05.04.2024

Zum Begriff der "Fluguntauglichkeit" in einer privaten Krankentagegeldversicherung

Stellt eine private Krankentagegeldversicherung die "Fluguntauglicheit" der "Arbeitsunfähigkeit" gleich, ist Krankentagegeld auch während der Dauer eines verpflichtenden behördlichen Prüfungsverfahrens bis zu dem Tag zu zahlen, an dem das Luftfahrtbundesamt die positive Feststellung der wiedererlangten Flugtauglichkeit trifft (entgegen OLG Köln, Urt. v. 17.12.2019 - 9 U 195/18).

OLG Frankfurt a.M. v. 1.3.2024 - 7 U 96/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist von Beruf Flugkapitän. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Krankentagegeldversicherung. Zwischen den Parteien besteht eine private Krankentagegeldversicherung. Es war ein Krankentagegeld i.H.v. 434,69 € pro Tag vereinbart. Das Krankentagegeld war bei bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit zu zahlen. Mitvereinbart waren außerdem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarifbedingungen 2009. In § 1 Teil II Abs. 3 MB/KT war vereinbart, dass bei fliegendem Personal (Piloten, Kabine) die Fluguntauglichkeit gleichbedeutend mit Arbeitsunfähigkeit sein sollte.

Der Kläger war im Januar 2017 an einer Beinvenenthrombose erkrankt und deswegen über sechs Monate arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete für den Zeitraum ab Ablauf der Karenzzeit bis einschließlich zum 25.10.2017 Krankentagegeld i.H.v. 22.193,28 €. Der Kläger legte der Beklagten ein vom Fliegerarzt ausgefülltes Formular der Beklagten vom 24.11.2017 vor, aus dem sich ergab, dass an diesem Tag eine Untersuchung stattgefunden und sich ergeben habe, dass der Kläger weiterhin bis zum 15.12.2017 arbeitsunfähig sei. Zur Frage, ab wann wieder Arbeitsfähigkeit bestehe, gab der Arzt an, dass dies unklar sei, möglicherweise ab Dezember. Das Luftfahrtbundesamt (LBA), das die Flugtauglichkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 als Genehmigungsbehörde zu beurteilen hatte, stellte am 4.12.2017 fest, dass der Kläger flugtauglich nach der Klasse 1 mit Einschränkungen sei, und setzte die Gültigkeitsdauer des Tauglichkeitszeugnisses auf sechs Monate fest.

Die Beklagte erbrachte keine über den 25.10.2017 hinausgehenden Zahlungen, da aus medizinischer Sicht keine Arbeitsunfähigkeit mehr vorläge. Sie hielt eine über diesen Zeitpunkt hinausgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers für nicht nachvollziehbar. Der Kläger widersprach der Leistungseinstellung und behauptete, er sei über den 25.10.2017 hinaus bis zum 15.12.2017 arbeitsunfähig gewesen. Die Beklagte blieb jedoch bei ihrer Leistungseinstellung.

Das LG hat der Klage überwiegend - i.H.v. 17.387,60 € für die Zeit von 40 Tagen vom 25.10.2017 bis zum 4.12.2017 - stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Entscheidung unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 16.952,91 € zu zahlen. Allerdings wurde die Die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Dem Kläger steht nach § 1 Teil II Abs. 3 MB/TK i.V.m. der Krankentagegeldversicherung ein weiteres Krankentagegeld für den Zeitraum ab 26.10.2017 bis 3.12.2017 i.H.v. 16.952,91 zu (39 Tage à 434,69 €) zu. Für den 4.12.2017 besteht entgegen der Auffassung des LG jedoch kein Anspruch auf Krankentagegeld mehr, da der Kläger an diesem Tag bereits wieder flugtauglich war.

Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat den Nachweis erbracht, dass er im genannten Zeitraum aus medizinischer Sicht bedingungsgemäß fluguntauglich gewesen war. Zwar konnte der Kläger den Nachweis nicht allein durch die Vorlage der Bescheinigung des behandelnden Arztes führen. Mit der Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann der Versicherungsnehmer nämlich noch nicht beweisen, dass er bedingungsgemäß arbeitsunfähig war (BGH, Urt. v. 3.5.2000, Az. IV ZR 110/99). Entsprechendes galt im vorliegenden Fall.

Vielmehr ist bei der Berufsgruppe der Piloten für den Befund zur Feststellung der Fluguntauglichkeit die Einschätzung eines sachverständigen Arztes i.S. eines Fliegerarztes oder flugmedizinischen Sachverständigen maßgeblich. Dies ergibt sich gerade aufgrund der speziellen medizinischen Anforderungen, die an die Flugtauglichkeit zu stellen sind. Zwar lässt sich dem Wortlaut der Regelung in § 1 Teil II Abs. 3 MB/KT nicht ausdrücklich entnehmen, dass die Fluguntauglichkeit durch einen entsprechenden formellen Bescheid des LBA nachzuweisen ist. Nach dem Verständnis des versicherten Piloten wird dieser die Regelung aber vor dem Hintergrund des ihm geläufigen Verfahrens zur Feststellung der Flugtauglichkeit sehen und daher erwarten, dass es für den geforderten medizinischen Nachweis der Flugtauglichkeit des üblichen Verfahrens bedarf, bei dem auf der Grundlage eines flugmedizinischen Gutachtens über die Flugtauglichkeit entschieden wird.

Nach diesem Verständnis und in Abweichung vom OLG Köln (Urt. v. 17.12.2019, Az. 9 U 195/18) können Verdienstausfälle, die der Pilot in der Zeit nach einer medizinischen Feststellung der Flugdiensttauglichkeit - diese kann dann nur durch den Fliegerarzt erfolgen - bis zur abschließenden positiven Entscheidung durch das LBA über die Wiedererteilung des Medicals erleidet, nicht dem Versicherungsnehmer aufgebürdet werden. Es hätte der Beklagten freigestanden, ihre Bedingungen insoweit eindeutiger zu fassen. Stellt eine private Krankentagegeldversicherung die "Fluguntauglicheit" der "Arbeitsunfähigkeit" gleich, ist Krankentagegeld auch während der Dauer eines verpflichtenden behördlichen Prüfungsverfahrens bis zu dem Tag zu zahlen, an dem das Luftfahrtbundesamt die positive Feststellung der wiedererlangten Flugtauglichkeit trifft

Die Zulassung der Revision war in Hinblick auf die abweichende Entscheidung des OLG Köln hinsichtlich der Auslegung der Klausel zur Fluguntauglichkeit gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO veranlasst.

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