Zum Begriff der Türnische i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV
BGH v. 27.9.2023 - VIII ZR 117/22
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist seit dem 1.11.2013 Mieterin einer Wohnung des Klägers nebst PKW-Abstellplatz in W. Die Wohnung besteht aus eineinhalb Zimmern, Küche, Flur, Bad, WC, Keller und Terrasse. Im Mietvertrag ist die Wohnfläche mit "ca. 48 m2" angegeben. Die mtl. Nettokaltmiete für die Wohnung i.H.v. anfänglich 440 € erhöht sich nach der getroffenen Staffelmietvereinbarung zum 1. November eines jeden Jahres um 10 €. Die Miete für den Stellplatz beträgt 25 € monatlich. Der Vertrag sieht zudem die Umlage von Heiz- und (sonstigen) Betriebskosten nach der Wohnfläche und die Verpflichtung der Beklagten zu monatlichen Vorauszahlungen auf die Betriebskosten vor.
Die Beklagte minderte die Miete seit Mai 2014 u.a. wegen einer vermeintlichen Wohnflächenunterschreitung von mehr als 10 %; sie zahlte bis Mai 2016 insgesamt rd. 1.800 € weniger Miete. Mit Urteil des AG Pinneberg (83 C 252/14) wurde sie rechtskräftig zur Zahlung dieses Betrags an den Kläger verurteilt. Auch im nachfolgenden Zeitraum ab Juni 2016 zahlte die Beklagte die Miete nicht in der vertraglich vereinbarten Höhe. Mit Schreiben vom 8.3.2018 erklärte der Kläger die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Am 22.6.2018 zahlte die Beklagte den titulierten Betrag i.H.v. 1.800 € an den Kläger. Mit Schreiben vom 27.6.2018 erklärte der Kläger erneut die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs.
Das AG gab der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nebst Stellplatz gerichteten Klage statt. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem LG keinen Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann ein auf die außerordentliche fristlose Kündigung vom 27.6.2018 gestützter Räumungs- und Herausgabeanspruch des Klägers gegen die Beklagte gem. § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht bejaht werden. Die Annahme des LG, der Kläger sei gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB zur Kündigung berechtigt gewesen, weil sich die Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung mit der Entrichtung der Miete i.H.v. mehr als zwei Monatsmieten in Verzug befunden habe, beruht auf einem Rechtsfehler, der dem LG bei der Prüfung unterlaufen ist, ob die Miete für die streitgegenständliche Wohnung - wie die Beklagte geltend macht - wegen einer Abweichung der tatsächlichen von der vereinbarten Wohnfläche gem. § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB gemindert war.
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV im Hinblick auf die Grundflächen der beiden Durchgänge zwischen dem Wohnzimmer und dem Schlafzimmer der streitgegenständlichen Wohnung nicht verneint werden. Nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV bleiben bei der Ermittlung der gem. § 2 WoFlV zur Wohnung gehörenden Grundflächen die Grundflächen von Türnischen außer Betracht. Indessen hat das LG seiner Prüfung, ob im Streitfall die beiden Durchgänge vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer der Wohnung als Türnischen im Sinne der vorgenannten Bestimmung einzuordnen und deshalb nicht zu berücksichtigen sind, ein rechtlich unzutreffendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt.
Eine Türnische im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist eine Öffnung in einer - die Grundfläche eines Raums i.S.v. § 3 Abs. 1 WoFlV begrenzenden - Wand, die einen Durchgang durch diese ermöglicht. Hierbei kommt es entgegen der Ansicht des LG im Hinblick auf den Regelungszweck des § 3 Abs. 3 WoFlV und die Systematik der Wohnflächenverordnung nicht entscheidend darauf an, ob in die Wandöffnung eine Tür oder ein Türrahmen eingebaut ist. Denn der Verordnungsgeber hat den Abzug der in § 3 Abs. 3 WoFlV aufgeführten Grundflächen bestimmter Raumteile bei der Wohnflächenberechnung im Hinblick auf deren geminderten Wohnwert vorgesehen. Diese Bewertung trifft für eine Wandöffnung, die den Zugang zu einem Raum oder den Durchgang zwischen Räumen ermöglicht, unabhängig davon zu, ob sie (zudem) von einem Türrahmen eingefasst ist oder durch eine (vorhandene) Tür verschlossen werden kann. Die Grundfläche einer solchen Wandöffnung weist aufgrund ihrer baulichen Gestaltung grundsätzlich einen eigenen Wohnwert nicht auf, weil sie für eine Nutzung zu Wohnzwecken im Regelfall nicht oder allenfalls gemindert zur Verfügung steht.
