Zum Anspruch auf Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB
BGH v. 27.11.2024 - XII ZB 28/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind miteinander verheiratet und leben seit Januar 2020 getrennt. Aus ihrer Ehe ist ein im Jahr 2008 geborener Sohn hervorgegangen. Die Ehegatten sind jeweils zur Hälfte Miteigentümer eines Reihenhauses in M. mit einer Wohnfläche von 145 qm, welches ihnen vor der Trennung als Ehewohnung diente. Im Sommer 2020 verließ der Ehemann (Antragsteller) das Familienheim und siedelte nach W. über. Im Februar 2021 zog der gemeinsame Sohn nach W. zum Ehemann. Mit seinem Antrag nimmt der Ehemann die allein in der Ehewohnung verbliebene Ehefrau auf Zahlung einer mtl. Nutzungsentschädigung von rd. 1.500 € in Anspruch, die er mit Schreiben vom 2.6.2021 erstmals geltend gemacht hat.
Das AG sprach dem Ehemann eine Nutzungsentschädigung von mtl. rd. 700 € für die Zeit ab dem 1.6.2021 zu. Das OLG wies die Beschwerde der Ehefrau zurück. Auf die Beschwerde des Ehemanns setzte es die für die Zeit ab dem 1.6.2021 zu zahlende Nutzungsentschädigung auf mtl. rd. 800 € fest. Auf die Rechtsbeschwerde der Ehefrau hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Ob und in welchem Umfang der in der Wohnung verbliebene Ehegatte einen gestiegenen Wohnwert aus der ungeteilten Nutzung der Ehewohnung zieht, in welchem Umfang der weichende Ehegatte durch den Verlust des Wohnungsbesitzes wirtschaftliche Nachteile erleidet und inwieweit es der Billigkeit entspricht, diese durch eine Nutzungsvergütung zu kompensieren, obliegt einer wertenden Betrachtungsweise des Tatrichters. Bei der nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB erforderlichen Billigkeitsabwägung sind alle Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, zu denen insbesondere auch die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Ehegatten und der gemeinsamen Kinder gehören. Wie das OLG im Ausgangspunkt nicht verkennt, werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten auch durch ihre wechselseitigen unterhaltsrechtlichen Beziehungen bestimmt. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Nutzungsvergütung und den Unterhaltsansprüchen in der Trennungszeit.
In der Rechtsprechung des Senats geklärt ist dabei das Folgende: Begehrt der in der Wohnung verbliebene Ehegatte Trennungsunterhalt oder ist er seinerseits zur Gewährung von Trennungsunterhalt verpflichtet, ist bei der Unterhaltsbemessung der Vorteil mietfreien Wohnens zu berücksichtigen, und zwar entweder als bedarfsdeckendes und seine Bedürftigkeit minderndes Einkommen des Unterhaltsberechtigten oder als unterhaltsrelevantes und seine Leistungsfähigkeit erhöhendes Einkommen des Unterhaltspflichtigen. Ist der Wohnvorteil des in der Ehewohnung verbleibenden Ehegatten auf diese Weise im Rahmen einer Unterhaltsregelung - sei es durch außergerichtliche Verständigung, durch gerichtlichen Vergleich oder durch gerichtliche Entscheidung - familienrechtlich kompensiert worden, kommt daneben schon wegen des Verbots der Doppelverwertung ein Anspruch des weichenden Ehegatten auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Insoweit besteht ein Vorrang der Unterhaltsregelung vor der Nutzungsvergütung, um zwischen den Ehegatten einen angemessenen Ausgleich für den Wohnvorteil zu bewirken.
In Rechtsprechung und Schrifttum uneinheitlich beurteilt wird demgegenüber die Frage, wie sich das Fehlen einer Unterhaltsregelung auf den Anspruch auf Nutzungsentschädigung auswirkt, und zwar insbesondere dann, wenn der in der Wohnung verbliebene Ehegatte geltend macht, durch die Verpflichtung zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung (vermehrt) unterhaltsbedürftig zu werden. Fehlt es an einer solchen Unterhaltsregelung, ist nach Ansicht des Senats bereits im Ehewohnungsverfahren als Kriterium für die nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB gebotene Billigkeitsabwägung in den Blick zu nehmen, ob und ggf. in welcher Größenordnung dem in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten bei summarischer Prüfung im Falle der Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsentschädigung (hypothetische) Ansprüche auf Trennungsunterhalt gegen den weichenden Ehegatten zustehen würden.
Den dargestellten Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Die Ehefrau hat unter Vorlage einer Unterhaltsberechnung behauptet, dass sie selbst bei Zurechnung des vollen Mietwerts der Ehewohnung schon ohne Zahlung der von dem Ehemann verlangten Nutzungsentschädigung unterhaltsbedürftig gewesen sei. Es ist dem Gericht auch in einem Ehewohnungsverfahren anzusinnen, die gebotenen Ermittlungen zu den Einkünften der Beteiligten und den berücksichtigungsfähigen Abzugspositionen durchzuführen und zumindest summarisch die damit zusammenhängenden unterhaltsrechtlichen Beurteilungen anzustellen. Das gilt hier auch für die Beurteilung der zwischen den Beteiligten offensichtlich streitigen Frage, ob die Ehefrau mit ihrer Teilzeitbeschäftigung als Flugbegleiterin und ihrer Nebentätigkeit als Erzieherin im Kindergarten ihrer Erwerbsobliegenheit vollständig genügt.
