Zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG
BGH v. 15.2.2023 - IV ZR 133/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen auf Vorfinanzierung gerichteten Direktanspruch geltend. Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, beauftragte am 8.10.2010 eine Architektin mit Leistungen betreffend die Teilsanierung und -modernisierung einer Straßenfront, der Giebelseiten einschließlich des Häuserversatzes sowie der Laubengänge bei einem Bauvorhaben. Die Architektin erbrachte Planungs- und Bauüberwachungsarbeiten.
Mit Beschluss vom 13.12.2012 wies das AG Hagen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Architektin mangels Masse ab. Unter dem 4.1.2013 ordnete es hierüber einen Eintrag in das Schuldnerverzeichnis an. Bis zum 16.11.2013 war die Architektin bei der Beklagten berufshaftpflichtversichert. Dem Vertrag lagen "Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Berufshaftpflichtversicherung von Architekten, Bauingenieuren und Beratenden Ingenieuren" (im Folgenden VB) zugrunde. Auszugsweise lauteten diese in Teil C:
"C Ausschlüsse und nicht versicherte Risiken
1. Ausschlüsse
1.1 Berufsspezifische Ausschlüsse
Nicht versichert sind Haftpflichtansprüche wegen Schäden
1.1.2 die der Versicherungsnehmer [...] durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten verursacht hat"
2017 stellte das Bauaufsichtsamt brandschutztechnische Mängel fest. Die Parteien streiten darüber, ob die Voraussetzungen eines Direktanspruchs vorliegen und die Architektin bewusst pflichtwidrig gehandelt hat.
Das LG gab der zuletzt auf Zahlung eines Betrags von 300.000 € gerichteten Klage dem Grunde nach statt. Das OLg wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung hätte das OLG einen Direktanspruch der Klägerin gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 VVG nicht versagen dürfen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG müssen nur bei Bestehen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs vorliegen und können zu einem beliebigen Zeitpunkt vor Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten.
Zu welchem Zeitpunkt die Anforderungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG erfüllt sein müssen, wird allerdings unterschiedlich beurteilt. Nach der überwiegenden und auch vom OLG vertretenen Ansicht müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG bei Klageerhebung oder zumindest während des Rechtsstreits vorliegen. Teilweise wird entsprechend allgemeiner prozessualer Grundsätze auch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt. Nicht ausreichend wäre es insoweit jeweils, wenn ein Insolvenzverfahren bereits vor dem Rechtsstreit beendet worden ist (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 VVG), der Versicherungsnehmer nur zu dieser Zeit unbekannten Aufenthalts war (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VVG) oder - nach Auffassung des OLG - eine Abweisung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse im Rechtsstreit keine Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Versicherungsnehmers mehr indizierte (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 VVG).
Nach der Gegenansicht genügt es für einen Direktanspruch, dass die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG zu einem beliebigen Zeitpunkt vor Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten. Trotz ihres späteren Wegfalls bleibe der Anspruch bestehen. Wegen der in einem gesetzlichen Schuldbeitritt des Versicherers liegenden Rechtsfolge sei nur maßgeblich, ob die Anforderungen bei Vorliegen des Anspruchs des Dritten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt seien. Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Für den gesetzlichen Schuldbeitritt des Versicherers müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG nur bei Bestehen des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt sein. Dies ergibt die Auslegung der Regelung.
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Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen auf Vorfinanzierung gerichteten Direktanspruch geltend. Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, beauftragte am 8.10.2010 eine Architektin mit Leistungen betreffend die Teilsanierung und -modernisierung einer Straßenfront, der Giebelseiten einschließlich des Häuserversatzes sowie der Laubengänge bei einem Bauvorhaben. Die Architektin erbrachte Planungs- und Bauüberwachungsarbeiten.
Mit Beschluss vom 13.12.2012 wies das AG Hagen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Architektin mangels Masse ab. Unter dem 4.1.2013 ordnete es hierüber einen Eintrag in das Schuldnerverzeichnis an. Bis zum 16.11.2013 war die Architektin bei der Beklagten berufshaftpflichtversichert. Dem Vertrag lagen "Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Berufshaftpflichtversicherung von Architekten, Bauingenieuren und Beratenden Ingenieuren" (im Folgenden VB) zugrunde. Auszugsweise lauteten diese in Teil C:
"C Ausschlüsse und nicht versicherte Risiken
1. Ausschlüsse
1.1 Berufsspezifische Ausschlüsse
Nicht versichert sind Haftpflichtansprüche wegen Schäden
1.1.2 die der Versicherungsnehmer [...] durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten verursacht hat"
2017 stellte das Bauaufsichtsamt brandschutztechnische Mängel fest. Die Parteien streiten darüber, ob die Voraussetzungen eines Direktanspruchs vorliegen und die Architektin bewusst pflichtwidrig gehandelt hat.
Das LG gab der zuletzt auf Zahlung eines Betrags von 300.000 € gerichteten Klage dem Grunde nach statt. Das OLg wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung hätte das OLG einen Direktanspruch der Klägerin gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 VVG nicht versagen dürfen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG müssen nur bei Bestehen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs vorliegen und können zu einem beliebigen Zeitpunkt vor Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten.
Zu welchem Zeitpunkt die Anforderungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG erfüllt sein müssen, wird allerdings unterschiedlich beurteilt. Nach der überwiegenden und auch vom OLG vertretenen Ansicht müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG bei Klageerhebung oder zumindest während des Rechtsstreits vorliegen. Teilweise wird entsprechend allgemeiner prozessualer Grundsätze auch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt. Nicht ausreichend wäre es insoweit jeweils, wenn ein Insolvenzverfahren bereits vor dem Rechtsstreit beendet worden ist (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 VVG), der Versicherungsnehmer nur zu dieser Zeit unbekannten Aufenthalts war (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VVG) oder - nach Auffassung des OLG - eine Abweisung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse im Rechtsstreit keine Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Versicherungsnehmers mehr indizierte (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 VVG).
Nach der Gegenansicht genügt es für einen Direktanspruch, dass die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG zu einem beliebigen Zeitpunkt vor Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten. Trotz ihres späteren Wegfalls bleibe der Anspruch bestehen. Wegen der in einem gesetzlichen Schuldbeitritt des Versicherers liegenden Rechtsfolge sei nur maßgeblich, ob die Anforderungen bei Vorliegen des Anspruchs des Dritten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt seien. Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Für den gesetzlichen Schuldbeitritt des Versicherers müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG nur bei Bestehen des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt sein. Dies ergibt die Auslegung der Regelung.
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