Zu Deliktszinsen und Annahmeverzug in einem Dieselfall: Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB
BGH v. 29.11.2022 - VI ZR 376/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin erwarb am 18.11.2011 von einem Dritten einen Audi Q5 2.0 TDI Quattro mit einem Kilometerstand von 11.150 km zum Preis von 39.500 €. Die Beklagte ist Herstellerin des in diesem Fahrzeug verbauten Dieselmotors des Typs EA189. Dessen Steuerungssoftware bewirkte, dass eine Prüfungssituation, in der der Abgasausstoß gemessen wird, erkannt und die Abgasaufbereitung für deren Dauer optimiert wurde (Fahrmodus 1). Im normalen Betrieb außerhalb des Prüfstands (Fahrmodus 0) war die genannte Abgasaufbereitung abgeschaltet. Das Kraftfahrt-Bundesamt beanstandete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete den Herstellerkonzern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorschrifts-mäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge herzustellen. Das daraufhin entwickelte Software-Update ließ die Klägerin aufspielen.
Die Klägerin behauptet im Wesentlichen, von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden zu sein. Sie begehrte erstinstanzlich Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 39.500 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.12.2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs, Zahlung von (Delikts-)Zinsen in ausgerechneter Höhe von rd. 12.000 € sowie weiter i.H.v. vier Prozent aus einem Betrag von 39.500 € seit dem 27.12.2018 bis zur Rechtshängigkeit sowie von (Prozess-)Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten aus 39.500 € über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, sowie Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rd. 11.000 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.12.2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs und traf die von der Klägerin begehrte Feststellung des Annahmeverzugs. Auf die Berufung der Klägerin, mit der diese die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von weiteren rd. 28.500 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und zur Zahlung von (Delikts-)Zinsen i.H.v. rd. 11.000 € sowie weiteren vier Prozent aus 39.500 € seit dem 28.12.2018 bis zur Rechtshängigkeit sowie (Prozess-)Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit begehrt hat, änderte das OLG das landgerichtliche Urteil dahingehend ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von rd. 14.000 € nebst (Prozess-)Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.2.2019 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung von (Delikts-)Zinsen i.H.v. vier Prozent auf rd. 11.000 € für die Zeit vom 18.11.2011 bis zum 30.1.2019 verurteilte. Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Berufung der Beklagten wies es zurück.
Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG insoweit auf, als die Beklagte zur Zahlung von Zinsen i.H.v. vier Prozent auf rd. 11.000 € für die Zeit vom 18.11.2011 bis zum 30.1.2019 verurteilt und festgestellt worden ist, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Audi Q5 in Verzug befinde. Der BGH änderte das Urteil des LG auch insoweit ab, als die Beklagte zur Zahlung von Zinsen für den Zeitraum vom 27.12.2018 bis zum 30.1.2019 verurteilt und festgestellt worden ist, dass sie sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde, und wies die Klage auch insoweit ab. Die Berufung der Klägerin wurde auch insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung von Zinsen für die Zeit vom 18.11.2011 bis 30.1.2019 gewandt hatte.
Die Gründe:
Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Zahlung von (Delikts-) Zinsen für die Zeit vom 18.11.2011 bis zum 30.1.2019 zu noch befindet sich die Beklagte im Annahmeverzug.
Nach ständiger, freilich erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung können Deliktszinsen nach § 849 BGB nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte - wie hier - für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält; in diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.
Für den vom OLG angenommenen Annahmeverzug fehlt es an dem nach § 295 BGB erforderlichen wörtlichen Angebot. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung schließt die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus, wobei der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz ist. Zu diesem Zeitpunkt forderte die Klägerin in der unzutreffenden Annahme, sich Nutzungsvorteile nicht auf ihren Schadensersatzanspruch anrechnen lassen zu müssen, noch die Erstattung des gesamten Kaufpreises i.H.v. 39.500 €, wohingegen die tatsächlich berechtigte Forderung, wie zwischen den Parteien inzwischen rechtskräftig feststeht, bei nur rd. 14.000 € lag. Dass sich die Klägerin im Rahmen ihres "Hilfsantrags", mit dem sie immer noch insgesamt rd. 26.000 € verlangt hat, "hilfsweise" Vorteile hat anrechnen lassen, ist dabei ohne Belang; zum einen übersteigt die Forderung der Klägerin auch hier den von der Beklagten tatsächlich geschuldeten Betrag immer noch deutlich, zum anderen ist sie in erster Linie bei ihrer ursprünglichen Forderung geblieben, hat der Beklagten also gerade nicht angeboten, ihr das Fahrzeug gegen Zahlung des reduzierten Schadensersatzbetrags zu übergeben und zu übereignen.
Entgegen der Auffassung des OLG ändert daran auch der Umstand nichts, dass sich die Beklagte mit ihrer eigenen Berufung gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung von rd. 11.000 € Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gewandt hat. Selbst wenn darin, was offenbleiben kann, die Erklärung der Beklagten liegen sollte, die Leistung der Klägerin nicht anzunehmen, führte dies - wie sich § 295 Satz 1 Alt. 1 BGB entnehmen lässt - nicht zur Entbehrlichkeit eines tauglichen wörtlichen Angebots, sondern allein dazu, dass die Klägerin als "Schuldnerin" von Besitz und Eigentum am Pkw eines tatsächlichen Angebots enthoben wäre.
