Zur Auslegung des § 259 ZPO bei Klagen auf Verurteilung zur künftigen Räumung von Wohnraum
BGH v. 25.10.2022 - VIII ZB 58/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten nach übereinstimmender Erledigungserklärung noch um die Kosten eines Räumungsrechtsstreits. Die Kläger hatten am 23.6.2020 als Vermieter das mit dem Beklagten bestehende Wohnraummietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31.3.2021 gekündigt. Der Beklagte widersprach der Kündigung und teilte mit, dass er zwar seit Erhalt der Kündigung auf Wohnungssuche sei, eine Ersatzwohnung jedoch noch nicht gefunden habe. Sollte sich hieran etwas ändern, werde er dies mitteilen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre er hingegen mit Ablauf des 31.3.2021 obdachlos, so dass eine nicht zu rechtfertigende Härte i.S.v. § 574 Abs. 2 BGB vorliege.
Während des Verfahrens vor dem AG teilte der Beklagte mit, dass er zwischenzeitlich eine geeignete Wohnung gefunden habe und die Parteien deshalb eine Rückgabe der Wohnung für den 31.3.2021 vereinbart hätten, die schließlich auch an diesem Tag erfolgte. Das AG hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Auf dessen sofortige Beschwerde hat das LG die Entscheidung abgeändert und die Kläger mit den Kosten des Rechtsstreits belastet. Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger hat der BGH die Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe:
Das LG ist bei seiner Billigkeitsentscheidung von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Die vorgenommene Auslegung des § 259 ZPO bei Klagen auf Verurteilung zur künftigen Räumung von Wohnraum mit verschiedenen Differenzierungen ist auch in der Instanzrechtsprechung und Literatur anzutreffen. Nach dieser Ansicht sollen die Voraussetzungen der Vorschrift nur dann gegeben sein, wenn der Mieter durch ein ernstliches Bestreiten des Kündigungsgrunds eindeutig zu erkennen gebe, dass er zu einer fristgerechten Räumung nicht gewillt sei. Hingegen genüge es für die Annahme einer Besorgnis i.S.d. Vorschrift nicht, wenn der Mieter den Vermieter im Rahmen eines Widerspruchs gegen die Kündigung oder auf andere Weise auf Schwierigkeiten bei der Suche nach Ersatzwohnraum hinweise.
Eine solche, die gesetzliche Klagemöglichkeit des Vermieters von Wohnraum einschränkende Auslegung des § 259 ZPO, ist abzulehnen. Denn auch in den Fällen des Widerspruchs eines Wohnraummieters gegen die Kündigung des Mietverhältnisses (§§ 574 ff. BGB) kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Vermieter aufgrund der Erklärung oder des sonstigen Verhaltens des Mieters davon ausgehen musste, dieser werde zu einer Räumung und Herausgabe der Mieträume im Zeitpunkt der (vom Vermieter geltend gemachten) Beendigung des Mietverhältnisses nicht bereit sein. Das nach dem Wortlaut des § 259 ZPO erforderliche "Sich-Entziehen" des Schuldners hinsichtlich seiner Leistungspflicht ist auch dann zu besorgen, wenn der Mieter deutlich gemacht hat, er werde mangels Verfügbarkeit von Ersatzwohnraum über den Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses hinaus in der Wohnung des Vermieters verbleiben. Auch in diesem Fall hat er die Nichterfüllung der Leistungspflicht in seinen Willen aufgenommen.
Die für ein "Sich-Entziehen" erforderliche Ursächlichkeit des Willens des Schuldners für das Ausbleiben der rechtzeitigen Leistung ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch dann gegeben, wenn ein Mieter seinen Verbleib in den Mieträumen trotz der Beendigung des Mietverhältnisses ankündigt, weil ihm Ersatzwohnraum nicht zur Verfügung steht. Unerheblich ist es zudem, ob sich der Mieter zu dem angekündigten Verhalten berechtigt halten durfte. Seine Motive für die fehlende Bereitschaft zur Leistung bei Fälligkeit sind allenfalls insoweit von Bedeutung, als sie dem Vermieter einen Rückschluss auf die Absicht des Schuldners und deren Ernsthaftigkeit erlauben. Da nach dem Wortlaut die Besorgnis einer nicht rechtzeitigen Leistung genügt, muss der Vermieter aus den ihm erkennbaren Umständen allerdings auch keine Gewissheit über den Willen des Mieters erlangt haben.
Ob der Beklagte noch rechtzeitig eine Ersatzwohnung finden würde, nachdem seine bereits mehr als sieben Monate seit der Kündigung andauernde Wohnungssuche bis dahin erfolglos geblieben war, war ungewiss. Der Beklagte hatte in seinem Schreiben auch nur in Aussicht gestellt, die Kläger bei etwaigen Änderungen der aktuellen Situation zu informieren. Unter diesen Umständen war es den Klägern nicht zuzumuten, mit der Anrufung des Gerichts bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist abzuwarten, nur um nach Eintritt der Fälligkeit des Räumungsanspruchs, falls der Beklagte wie von ihm angekündigt mangels einer neuen Wohnung in den Mieträumen verblieb, doch noch zu einer gerichtlichen Geltendmachung gezwungen zu sein. Die Kläger befanden sich damit in der Lage, in der nach dem Willen des Gesetzgebers einem Gläubiger wegen der Gefährdung seines Anspruchs die Klage auf Verurteilung des Schuldners zu künftiger Leistung eröffnet sein sollte. Die Zulässigkeit der von den Klägern erhobenen Räumungsklage konnte deshalb nicht mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 259 ZPO verneint werden.
