Zur Aufhebung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
BGH v. 12.1.2022 - VII ZB 26/21
Der Sachverhalt:
Auf Antrag der Gläubigerin erging durch das AG Coburg - Zentrales Mahngericht - am 17.12.2019 gegen den Schuldner ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung i.H.v. rd. 12.000 €. Gegen den ihm am 21.12.2019 zugestellten Mahnbescheid legte der Schuldner durch seine Prozessbevollmächtigten am 23.12.2019 Widerspruch ein. Da der Widerspruch wegen der Angabe eines unzutreffenden Aktenzeichens an einer Stelle des Schriftsatzes nicht dem Mahnbescheid zugeordnet wurde, erging trotz des vorliegenden Widerspruchs am 29.1.2020 ein Vollstreckungsbescheid, der dem Schuldner am 1.2.2020 zugestellt wurde. Der Schuldner legte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3.2.2020 Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ein und beantragte zugleich, die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid ohne - hilfsweise gegen - Sicherheitsleistung einzustellen und den Rechtsstreit an das Streitgericht abzugeben.
Aufgrund eines Versäumnisses des Gerichts wurde der Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht an die Gläubigerin und damalige Klägerin übermittelt. Über den Einstellungsantrag des Schuldners wurde erst am 9.6.2020 dahingehend entschieden, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid einstweilen ohne Sicherheitsleistung eingestellt werde. In der Zwischenzeit war auf Antrag der Gläubigerin am 26.5.2020 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) gegen den Schuldner erlassen worden, mit dem Forderungen des Schuldners gegenüber der V., namentlich die Ansprüche des Schuldners auf Auszahlung der zu seinen Gunsten bestehenden Guthaben auf sämtlichen Girokonten einschließlich der Ansprüche auf Gutschrift der eingehenden Beträge, gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wurden.
Gegen den PfÜB legte der Schuldner am 10.6.2020 Erinnerung ein und beantragte, diesen aufzuheben. Mit Beschluss vom 15.6.2020 hob das AG - Vollstreckungsgericht - den PfÜB vom 26.5.2020 auf und stellte die Vollstreckung aus dem PfÜB bis zur Rechtskraft der Entscheidung einstweilen ohne Sicherheitsleistung ein. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin wies das LG zurück. Während des Beschwerdeverfahrens wurden mit Beschluss des LG Amberg vom 9.7.2020 die Vollstreckungsmaßregeln aus dem Vollstreckungsbescheid vom 29.1.2020 gegen Sicherheitsleistung aufgehoben. Die Sicherheit wurde bislang nicht geleistet.
Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin hob der BGH die Beschlüsse von AG (vom 15.6.2020) und LG (vom 24.3.2021) auf und wies die Erinnerung des Schuldners gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG (vom 26.5.2020) zurück.
Die Gründe:
Das LG geht zunächst zu Recht und mit zutreffender Begründung davon aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 776 Satz 2 ZPO, unter denen eine Aufhebung des PfÜB in Betracht kommt, nicht vorliegen. Weder hat das Prozessgericht mit der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid im Beschluss vom 9.6.2020 eine Aufhebung der bisherigen Vollstreckungshandlungen angeordnet noch hat der Schuldner die Sicherheit geleistet, die nach dem weiteren Beschluss des Prozessgerichts vom 9.7.2020 Bedingung für die Aufhebung der bisherigen Vollstreckungshandlungen ist.
Die weitere Erwägung des LG, der PfÜB vom 26.5.2020 sei dennoch aufzuheben, weil der Schuldner so zu stellen sei, als wäre über seinen Antrag vom 3.2.2020 auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid zeitnah und somit vor Erlass des PfÜB entschieden worden, entbehrt demgegenüber jeglicher gesetzlichen Grundlage und ist daher nicht haltbar. Der Rechtspfleger hat im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren vor Erlass eines PfÜB lediglich zu prüfen, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und keine Vollstreckungshindernisse bestehen.
Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, insbesondere ein vollstreckbarer Titel, lagen bei Erlass des PfÜB am 26. Mai 2020 vor. Dieses Ergebnis kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass bei einem hypothetischen Geschehensablauf eine für den Schuldner günstige Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid noch rechtzeitig ergangen wäre, die dem Erlass des PfÜB entgegengestanden hätte. Dem Beschluss auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt auch in einem Fall, in dem verfahrensfehlerhaft nicht zeitnah über den Antrag des Schuldners entschieden wird, mangels dahingehender gesetzlicher Anordnung keine Rückwirkung zu. Unerheblich ist darüber hinaus, ob der Vollstreckungsbescheid vom 29.1.2020 prozessual zu Recht ergangen ist oder nicht.
Der Rechtspfleger, der über den Antrag der Gläubigerin vom 25.3.2020 auf Erlass eines PfÜB zu entscheiden hatte, hatte zudem nicht die Pflicht, sich vor Entscheidung über den Antrag der Gläubigerin zu erkundigen, ob ein Einstellungsantrag des Schuldners vorlag, über den noch entschieden werden musste. Der für den Erlass des PfÜB zuständige Rechtspfleger könnte im Übrigen auch bei entsprechender Kenntnis nicht selbständig darüber befinden, wie das Prozessgericht über einen noch unerledigten Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung entscheiden werde oder müsste.