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Aufsatz:
Der Dieselskandal zwischen Unionsrecht und deutschem Haftungsrecht
Thomas Riehm, ZIP 2022, 2309
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BGH online
Die Klägerin erwarb am 18.11.2011 von einem Dritten einen Audi Q5 2.0 TDI Quattro mit einem Kilometerstand von 11.150 km zum Preis von 39.500 €. Die Beklagte ist Herstellerin des in diesem Fahrzeug verbauten Dieselmotors des Typs EA189. Dessen Steuerungssoftware bewirkte, dass eine Prüfungssituation, in der der Abgasausstoß gemessen wird, erkannt und die Abgasaufbereitung für deren Dauer optimiert wurde (Fahrmodus 1). Im normalen Betrieb außerhalb des Prüfstands (Fahrmodus 0) war die genannte Abgasaufbereitung abgeschaltet. Das Kraftfahrt-Bundesamt beanstandete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete den Herstellerkonzern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorschrifts-mäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge herzustellen. Das daraufhin entwickelte Software-Update ließ die Klägerin aufspielen.
Die Klägerin behauptet im Wesentlichen, von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden zu sein. Sie begehrte erstinstanzlich Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 39.500 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.12.2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs, Zahlung von (Delikts-)Zinsen in ausgerechneter Höhe von rd. 12.000 € sowie weiter i.H.v. vier Prozent aus einem Betrag von 39.500 € seit dem 27.12.2018 bis zur Rechtshängigkeit sowie von (Prozess-)Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten aus 39.500 € über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, sowie Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rd. 11.000 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.12.2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs und traf die von der Klägerin begehrte Feststellung des Annahmeverzugs. Auf die Berufung der Klägerin, mit der diese die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von weiteren rd. 28.500 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und zur Zahlung von (Delikts-)Zinsen i.H.v. rd. 11.000 € sowie weiteren vier Prozent aus 39.500 € seit dem 28.12.2018 bis zur Rechtshängigkeit sowie (Prozess-)Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit begehrt hat, änderte das OLG das landgerichtliche Urteil dahingehend ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von rd. 14.000 € nebst (Prozess-)Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.2.2019 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung von (Delikts-)Zinsen i.H.v. vier Prozent auf rd. 11.000 € für die Zeit vom 18.11.2011 bis zum 30.1.2019 verurteilte. Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Berufung der Beklagten wies es zurück.
Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG insoweit auf, als die Beklagte zur Zahlung von Zinsen i.H.v. vier Prozent auf rd. 11.000 € für die Zeit vom 18.11.2011 bis zum 30.1.2019 verurteilt und festgestellt worden ist, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Audi Q5 in Verzug befinde. Der BGH änderte das Urteil des LG auch insoweit ab, als die Beklagte zur Zahlung von Zinsen für den Zeitraum vom 27.12.2018 bis zum 30.1.2019 verurteilt und festgestellt worden ist, dass sie sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde, und wies die Klage auch insoweit ab. Die Berufung der Klägerin wurde auch insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung von Zinsen für die Zeit vom 18.11.2011 bis 30.1.2019 gewandt hatte.
Die Gründe:
Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Zahlung von (Delikts-) Zinsen für die Zeit vom 18.11.2011 bis zum 30.1.2019 zu noch befindet sich die Beklagte im Annahmeverzug.
Nach ständiger, freilich erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung können Deliktszinsen nach § 849 BGB nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte - wie hier - für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält; in diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes.
Für den vom OLG angenommenen Annahmeverzug fehlt es an dem nach § 295 BGB erforderlichen wörtlichen Angebot. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung schließt die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus, wobei der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz ist. Zu diesem Zeitpunkt forderte die Klägerin in der unzutreffenden Annahme, sich Nutzungsvorteile nicht auf ihren Schadensersatzanspruch anrechnen lassen zu müssen, noch die Erstattung des gesamten Kaufpreises i.H.v. 39.500 €, wohingegen die tatsächlich berechtigte Forderung, wie zwischen den Parteien inzwischen rechtskräftig feststeht, bei nur rd. 14.000 € lag. Dass sich die Klägerin im Rahmen ihres "Hilfsantrags", mit dem sie immer noch insgesamt rd. 26.000 € verlangt hat, "hilfsweise" Vorteile hat anrechnen lassen, ist dabei ohne Belang; zum einen übersteigt die Forderung der Klägerin auch hier den von der Beklagten tatsächlich geschuldeten Betrag immer noch deutlich, zum anderen ist sie in erster Linie bei ihrer ursprünglichen Forderung geblieben, hat der Beklagten also gerade nicht angeboten, ihr das Fahrzeug gegen Zahlung des reduzierten Schadensersatzbetrags zu übergeben und zu übereignen.
Entgegen der Auffassung des OLG ändert daran auch der Umstand nichts, dass sich die Beklagte mit ihrer eigenen Berufung gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung von rd. 11.000 € Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gewandt hat. Selbst wenn darin, was offenbleiben kann, die Erklärung der Beklagten liegen sollte, die Leistung der Klägerin nicht anzunehmen, führte dies - wie sich § 295 Satz 1 Alt. 1 BGB entnehmen lässt - nicht zur Entbehrlichkeit eines tauglichen wörtlichen Angebots, sondern allein dazu, dass die Klägerin als "Schuldnerin" von Besitz und Eigentum am Pkw eines tatsächlichen Angebots enthoben wäre.
Aufsatz:
Der Dieselskandal zwischen Unionsrecht und deutschem Haftungsrecht
Thomas Riehm, ZIP 2022, 2309
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Gesellschaftsrecht:
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