04.02.2021

Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sog. Dieselfall

Der BGH hat sich vorliegend mit dem Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall befasst. Dabei hat er sich u.a. mit der Anrechnung von Nutzungsvorteilen, Aufwendungsersatz, Verzugs- und Deliktszinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten auseinandergesetzt.

BGH v. 19.1.2021 - VI ZR 8/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin erwarb im April 2015 zu einem Preis von rd. 11.700 € von einem Dritten einen Gebrauchtwagen VW Golf Variant 2.0 TDl, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet ist. Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs. Die Fahrleistung beim Erwerb betrug 106.000 km. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Umfang der Stickoxidemissionen des Fahrzeugs hängt davon ab, in welchem Ausmaß Abgase über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt werden. Die das Abgasventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkannte, ob sich das Fahrzeug innerhalb oder außerhalb der Bedingungen des zur Erlangung der Typengenehmigung durchgeführten Testlaufs nach dem NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) befand. Befand sich das Fahrzeug außerhalb der Bedingungen des NEFZ, wurden relativ weniger Abgase in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet, als wenn das Fahrzeug sich innerhalb der Bedingungen des NEFZ befand.

Das Kraftfahrt-Bundesamt verpflichtete die Beklagte, die aus seiner Sicht gem. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung bei allen betroffenen Fahrzeugen mit Dieselmotoren vom Typ EA189 zu entfernen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorschriftsmäßigkeit herzustellen. Ein daraufhin von der Beklagten angebotenes Software-Update wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug im Mai 2019 aufgespielt. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht betrug die Laufleistung 242.000 km.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von rd. 11.700 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.4.2015 Zug um Zug gegen "Rückgabe" des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten ab April 2015, die Erstattung von Aufwendungen (Inspektionskosten etc.) i.H.v. insgesamt rd. 475 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. rd. 1.250 € nebst Zinsen.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr teilweise statt und verurteilte die Beklagte, an die Klägerin rd. 3.500 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen "Rückgabe" des Fahrzeugs zu zahlen. Ferner sprach es die begehrte Feststellung aus (allerdings mit Verzugsbeginn erst im Juni 2017) und verurteilte die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. rd. 400 € nebst Zinsen seit Juli 2017. Wegen der weitergehend geltend gemachten Ansprüche wies es die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat frei von Rechtsfehlern angenommen, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs im Wege der Vorteilsanrechnung um die von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteile i.H.v. rd. 8.200 € zu reduzieren ist. Die insoweit von der Revision erhobenen Einwände, mit der Vorteilsanrechnung würden die Präventionswirkung des Deliktsrechts verfehlt, das Gebot unionsrechtskonformer Rechtsanwendung verletzt, die Beklagte unangemessen entlastet und gesetzliche Wertungen missachtet, greifen nicht durch.

Bei der gem. § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das OLG von folgender Berechnungsformel ausgegangen:

Nutzungsvorteil = Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke seit Erwerb : erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt

Diese Berechnungsmethode ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die vom OLG zugrunde gelegte Gesamtlaufleistungserwartung von 300.000 km wird von der Revision nicht angegriffen und ist schon deshalb revisionsrechtlich hinzunehmen. Der Einwand der Revision, der errechnete Nutzungsvorteil sei zumindest erheblich herabzusetzen, weil die Fahrzeugnutzung rechtlich unzulässig sei, verfängt nicht, da es im Rahmen der Vorteilsausgleichung auf die tatsächlich gezogenen Vorteile ankommt. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Vorteilsanrechnung auch nicht auf den Zeitraum bis zu einem etwaigen Eintritt des Schuldner- oder Annahmeverzugs der Beklagten beschränkt. Die Vorteilsanrechnung basiert darauf, dass die Klägerin mit der fortgesetzten Nutzung des Fahrzeugs einen geldwerten Vorteil erzielt. Ein etwaiger Verzug der Beklagten änderte hieran nichts.

Zutreffend hat das OLG auch den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen i.H.v. insgesamt rd. 475 € verneint. Die Klägerin macht die Gebühren einer Hauptuntersuchung, Inspektionskosten einschließlich Verbrauchsmaterialien (Öl) sowie die Kosten des Austauschs von Verschleißteilen einschließlich der Kosten für einen Service-Ersatzwagen geltend, wobei die letzten dieser Aufwendungen im November 2015 getätigt wurden. Aufwendungen der hier fraglichen Art, die zu den gewöhnlichen Unterhaltungskosten zählen, sind unter den im Streitfall gegebenen Umständen nicht ersatzfähig. Da die Klägerin das Fahrzeug wie vorgesehen genutzt hat, handelt es sich insoweit nicht um vergebliche Aufwendungen.

Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das OLG der Klägerin nur Prozesszinsen gem. §§ 291, 288 BGB ab Klageerhebung zugesprochen hat. Ein weitergehender Zinsanspruch besteht nicht. Insbesondere befand sich die Beklagte nicht mit der Erstattung der Kaufpreissumme in Verzug. Von der Revision wird nicht angegriffen, dass das OLG auch einen Zinsanspruch gem. § 849 BGB zutreffend verneint hat. Schließlich hält das Berufungsurteil den Angriffen der Revision auch insoweit stand, als darin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nur in einer Höhe von rd. 400 € entsprechend einer 1,3 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV-RVG, §§ 13, 14 RVG nebst Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer aus einem Gegenstandswert von rd. 3.500 € entsprechend der Höhe des tatsächlich bestehenden Schadensersatzanspruchs als ersatzfähig angesehen wurden.
BGH online
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