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Auf Antrag der Gläubigerin erging durch das AG Coburg - Zentrales Mahngericht - am 17.12.2019 gegen den Schuldner ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung i.H.v. rd. 12.000 €. Gegen den ihm am 21.12.2019 zugestellten Mahnbescheid legte der Schuldner durch seine Prozessbevollmächtigten am 23.12.2019 Widerspruch ein. Da der Widerspruch wegen der Angabe eines unzutreffenden Aktenzeichens an einer Stelle des Schriftsatzes nicht dem Mahnbescheid zugeordnet wurde, erging trotz des vorliegenden Widerspruchs am 29.1.2020 ein Vollstreckungsbescheid, der dem Schuldner am 1.2.2020 zugestellt wurde. Der Schuldner legte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3.2.2020 Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ein und beantragte zugleich, die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid ohne - hilfsweise gegen - Sicherheitsleistung einzustellen und den Rechtsstreit an das Streitgericht abzugeben.
Aufgrund eines Versäumnisses des Gerichts wurde der Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht an die Gläubigerin und damalige Klägerin übermittelt. Über den Einstellungsantrag des Schuldners wurde erst am 9.6.2020 dahingehend entschieden, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid einstweilen ohne Sicherheitsleistung eingestellt werde. In der Zwischenzeit war auf Antrag der Gläubigerin am 26.5.2020 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) gegen den Schuldner erlassen worden, mit dem Forderungen des Schuldners gegenüber der V., namentlich die Ansprüche des Schuldners auf Auszahlung der zu seinen Gunsten bestehenden Guthaben auf sämtlichen Girokonten einschließlich der Ansprüche auf Gutschrift der eingehenden Beträge, gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wurden.
Gegen den PfÜB legte der Schuldner am 10.6.2020 Erinnerung ein und beantragte, diesen aufzuheben. Mit Beschluss vom 15.6.2020 hob das AG - Vollstreckungsgericht - den PfÜB vom 26.5.2020 auf und stellte die Vollstreckung aus dem PfÜB bis zur Rechtskraft der Entscheidung einstweilen ohne Sicherheitsleistung ein. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin wies das LG zurück. Während des Beschwerdeverfahrens wurden mit Beschluss des LG Amberg vom 9.7.2020 die Vollstreckungsmaßregeln aus dem Vollstreckungsbescheid vom 29.1.2020 gegen Sicherheitsleistung aufgehoben. Die Sicherheit wurde bislang nicht geleistet.
Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin hob der BGH die Beschlüsse von AG (vom 15.6.2020) und LG (vom 24.3.2021) auf und wies die Erinnerung des Schuldners gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG (vom 26.5.2020) zurück.
Die Gründe:
Das LG geht zunächst zu Recht und mit zutreffender Begründung davon aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 776 Satz 2 ZPO, unter denen eine Aufhebung des PfÜB in Betracht kommt, nicht vorliegen. Weder hat das Prozessgericht mit der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid im Beschluss vom 9.6.2020 eine Aufhebung der bisherigen Vollstreckungshandlungen angeordnet noch hat der Schuldner die Sicherheit geleistet, die nach dem weiteren Beschluss des Prozessgerichts vom 9.7.2020 Bedingung für die Aufhebung der bisherigen Vollstreckungshandlungen ist.
Die weitere Erwägung des LG, der PfÜB vom 26.5.2020 sei dennoch aufzuheben, weil der Schuldner so zu stellen sei, als wäre über seinen Antrag vom 3.2.2020 auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid zeitnah und somit vor Erlass des PfÜB entschieden worden, entbehrt demgegenüber jeglicher gesetzlichen Grundlage und ist daher nicht haltbar. Der Rechtspfleger hat im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren vor Erlass eines PfÜB lediglich zu prüfen, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und keine Vollstreckungshindernisse bestehen.
Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, insbesondere ein vollstreckbarer Titel, lagen bei Erlass des PfÜB am 26. Mai 2020 vor. Dieses Ergebnis kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass bei einem hypothetischen Geschehensablauf eine für den Schuldner günstige Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid noch rechtzeitig ergangen wäre, die dem Erlass des PfÜB entgegengestanden hätte. Dem Beschluss auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt auch in einem Fall, in dem verfahrensfehlerhaft nicht zeitnah über den Antrag des Schuldners entschieden wird, mangels dahingehender gesetzlicher Anordnung keine Rückwirkung zu. Unerheblich ist darüber hinaus, ob der Vollstreckungsbescheid vom 29.1.2020 prozessual zu Recht ergangen ist oder nicht.
Der Rechtspfleger, der über den Antrag der Gläubigerin vom 25.3.2020 auf Erlass eines PfÜB zu entscheiden hatte, hatte zudem nicht die Pflicht, sich vor Entscheidung über den Antrag der Gläubigerin zu erkundigen, ob ein Einstellungsantrag des Schuldners vorlag, über den noch entschieden werden musste. Der für den Erlass des PfÜB zuständige Rechtspfleger könnte im Übrigen auch bei entsprechender Kenntnis nicht selbständig darüber befinden, wie das Prozessgericht über einen noch unerledigten Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung entscheiden werde oder müsste.
- Rechtsprechung: BGH vom 29.09.2021, VII ZB 25/20 - Vollmachtsnachweis beim vereinfachten Vollstreckungsantrag (MDR 2022, 121)
- Rechtsprechung: BGH vom 10.06.2021, IX ZR 90/20 - PfÜB: Mitvollstreckung sämtlicher Zustellungskosten (MDR 2021, 1289)
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