Zur Bindungswirkung von wechselseitigen Verfügungen in Testamenten
OLG Düsseldorf v. 15.7.2022 - 3 Wx 82/21
Der Sachverhalt:
Der Erblasser ist kinderlos verstorben. Zusammen mit seiner im Juni 2012 vorverstorbenen Ehefrau hat er zwei letztwillige Verfügungen hinterlassen. Durch handschriftlich verfasstes Testament aus Januar 1997 haben sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Durch handschriftliche Erklärung aus Juli 2004 haben der Erblasser und seine Ehefrau Folgendes verfügt:
"Im Falle unseres Todes setzen wir folgende Personen als Erben ein:
1. Der Beteiligte zu 1. (Neffe der Ehefrau des Erblassers) soll die Hälfte unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
2. Die Beteiligte zu 3. (Nichte des Erblassers) soll ein Viertel unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
3. H.R. (Nichte der Ehefrau des Erblassers - 2012 kinderlos vorverstorben) soll ein Viertel unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
4. Die Lebensversicherung auf den Erblasser soll zu 100 % an den Beteiligten zu 1) ausgezahlt werden."
Beide letztwilligen Verfügungen sind auf ein und demselben Papierbogen niedergeschrieben.
Nach dem Tod seiner Ehefrau hat der Erblasser unter im Dezember 2015 eine weitere handschriftliche testamentarische Verfügung getroffen. Der Beteiligte zu 1. hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass sich die Erbfolge nach dem Einzeltestament des Erblassers aus Dezember 2015 und nicht nach der letztwilligen Verfügung der Eheleute aus Juli 2004 richte. Denn die letztgenannte testamentarische Verfügung sei alleine für den Fall getroffen worden, dass der Erblasser und seine Ehefrau zeitgleich versterben. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1. Zurückgewiesen.
Die Gründe:
Das AG hat den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1. im Ergebnis mit Recht zurückgewiesen. Zwar richtet sich die Erbfolge nach dem Tod des Erblassers nicht nach dem Einzeltestament des Erblassers aus Dezember 2015, sondern nach der testamentarischen Verfügung der Eheleute aus Juli 2004. In jenem Testament ist allerdings nicht nur der Beteiligte zu 1. als Erbe berufen worden, sondern ebenso die Beteiligte zu 3.; diese ist nicht - wie die Beschwerde meinte - bloße Vermächtnisnehmerin.
Der Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau hatten mit ihren Verfügungen aus Januar 1997 und Juli 2004 ein gemeinschaftliches Testament in der Form des Berliner Testaments (§ 2269 BGB) errichtet. Die Erbeinsetzung der Schlusserben in der gemeinschaftlichen Verfügung aus Juli 2004 war in vollem Umfang wechselbezüglich und ist somit für den Erblasser mit dem Tod seiner Ehefrau bindend geworden (§§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieser war deshalb nicht berechtigt, die Erbeinsetzung im Dezember 2015 abzuändern.
Die Einsetzung der Schlusserben ist für den kinderlos verstorbenen Erblasser nicht - wie die Beschwerde meint - von vornherein nur insoweit wechselbezüglich gewesen, wie Verwandte der vorverstorbenen Ehefrau bedacht worden sind. Zwar ist in der Rechtsprechung eine auf die Verwandten des zuerst verstorbenen Ehepartners beschränkte Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung von kinderlos verstorbenen Eheleuten bejaht worden. Diese Entscheidungen tragen indes nicht den Schluss, die Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügung sei in solchen Fällen "stets" oder "im Allgemeinen" oder zumindest "im Zweifel" beschränkt. Es ist vielmehr immer eine durch Auslegung der letztwilligen Verfügung im konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage, ob eine Schlusserbeneinsetzung bei kinderlos verstorbenen Eheleuten wechselbezüglich ist oder nicht. Dabei ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen:
Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend getroffen, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll. Maßgeblich ist allein der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Ob Wechselbezüglichkeit i.S.d. § 2270 BGB vorliegt, ist nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden.
Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung der Wechselbezüglichkeit, muss nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden, ob sie wechselbezüglich ist oder nicht. Führt die Ermittlung des Erblasserwillens weder zur gegenseitigen Abhängigkeit noch zur gegenseitigen Unabhängigkeit der beidseitigen Verfügung, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Diese Auslegungsregel ist allerdings erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel am Erblasserwillen nicht zu beseitigen sind.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen letztwilligen Verfügungen in mehrfacher Hinsicht wechselbezüglich. Der Erblasser und seine Ehefrau hatten zunächst wechselbezüglich testiert, soweit sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben. Denn die Erbeinsetzung des Ehemannes sollte mit der gleichzeitigen Erbeinsetzung der Ehefrau und die Berufung der Ehefrau mit derjenigen des Ehemannes stehen und fallen. Wechselbezüglichkeit besteht darüber hinaus zwischen der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute und der Berufung von eigenen Verwandten zu Schlusserben. Der Erblasser hat seine Ehefrau zur Alleinerbin berufen, weil diese als Schlusserbe des gemeinsamen Vermögens auch eine Verwandte des Erblassers bestellt hat, und die Ehefrau hat ihren Ehemann zum Alleinerben eingesetzt, weil als Schlusserben des gemeinsamen Vermögens auch Verwandte von ihrer Seite berufen sind.
