07.04.2021

Zur Aussetzung des Rechtsstreits wegen Vorgreiflichkeit im Urkundenprozess

§ 148 ZPO gilt auch im Urkundenprozess. Während des Urkundsverfahrens ist indes eine Aussetzung der Verhandlung bei Vorgreiflichkeit nicht die Regel, sondern nur unter besonderen Umständen angemessen, weil sonst der Zweck der Verfahrensart, dem Kläger schnell einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen, leicht vereitelt werden könnte.

BGH v. 9.3.2021 - II ZB 16/20
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Mitgesellschafter einer GmbH. Die Klägerin nimmt die Beklagte im Urkundenprozess auf Zahlung einer Vertragsstrafe von 8 Mio. € aus einer notariell beurkundeten Vereinbarung in Anspruch. Die Beklagte erhob in einem Parallelverfahren eine Klage gegen die Klägerin, u.a. mit dem Ziel, die Nichtigkeit der der Vertragsstrafe zugrundeliegenden Vereinbarung feststellen zu lassen.

Die Beklagte hat angeregt, das vorliegende Verfahren gem. § 148 Abs. 1 ZPO bis zur Erledigung des Parallelverfahrens auszusetzen, da die Klärung der Wirksamkeit der Vereinbarung vorgreiflich für den Rechtsstreit im Urkundenprozess sei.

Das LG lehnte die Aussetzung ab. Das OLG wies die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurück. Der BGH wies nun auch die gegen die Bestätigung der Ablehnung der Aussetzung gerichtete Rechtsbeschwerde ab.

Die Gründe:
Entgegen der Rechtsbeschwerde ist das dem Gericht auf der Rechtsfolgenseite eingeräumte Ermessen bei der Gefahr widersprechender Entscheidungen nicht auf eine Verpflichtung zur Aussetzung des Urkundenprozesses reduziert.

Zu Unrecht meint die Rechtsbeschwerde, § 148 Abs. 1 ZPO finde im Urkundenprozess Anwendung, ohne dass ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorliegen würde, das grundsätzlich gegen eine Aussetzung streite. Das Gegenteil ist der Fall. Zwar gilt § 148 ZPO auch im Urkundenprozess. Während des Urkundsverfahrens ist indes eine Aussetzung der Verhandlung bei Vorgreiflichkeit nicht die Regel, sondern nur unter besonderen Umständen angemessen, weil sonst der Zweck der Verfahrensart, dem Kläger schnell einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen, leicht vereitelt werden könnte.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt in diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis keine unzulässige Verkürzung der nach § 148 Abs. 1 ZPO erforderlichen Ermessensprüfung, weil es diese nicht entbehrlich macht, sondern vielmehr dem Zweck des Urkundenverfahrens angemessen Geltung verschafft.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt auch keine Ermessensreduzierung auf Null vor. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, der Normzweck gebiete eine Aussetzung. Das Interesse der Klägerin an einer beschleunigten Rechtsdurchsetzung im Urkundenprozess sei nachrangig ggü. der drohenden Gefahr divergierender Entscheidungen, die § 148 ZPO vermeiden wolle. Diese Wertung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO ist nur dann überhaupt möglich, wenn das andere Verfahren vorgreiflich ist. In diesem Fall droht stets eine Entscheidungs- und Rechtskraftdivergenz.

Die Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen ist Zweck des § 148 ZPO. Gleichwohl hat der Gesetzgeber § 148 ZPO nicht als gebundene Entscheidung, sondern als Ermessensentscheidung ausgestaltet. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen begründet keine generelle Aussetzungspflicht. Dann darf der Gefahr widersprechender Entscheidungen bei der Abwägung auch nicht stets der Vorrang ggü. anderen Belangen eingeräumt werden. Denn dadurch würde aus der Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung.
BGH online
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