Ebenso ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Mieter die betreffende Wandöffnung tatsächlich als Zugangs- oder Durchgangsmöglichkeit nutzt oder ob eine solche Nutzung aus "raumgestalterischer Sicht" sinnvoll ist. Aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit sind die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 WoFlV abstrakt formuliert und ist ihr Vorliegen nicht vom tatsächlichen (Nutzungs-)Verhalten des individuellen Nutzers der Räumlichkeiten abhängig. Ob bei Zugrundelegung des vorgenannten zutreffenden Begriffsverständnisses im Streitfall die beiden Durchgänge zwischen dem Wohnzimmer und dem Schlafzimmer der Wohnung der Beklagten als Türnischen i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV einzuordnen sind, lässt sich aufgrund der bislang vom LG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Denn den bisherigen Feststellungen des LG lässt sich nicht entnehmen, dass die beiden Wandöffnungen in Anbetracht ihrer Ausmaße über die Gestaltung einer Türöffnung wesentlich hinausgingen und deshalb nach herkömmlichem Verständnis, von dem ersichtlich auch der Verordnungsgeber ausgegangen ist, nicht mehr als Türöffnung, sondern etwa als ein größerer Wanddurchbruch anzusehen wären. Der vom LG für maßgeblich gehaltene Umstand, dass es in der Wand zwischen Wohn- und Schlafzimmer nicht nur eine, sondern zwei gleichförmige Öffnungen im Abstand von nur wenigen Metern nebeneinander gibt, schließt für sich genommen die Einordnung der beiden Öffnungen oder auch nur einer der beiden als Türnischen nicht aus. Vor diesem Hintergrund kommt es auf den vom LG herangezogenen Gesichtspunkt, dass die Durchgänge mit schmalen Regalen versehen und auf diese Weise für wohnliche Zwecke genutzt werden könnten, nicht entscheidend an.
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Die Beklagte ist seit dem 1.11.2013 Mieterin einer Wohnung des Klägers nebst PKW-Abstellplatz in W. Die Wohnung besteht aus eineinhalb Zimmern, Küche, Flur, Bad, WC, Keller und Terrasse. Im Mietvertrag ist die Wohnfläche mit "ca. 48 m2" angegeben. Die mtl. Nettokaltmiete für die Wohnung i.H.v. anfänglich 440 € erhöht sich nach der getroffenen Staffelmietvereinbarung zum 1. November eines jeden Jahres um 10 €. Die Miete für den Stellplatz beträgt 25 € monatlich. Der Vertrag sieht zudem die Umlage von Heiz- und (sonstigen) Betriebskosten nach der Wohnfläche und die Verpflichtung der Beklagten zu monatlichen Vorauszahlungen auf die Betriebskosten vor.
Die Beklagte minderte die Miete seit Mai 2014 u.a. wegen einer vermeintlichen Wohnflächenunterschreitung von mehr als 10 %; sie zahlte bis Mai 2016 insgesamt rd. 1.800 € weniger Miete. Mit Urteil des AG Pinneberg (83 C 252/14) wurde sie rechtskräftig zur Zahlung dieses Betrags an den Kläger verurteilt. Auch im nachfolgenden Zeitraum ab Juni 2016 zahlte die Beklagte die Miete nicht in der vertraglich vereinbarten Höhe. Mit Schreiben vom 8.3.2018 erklärte der Kläger die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. Am 22.6.2018 zahlte die Beklagte den titulierten Betrag i.H.v. 1.800 € an den Kläger. Mit Schreiben vom 27.6.2018 erklärte der Kläger erneut die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs.