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Die Beteiligten sind miteinander verheiratet und leben seit Januar 2020 getrennt. Aus ihrer Ehe ist ein im Jahr 2008 geborener Sohn hervorgegangen. Die Ehegatten sind jeweils zur Hälfte Miteigentümer eines Reihenhauses in M. mit einer Wohnfläche von 145 qm, welches ihnen vor der Trennung als Ehewohnung diente. Im Sommer 2020 verließ der Ehemann (Antragsteller) das Familienheim und siedelte nach W. über. Im Februar 2021 zog der gemeinsame Sohn nach W. zum Ehemann. Mit seinem Antrag nimmt der Ehemann die allein in der Ehewohnung verbliebene Ehefrau auf Zahlung einer mtl. Nutzungsentschädigung von rd. 1.500 € in Anspruch, die er mit Schreiben vom 2.6.2021 erstmals geltend gemacht hat.
Das AG sprach dem Ehemann eine Nutzungsentschädigung von mtl. rd. 700 € für die Zeit ab dem 1.6.2021 zu. Das OLG wies die Beschwerde der Ehefrau zurück. Auf die Beschwerde des Ehemanns setzte es die für die Zeit ab dem 1.6.2021 zu zahlende Nutzungsentschädigung auf mtl. rd. 800 € fest. Auf die Rechtsbeschwerde der Ehefrau hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Ob und in welchem Umfang der in der Wohnung verbliebene Ehegatte einen gestiegenen Wohnwert aus der ungeteilten Nutzung der Ehewohnung zieht, in welchem Umfang der weichende Ehegatte durch den Verlust des Wohnungsbesitzes wirtschaftliche Nachteile erleidet und inwieweit es der Billigkeit entspricht, diese durch eine Nutzungsvergütung zu kompensieren, obliegt einer wertenden Betrachtungsweise des Tatrichters. Bei der nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB erforderlichen Billigkeitsabwägung sind alle Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, zu denen insbesondere auch die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Ehegatten und der gemeinsamen Kinder gehören. Wie das OLG im Ausgangspunkt nicht verkennt, werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten auch durch ihre wechselseitigen unterhaltsrechtlichen Beziehungen bestimmt. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Nutzungsvergütung und den Unterhaltsansprüchen in der Trennungszeit.
In der Rechtsprechung des Senats geklärt ist dabei das Folgende: Begehrt der in der Wohnung verbliebene Ehegatte Trennungsunterhalt oder ist er seinerseits zur Gewährung von Trennungsunterhalt verpflichtet, ist bei der Unterhaltsbemessung der Vorteil mietfreien Wohnens zu berücksichtigen, und zwar entweder als bedarfsdeckendes und seine Bedürftigkeit minderndes Einkommen des Unterhaltsberechtigten oder als unterhaltsrelevantes und seine Leistungsfähigkeit erhöhendes Einkommen des Unterhaltspflichtigen. Ist der Wohnvorteil des in der Ehewohnung verbleibenden Ehegatten auf diese Weise im Rahmen einer Unterhaltsregelung - sei es durch außergerichtliche Verständigung, durch gerichtlichen Vergleich oder durch gerichtliche Entscheidung - familienrechtlich kompensiert worden, kommt daneben schon wegen des Verbots der Doppelverwertung ein Anspruch des weichenden Ehegatten auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Insoweit besteht ein Vorrang der Unterhaltsregelung vor der Nutzungsvergütung, um zwischen den Ehegatten einen angemessenen Ausgleich für den Wohnvorteil zu bewirken.
In Rechtsprechung und Schrifttum uneinheitlich beurteilt wird demgegenüber die Frage, wie sich das Fehlen einer Unterhaltsregelung auf den Anspruch auf Nutzungsentschädigung auswirkt, und zwar insbesondere dann, wenn der in der Wohnung verbliebene Ehegatte geltend macht, durch die Verpflichtung zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung (vermehrt) unterhaltsbedürftig zu werden. Fehlt es an einer solchen Unterhaltsregelung, ist nach Ansicht des Senats bereits im Ehewohnungsverfahren als Kriterium für die nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB gebotene Billigkeitsabwägung in den Blick zu nehmen, ob und ggf. in welcher Größenordnung dem in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten bei summarischer Prüfung im Falle der Verpflichtung zur Zahlung von Nutzungsentschädigung (hypothetische) Ansprüche auf Trennungsunterhalt gegen den weichenden Ehegatten zustehen würden.
Den dargestellten Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Die Ehefrau hat unter Vorlage einer Unterhaltsberechnung behauptet, dass sie selbst bei Zurechnung des vollen Mietwerts der Ehewohnung schon ohne Zahlung der von dem Ehemann verlangten Nutzungsentschädigung unterhaltsbedürftig gewesen sei. Es ist dem Gericht auch in einem Ehewohnungsverfahren anzusinnen, die gebotenen Ermittlungen zu den Einkünften der Beteiligten und den berücksichtigungsfähigen Abzugspositionen durchzuführen und zumindest summarisch die damit zusammenhängenden unterhaltsrechtlichen Beurteilungen anzustellen. Das gilt hier auch für die Beurteilung der zwischen den Beteiligten offensichtlich streitigen Frage, ob die Ehefrau mit ihrer Teilzeitbeschäftigung als Flugbegleiterin und ihrer Nebentätigkeit als Erzieherin im Kindergarten ihrer Erwerbsobliegenheit vollständig genügt.
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