14.12.2021

Zur Bemessung des Beschwerdewerts eines Berufungsantrags auf Unterlassung einer Äußerung

Für die Bemessung des Beschwerdewerts eines Berufungsantrags auf Unterlassung einer Äußerung kommt es nicht nur auf deren Breitenwirkung, sondern auch auf die Wirkung der Äußerungen auf den Kläger selbst an.

BGH v. 16.11.2021 - VI ZB 58/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einer anderen Sache i.H.v. rd. 420 € und auf Unterlassung einer Äußerung in Anspruch. Das AG gab der Klage teilweise statt und verurteilte den Beklagten, an den Kläger rd. 150 € zu zahlen. Den Streitwert setzte das AG auf rd. 1.400 € fest. Der Streitwert des Unterlassungsantrags sei nicht mit mehr als 1.000 € zu bewerten. Es gehe um eine eher verhaltene Äußerung in einem anwaltlich direkt an den Kläger gerichteten Schriftsatz zur Rechtfertigung des eigenen Verhaltens des Beklagten, wobei kaum Weiterungen zu befürchten gewesen seien, zumal der Beklagte die von ihm geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung mit dem Schreiben abgegeben habe. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Anträge auf (weitergehende) Zahlung und auf Unterlassung weiter.

Das LG setzte hat den Streitwert vorläufig auf bis 600 € festgesetzt. Mit Beschluss vom 9.12.2019 wies es darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung zu verwerfen. Die Berufung sei nicht zugelassen und der Wert des Beschwerdegegenstands übersteige 600 € nicht. Am 6.1.2020 beschloss das LG, die Berufung nicht zuzulassen. Da der Berufungsantrag zu 1) auf Zahlung von rd. 275 € gerichtet sei, sei demnach die Beschwer im Hinblick auf den Berufungsantrag zu 2) auf bis zu rd. 320 € vorläufig festgesetzt. Hinsichtlich des Antrags zu 2) sei eine Beschwer von bis zu 324 € ausreichend und angemessen. Es handle sich um eine Äußerung in einem direkt an den Kläger gerichteten Anwaltsschreiben. Die Kammer schließe sich im Übrigen den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts an und halte daher eine Beschwer von gut 300 € für ausreichend und angemessen. Die Kammer verkenne dabei nicht, dass das erstinstanzliche Gericht von einer Beschwer von über 600 € ausgegangen sei. Die Rechtssache habe weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordere die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19.8.2020 verwarf das LG die Berufung des Klägers als unzulässig und setzte den Streitwert auf bis 600 € fest. Zur Begründung hat es auf die Beschlüsse vom 9.12.2019 und vom 6.1.2020 Bezug genommen. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die angegriffene Entscheidung des LG verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), da es bei der Bemessung der Beschwer (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt und dadurch den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert hat.

Bei Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung einer ehrverletzenden Äußerung handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. Für die Bemessung der Beschwer nach freiem Ermessen sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang und Bedeutung der Sache zu berücksichtigen. Die Bewertung des Rechtsmittelinteresses kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht bei der seinem freien Ermessen unterliegenden Wertfestsetzung die Grenzen des Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise, mithin fehlerhaft, Gebrauch gemacht hat. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn das Berufungsgericht bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht umfassend berücksichtigt hat. So liegt es hier. Das LG hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend auf die nach verständiger Sichtweise zu besorgende Beeinträchtigung abgestellt, die von der beanstandeten Äußerung ausgehen und sich auf den sozialen Geltungsanspruch des Klägers auswirken kann. Die Erwägung, es handle sich um eine Äußerung in einem direkt an den Kläger gerichteten Anwaltsschreiben, ist insoweit nicht zu beanstanden.

Die Bedeutung der Sache für den Kläger richtet sich aber nicht allein nach der Breitenwirkung der beanstandeten Äußerung, sondern auch nach deren Wirkung auf den Kläger nach verständiger Sichtweise. Dazu verhält sich die Begründung des angefochtenen Beschlusses jedenfalls nicht ausdrücklich, obwohl die Bemessung der Beschwer durch das LG mit bis zu rd. 320 € nur (noch) verständlich sein könnte, wenn auch dieser Gesichtspunkt dafürspräche, dass die Sache eine äußerst geringe Bedeutung für den Kläger hat. Sollte das LG mit dem Hinweis, dass es sich um eine Äußerung in einem Rechtsanwaltsschreiben handelt, zum Ausdruck bringen wollen, dass dieser Umstand für die rechtliche Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Unterlassungsanspruchs relevant sein kann, wäre dies zwar im Grundsatz zutreffend. Allerdings sind die Erfolgsaussichten einer Klage und eines Rechtsmittels keine Umstände, die bei der Bewertung der Beschwer berücksichtigt werden dürfen. Diese Beurteilung hat allein im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu erfolgen.

Mehr zum Thema:
  • Kommentierung: ZPO | § 511 Statthaftigkeit der Berufung | Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
  • Rechtsprechung: BGH vom 29.10.2020, V ZR 273/19 - Nichtzulassungsbeschwerde: Geeignetheit der Zeugenvernehmung zur Glaubhaftmachung der Beschwer mit Anmerkung Schörnig (MDR 2020, 408)
  • Praxisrelevante Lösungen für alle Fragestellungen zum Zivilrecht bietet Ihnen unser umfassendes Aktionsmodul Zivilrecht (6 Module zum Arbeitsrecht, Erbrecht, Familienrecht, Miet- und WEG-Recht, Zivil- und Zivilverfahrensrecht) - jetzt 4 Wochen lang kostenlos testen.
BGH online
Zurück