Das AG gab der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nebst Stellplatz gerichteten Klage statt. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem LG keinen Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann ein auf die außerordentliche fristlose Kündigung vom 27.6.2018 gestützter Räumungs- und Herausgabeanspruch des Klägers gegen die Beklagte gem. § 546 Abs. 1, § 985 BGB nicht bejaht werden. Die Annahme des LG, der Kläger sei gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB zur Kündigung berechtigt gewesen, weil sich die Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung mit der Entrichtung der Miete i.H.v. mehr als zwei Monatsmieten in Verzug befunden habe, beruht auf einem Rechtsfehler, der dem LG bei der Prüfung unterlaufen ist, ob die Miete für die streitgegenständliche Wohnung - wie die Beklagte geltend macht - wegen einer Abweichung der tatsächlichen von der vereinbarten Wohnfläche gem. § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB gemindert war.
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV im Hinblick auf die Grundflächen der beiden Durchgänge zwischen dem Wohnzimmer und dem Schlafzimmer der streitgegenständlichen Wohnung nicht verneint werden. Nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV bleiben bei der Ermittlung der gem. § 2 WoFlV zur Wohnung gehörenden Grundflächen die Grundflächen von Türnischen außer Betracht. Indessen hat das LG seiner Prüfung, ob im Streitfall die beiden Durchgänge vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer der Wohnung als Türnischen im Sinne der vorgenannten Bestimmung einzuordnen und deshalb nicht zu berücksichtigen sind, ein rechtlich unzutreffendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt.
Eine Türnische im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist eine Öffnung in einer - die Grundfläche eines Raums i.S.v. § 3 Abs. 1 WoFlV begrenzenden - Wand, die einen Durchgang durch diese ermöglicht. Hierbei kommt es entgegen der Ansicht des LG im Hinblick auf den Regelungszweck des § 3 Abs. 3 WoFlV und die Systematik der Wohnflächenverordnung nicht entscheidend darauf an, ob in die Wandöffnung eine Tür oder ein Türrahmen eingebaut ist. Denn der Verordnungsgeber hat den Abzug der in § 3 Abs. 3 WoFlV aufgeführten Grundflächen bestimmter Raumteile bei der Wohnflächenberechnung im Hinblick auf deren geminderten Wohnwert vorgesehen. Diese Bewertung trifft für eine Wandöffnung, die den Zugang zu einem Raum oder den Durchgang zwischen Räumen ermöglicht, unabhängig davon zu, ob sie (zudem) von einem Türrahmen eingefasst ist oder durch eine (vorhandene) Tür verschlossen werden kann. Die Grundfläche einer solchen Wandöffnung weist aufgrund ihrer baulichen Gestaltung grundsätzlich einen eigenen Wohnwert nicht auf, weil sie für eine Nutzung zu Wohnzwecken im Regelfall nicht oder allenfalls gemindert zur Verfügung steht.
Ebenso ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Mieter die betreffende Wandöffnung tatsächlich als Zugangs- oder Durchgangsmöglichkeit nutzt oder ob eine solche Nutzung aus "raumgestalterischer Sicht" sinnvoll ist. Aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit sind die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 WoFlV abstrakt formuliert und ist ihr Vorliegen nicht vom tatsächlichen (Nutzungs-)Verhalten des individuellen Nutzers der Räumlichkeiten abhängig. Ob bei Zugrundelegung des vorgenannten zutreffenden Begriffsverständnisses im Streitfall die beiden Durchgänge zwischen dem Wohnzimmer und dem Schlafzimmer der Wohnung der Beklagten als Türnischen i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV einzuordnen sind, lässt sich aufgrund der bislang vom LG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Denn den bisherigen Feststellungen des LG lässt sich nicht entnehmen, dass die beiden Wandöffnungen in Anbetracht ihrer Ausmaße über die Gestaltung einer Türöffnung wesentlich hinausgingen und deshalb nach herkömmlichem Verständnis, von dem ersichtlich auch der Verordnungsgeber ausgegangen ist, nicht mehr als Türöffnung, sondern etwa als ein größerer Wanddurchbruch anzusehen wären. Der vom LG für maßgeblich gehaltene Umstand, dass es in der Wand zwischen Wohn- und Schlafzimmer nicht nur eine, sondern zwei gleichförmige Öffnungen im Abstand von nur wenigen Metern nebeneinander gibt, schließt für sich genommen die Einordnung der beiden Öffnungen oder auch nur einer der beiden als Türnischen nicht aus. Vor diesem Hintergrund kommt es auf den vom LG herangezogenen Gesichtspunkt, dass die Durchgänge mit schmalen Regalen versehen und auf diese Weise für wohnliche Zwecke genutzt werden könnten, nicht entscheidend an.
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