Zum Herausgabeanspruch bei vermachter und anschließend verschenkter Grundstückshälfte
OLG Hamm 9.1.2014, 10 U 10/13Die Erblasser waren Eheleute und Eltern zweier Töchter. Sie besaßen ein Doppelhausgrundstück in Essen. Im Jahr 1990 übertrugen sie der älteren Tochter eine Haushälfte und legten in einem gemeinschaftlichen Testament fest, dass die andere, noch von ihnen bewohnte Haushälfte nach dem Tod des Letztversterbenden ihrer jüngeren Tochter zustehen sollte.
Der Ehemann verstarb im Jahr 1990 und wurde von der überlebenden Ehefrau allein beerbt. Diese wiederum übertrug im Jahr 1993 - nach einem Zerwürfnis mit ihrer jüngeren Tochter und Klägerin - die von ihr weiterhin bewohnte Haushälfte ohne Gegenleistung ihrem Enkel, einem Sohn ihrer älteren Tochter. Sie begründete die Übertragung mit tätlichen Angriffen der jüngeren Tochter auf sie und erklärte, dass sie ihr auch das Pflichtteilsrecht entziehe.
Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2009 verlangte die Klägerin von ihrem Neffen die Übertragung und Herausgabe der Haushälfte. Sie war der Ansicht, ihre Mutter habe die Haushälfte ihrem Enkel schenkweise und in der Absicht übertragen, das bei ihrem Tod der Klägerin zustehende Recht auf die Haushälfte zu beeinträchtigen.
Das LG wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin blieb vor dem OLG erfolglos.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übertragung des Grundbesitzes und Herausgabe der Haushälfte.
Es gibt zwar gesetzliche Vorschriften, nach denen die von einem Erblasser zu seinen Lebzeiten (wirksam) beschenkte Person ihr Geschenk nach dem Eintritt des Erbfalls an den späteren Vertragserben bzw. den in dem gemeinschaftlichen Testament bestimmten Schlusserben oder an den Vermächtnisnehmer herausgeben muss, wenn der Erblasser die Schenkung in der Absicht vorgenommen hat, den späteren Erben oder Vermächtnisnehmer zu beeinträchtigen. Die Voraussetzungen dieser Ansprüche waren aber im vorliegenden Fall nicht feststellbar.
Denn infolge des im Jahr 1990 errichteten gemeinschaftlichen Testaments war die Klägerin nach Auslegung des Inhalts nicht Vertragserbin, sondern nur Vermächtnisnehmerin geworden. Und als Vermächtnisnehmerin steht der Klägerin kein Herausgabeanspruch gegen ihren Neffen zu. Ein solcher setzt nämlich voraus, dass die Klägerin zunächst die Erben ihrer Mutter vergeblich auf einen Ausgleich in Anspruch genommen haben muss. Nach dem Vortrag der Klägerin waren zwar sie und ihre Schwester die Erben ihrer Mutter. Dass sie von ihrer dann vorrangig haftenden Schwester Wertersatz verlangt hatte, trug sie aber bereits nicht konkret vor.
Infolgedessen brauchte auch nicht abschließend entschieden zu werden, ob die Mutter bei der Übertragung des Hausgrundstücks auf den Enkel an das im Jahr 1990 verfügte Vermächtnis gebunden war, da die testamentarische Vermächtnisanordnung in einem Wechselbezug zu ihrer Einsetzung als Alleinerbin gestanden hatte. Nur in diesem Fall konnte sich überhaupt ein Anspruch der Klägerin gegen den Neffen ergeben.