24.07.2024

Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers ist auch der animus manendi (Bleibewille) erforderlich

Für die Bestimmung des unionsautonom auszulegenden Begriffes des "gewöhnlichen Aufenthalts" eines Erblassers i.S.d. Art. 4 EuErbVO ist neben dem objektiven Kriterium des tatsächlichen Aufenthalts in subjektiver Hinsicht das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich. An dem fehlt es, wenn ein demenzkranker Erblasser gegen oder ohne seinen Willen in ein Pflegeheim im Ausland verbracht wurde, ohne dass er über die reine Pflege hinausgehende Bindungen zu dem Land hatte, in dem er bis zu seinem Tod gepflegt wurde.

OLG Karlsruhe v. 22.7.2024, 14 W 50/24 (Wx)
Der Sachverhalt:
Der 68-jährige Erblasser, ein deutscher Staatsangehöriger, ist am 10.10.2023 in einem Pflegeheim in Polen kinderlos verstorben. Im Mai 2022 war beim Erblasser eine zunehmende Demenz aufgetreten, die ihn zu einem Pflegefall machte. Nachdem eine häusliche Betreuung nur noch schwer bewerkstelligt werden konnte, wurde der Erblasser zunächst ab Ende Juni 2022 in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland versorgt. Ab April 2023 lebte der Erblasser in einem Pflegeheim in Polen.

Nach seiner aktiven Berufstätigkeit bezog der Erblasser Bezüge in Form einer Rente i.H.v. ca. 192 € pro Monat zzgl. Pflegegeld i.H.v. ca. 1.861 € pro Monat. Er hatte kein Vermögen in Polen, sein gesamtes Vermögen - maßgeblich bestehend aus einem Immobilien- und einem Gesellschaftsanteil - befand sich in Deutschland. Er sprach kein polnisch und hatte familiäre sowie soziale Verbindungen allein nach Deutschland. Der Erblasser wurde von seiner (zweiten) Ehefrau gegen bzw. ohne seinen Willen in dem Pflegeheim in Polen untergebracht.

Mit notarieller Urkunde vom 14.3.2024 stellte die Ehefrau gegenüber dem AG - Nachlassgericht - einen Antrag auf Erteilung des Erbscheins, wonach sie Alleinerbin sei. Das AG hat den Antrag mangels internationaler Zuständigkeit nach Art. 4 EuErbVO zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Ehefrau hat das OLG den Beschluss aufgehoben und die Sache an das Nachlassgericht zurückverwiesen.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des AG ist die deutsche Gerichtsbarkeit vorliegend nach Art. 4 EuErbVO zur Erteilung des Erbscheins international zuständig, da der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Norm in Deutschland hatte.

Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers sind sowohl objektive als auch subjektive Kriterien maßgeblich. In objektiver Hinsicht muss zumindest ein tatsächlicher Aufenthalt ("körperliche Anwesenheit") gegeben sein, auf eine konkrete Dauer oder die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts kommt es hingegen nicht an; unschädlich ist auch eine vorübergehende Abwesenheit, soweit ein Rückkehrwille bestand. In subjektiver Hinsicht ist das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich, also der nach außen manifestierte Wille, seinen Lebensmittelpunkt am Ort des tatsächlichen Aufenthaltes auf Dauer zu begründen. Eines rechtsgeschäftlichen Willens bedarf es insoweit nicht.

Werden pflegebedürftige Personen in ausländischen Pflegeheimen untergebracht, kommt es ebenfalls grundsätzlich auf deren Bleibewillen an. Können diese zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden oder erfolgt die Unterbringung gegen ihren Willen, fehlt es an dem für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts erforderlichen animus manendi.

Gemessen hieran hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. Art. 4 EuErbVO nach wie vor in Deutschland. Sein bis zu seinem Versterben andauernder Aufenthalt in dem polnischen Pflegeheim änderte hieran nichts. Es fehlte dem Erblasser an einem Bleibewillen in Polen. Denn der demenzkranke Erblasser wurde gegen oder zumindest ohne seinen Willen in dem polnischen Pflegeheim untergebracht. Die Unterbringung in Polen erfolgte (allein) aus finanziellen Gründen und nicht, um einen neuen Lebensmittelpunkt zu begründen. Der Erblasser hatte - einschließlich des Pflegegeldes - monatlich etwa 2.050 € zur Verfügung, mit denen sich ein Aufenthalt in einem deutschen Pflegeheim nicht finanzieren ließe.

Der Erblasser war zudem deutscher Staatsangehöriger, lebte vorher durchweg in Deutschland und sein gesamtes Vermögen war in Deutschland belegen. Er war der polnischen Sprache nicht mächtig und aufgrund seiner (fortschreitenden) Erkrankung war auch nicht zu erwarten, dass er in Polen soziale Bindungen eingehen würde. Damit hatte der Erblasser keinerlei persönlichen Bezug zu Polen, eine über die Unterbringung in dem Pflegeheim hinausgehende Verbundenheit bestand gerade nicht. Somit hatte er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland nicht i.S.d. Art. 4 EuErbVO aufgegeben.

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