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Die Parteien streiten nach übereinstimmender Erledigungserklärung noch um die Kosten eines Räumungsrechtsstreits. Die Kläger hatten am 23.6.2020 als Vermieter das mit dem Beklagten bestehende Wohnraummietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31.3.2021 gekündigt. Der Beklagte widersprach der Kündigung und teilte mit, dass er zwar seit Erhalt der Kündigung auf Wohnungssuche sei, eine Ersatzwohnung jedoch noch nicht gefunden habe. Sollte sich hieran etwas ändern, werde er dies mitteilen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre er hingegen mit Ablauf des 31.3.2021 obdachlos, so dass eine nicht zu rechtfertigende Härte i.S.v. § 574 Abs. 2 BGB vorliege.
Während des Verfahrens vor dem AG teilte der Beklagte mit, dass er zwischenzeitlich eine geeignete Wohnung gefunden habe und die Parteien deshalb eine Rückgabe der Wohnung für den 31.3.2021 vereinbart hätten, die schließlich auch an diesem Tag erfolgte. Das AG hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Auf dessen sofortige Beschwerde hat das LG die Entscheidung abgeändert und die Kläger mit den Kosten des Rechtsstreits belastet. Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger hat der BGH die Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
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Eine solche, die gesetzliche Klagemöglichkeit des Vermieters von Wohnraum einschränkende Auslegung des § 259 ZPO, ist abzulehnen. Denn auch in den Fällen des Widerspruchs eines Wohnraummieters gegen die Kündigung des Mietverhältnisses (§§ 574 ff. BGB) kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Vermieter aufgrund der Erklärung oder des sonstigen Verhaltens des Mieters davon ausgehen musste, dieser werde zu einer Räumung und Herausgabe der Mieträume im Zeitpunkt der (vom Vermieter geltend gemachten) Beendigung des Mietverhältnisses nicht bereit sein. Das nach dem Wortlaut des § 259 ZPO erforderliche "Sich-Entziehen" des Schuldners hinsichtlich seiner Leistungspflicht ist auch dann zu besorgen, wenn der Mieter deutlich gemacht hat, er werde mangels Verfügbarkeit von Ersatzwohnraum über den Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses hinaus in der Wohnung des Vermieters verbleiben. Auch in diesem Fall hat er die Nichterfüllung der Leistungspflicht in seinen Willen aufgenommen.
Die für ein "Sich-Entziehen" erforderliche Ursächlichkeit des Willens des Schuldners für das Ausbleiben der rechtzeitigen Leistung ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch dann gegeben, wenn ein Mieter seinen Verbleib in den Mieträumen trotz der Beendigung des Mietverhältnisses ankündigt, weil ihm Ersatzwohnraum nicht zur Verfügung steht. Unerheblich ist es zudem, ob sich der Mieter zu dem angekündigten Verhalten berechtigt halten durfte. Seine Motive für die fehlende Bereitschaft zur Leistung bei Fälligkeit sind allenfalls insoweit von Bedeutung, als sie dem Vermieter einen Rückschluss auf die Absicht des Schuldners und deren Ernsthaftigkeit erlauben. Da nach dem Wortlaut die Besorgnis einer nicht rechtzeitigen Leistung genügt, muss der Vermieter aus den ihm erkennbaren Umständen allerdings auch keine Gewissheit über den Willen des Mieters erlangt haben.
Ob der Beklagte noch rechtzeitig eine Ersatzwohnung finden würde, nachdem seine bereits mehr als sieben Monate seit der Kündigung andauernde Wohnungssuche bis dahin erfolglos geblieben war, war ungewiss. Der Beklagte hatte in seinem Schreiben auch nur in Aussicht gestellt, die Kläger bei etwaigen Änderungen der aktuellen Situation zu informieren. Unter diesen Umständen war es den Klägern nicht zuzumuten, mit der Anrufung des Gerichts bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist abzuwarten, nur um nach Eintritt der Fälligkeit des Räumungsanspruchs, falls der Beklagte wie von ihm angekündigt mangels einer neuen Wohnung in den Mieträumen verblieb, doch noch zu einer gerichtlichen Geltendmachung gezwungen zu sein. Die Kläger befanden sich damit in der Lage, in der nach dem Willen des Gesetzgebers einem Gläubiger wegen der Gefährdung seines Anspruchs die Klage auf Verurteilung des Schuldners zu künftiger Leistung eröffnet sein sollte. Die Zulässigkeit der von den Klägern erhobenen Räumungsklage konnte deshalb nicht mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 259 ZPO verneint werden.
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