mit den Worten "Du Penner" beleidigt und sich im Treppenhaus schreiend über das mangelnde Putzverhalten der Beklagten diesen gegenüber geäußert. Darüber hinaus parke die Klägerin die von den Beklagten angemietete Garage regelmäßig absichtlich zu.
Wegen dieser Strafanzeige und des "zerrütteten" Mietverhältnisses erklärten die Kläger mit Schreiben vom 23.11.2020 die außerordentliche fristlose, hilfsweise die fristgemäße Kündigung des Mietverhältnisses.
AG und LG wiesen die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage ab. Die Revision der Kläger hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Soweit die Revision sich dagegen wendet, dass das LG die ordentliche Kündigung für nicht durchgreifend erachtet hat, war das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie unbegründet. Den Klägern steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von diesen angemieteten Wohnung nicht zu. Das LG hat frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die Zerrüttung des Mietverhältnisses und die von den Beklagten gegen die Kläger erstattete Strafanzeige die von den Klägern erklärte außerordentliche fristlose Kündigung nicht rechtfertigen können. Ein wichtiger Kündigungsgrund i.S.d. § 543 Abs. 1 Satz 2, § 569 Abs. 2 BGB ist insofern nicht gegeben.
Nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos gekündigt werden. Ein solcher Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. § 569 Abs. 2 BGB ergänzt dies dahin, dass auch die nachhaltige Störung des Hausfriedens einen solchen wichtigen Grund darstellen kann. Die Beurteilung des LG, wonach die Fortsetzung des Mietverhältnisses den Klägern vorliegend nicht unzumutbar ist, hält einer an diesem Maßstab ausgerichteten Prüfung stand.
Im Wohnraummietrecht reicht eine Zerrüttung des Mietverhältnisses im Sinne einer Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage allein, ohne dass festgestellt werden kann, dass diese zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist, grundsätzlich nicht aus, um einer Mietvertragspartei ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gem. § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen. Von diesen Grundsätzen ist auch das LG ausgegangen und hat dementsprechend ohne Rechtsfehler angenommen, dass vorliegend mangels Feststellbarkeit einer konkreten, für die Zerrüttung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses ursächlich gewordenen Pflichtverletzung der Beklagten weder eine außerordentliche fristlose Kündigung dieses Mietverhältnisses wegen der Störung des Hausfriedens gem. § 543 Abs. 1, § 569 Abs. 2 BGB noch wegen des Vorliegens eines sonstigen wichtigen Grunds i.S.v. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB gerechtfertigt war.
Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht reicht eine solche Zerrüttung allein regelmäßig nicht aus, um den Mietvertragsparteien ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Wohnraummietverhältnisses gem. § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen. Der BGH hat für den Bereich des Gewerberaummietrechts entschieden, dass für eine Mietvertragspartei ein Recht zur fristlosen Kündigung gem. § 543 Abs. 1 BGB in der hier gegebenen Fallgruppe der Zerrüttung nur bestehen kann, wenn infolge des (pflichtwidrigen) Verhaltens des anderen Vertragsteils die Durchführung des Vertrags wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage derart gefährdet ist, dass dem Kündigenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs nicht mehr zugemutet werden kann. Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für den Bereich des Wohnraummietrechts.
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Beurteilung des LG nicht zu beanstanden, dass allein in der hier unstreitig gegebenen Zerrüttung ein wichtiger Grund i.S.v. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gesehen werden kann. Ein hierauf bezogenes pflichtwidriges Verhalten der Beklagten, das zu dieser Zerrüttung zumindest beigetragen hat, lag nach den Feststellungen des LG nicht vor. Eine Verletzung mietvertraglicher Pflichten, welche die außerordentliche fristlose Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses rechtfertigen könnte, ist hier auch nicht in der Erstattung der gegen die Kläger gerichteten Strafanzeige durch die Beklagten zu sehen. Das LG ist frei von Rechtsfehlern davon ausgegangen, dass der von den Beklagten in dieser Strafanzeige gegen die Kläger erhobene zentrale Vorwurf, diese hätten den Beklagten fälschlicherweise rassistische Äußerungen über Ausländer unterstellt, der Wahrheit entsprochen hat, und deshalb eine Verletzung mietvertraglicher Pflichten insofern nicht vorliegt.
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