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Justiz NRW
Der Erblasser ist kinderlos verstorben. Zusammen mit seiner im Juni 2012 vorverstorbenen Ehefrau hat er zwei letztwillige Verfügungen hinterlassen. Durch handschriftlich verfasstes Testament aus Januar 1997 haben sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Durch handschriftliche Erklärung aus Juli 2004 haben der Erblasser und seine Ehefrau Folgendes verfügt:
"Im Falle unseres Todes setzen wir folgende Personen als Erben ein:
1. Der Beteiligte zu 1. (Neffe der Ehefrau des Erblassers) soll die Hälfte unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
2. Die Beteiligte zu 3. (Nichte des Erblassers) soll ein Viertel unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
3. H.R. (Nichte der Ehefrau des Erblassers - 2012 kinderlos vorverstorben) soll ein Viertel unseres Barvermögens und der Eigentumswohnung bekommen.
4. Die Lebensversicherung auf den Erblasser soll zu 100 % an den Beteiligten zu 1) ausgezahlt werden."
Beide letztwilligen Verfügungen sind auf ein und demselben Papierbogen niedergeschrieben.
Nach dem Tod seiner Ehefrau hat der Erblasser unter im Dezember 2015 eine weitere handschriftliche testamentarische Verfügung getroffen. Der Beteiligte zu 1. hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Alleinerben ausweist. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass sich die Erbfolge nach dem Einzeltestament des Erblassers aus Dezember 2015 und nicht nach der letztwilligen Verfügung der Eheleute aus Juli 2004 richte. Denn die letztgenannte testamentarische Verfügung sei alleine für den Fall getroffen worden, dass der Erblasser und seine Ehefrau zeitgleich versterben. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1. Zurückgewiesen.
Die Gründe:
Das AG hat den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1. im Ergebnis mit Recht zurückgewiesen. Zwar richtet sich die Erbfolge nach dem Tod des Erblassers nicht nach dem Einzeltestament des Erblassers aus Dezember 2015, sondern nach der testamentarischen Verfügung der Eheleute aus Juli 2004. In jenem Testament ist allerdings nicht nur der Beteiligte zu 1. als Erbe berufen worden, sondern ebenso die Beteiligte zu 3.; diese ist nicht - wie die Beschwerde meinte - bloße Vermächtnisnehmerin.
Der Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau hatten mit ihren Verfügungen aus Januar 1997 und Juli 2004 ein gemeinschaftliches Testament in der Form des Berliner Testaments (§ 2269 BGB) errichtet. Die Erbeinsetzung der Schlusserben in der gemeinschaftlichen Verfügung aus Juli 2004 war in vollem Umfang wechselbezüglich und ist somit für den Erblasser mit dem Tod seiner Ehefrau bindend geworden (§§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieser war deshalb nicht berechtigt, die Erbeinsetzung im Dezember 2015 abzuändern.
Die Einsetzung der Schlusserben ist für den kinderlos verstorbenen Erblasser nicht - wie die Beschwerde meint - von vornherein nur insoweit wechselbezüglich gewesen, wie Verwandte der vorverstorbenen Ehefrau bedacht worden sind. Zwar ist in der Rechtsprechung eine auf die Verwandten des zuerst verstorbenen Ehepartners beschränkte Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung von kinderlos verstorbenen Eheleuten bejaht worden. Diese Entscheidungen tragen indes nicht den Schluss, die Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügung sei in solchen Fällen "stets" oder "im Allgemeinen" oder zumindest "im Zweifel" beschränkt. Es ist vielmehr immer eine durch Auslegung der letztwilligen Verfügung im konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage, ob eine Schlusserbeneinsetzung bei kinderlos verstorbenen Eheleuten wechselbezüglich ist oder nicht. Dabei ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen:
Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend getroffen, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll. Maßgeblich ist allein der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Ob Wechselbezüglichkeit i.S.d. § 2270 BGB vorliegt, ist nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden.
Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung der Wechselbezüglichkeit, muss nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden, ob sie wechselbezüglich ist oder nicht. Führt die Ermittlung des Erblasserwillens weder zur gegenseitigen Abhängigkeit noch zur gegenseitigen Unabhängigkeit der beidseitigen Verfügung, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Diese Auslegungsregel ist allerdings erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel am Erblasserwillen nicht zu beseitigen sind.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen letztwilligen Verfügungen in mehrfacher Hinsicht wechselbezüglich. Der Erblasser und seine Ehefrau hatten zunächst wechselbezüglich testiert, soweit sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben. Denn die Erbeinsetzung des Ehemannes sollte mit der gleichzeitigen Erbeinsetzung der Ehefrau und die Berufung der Ehefrau mit derjenigen des Ehemannes stehen und fallen. Wechselbezüglichkeit besteht darüber hinaus zwischen der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute und der Berufung von eigenen Verwandten zu Schlusserben. Der Erblasser hat seine Ehefrau zur Alleinerbin berufen, weil diese als Schlusserbe des gemeinsamen Vermögens auch eine Verwandte des Erblassers bestellt hat, und die Ehefrau hat ihren Ehemann zum Alleinerben eingesetzt, weil als Schlusserben des gemeinsamen Vermögens auch Verwandte von ihrer Seite berufen sind.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der Datenbank Otto Schmidt online.
Aktionsmodul Familienrecht:
Online-Unterhaltsrechner. Mit den aktuellen Werten der Düsseldorfer Tabelle 2022! Top Inhalte online: FamRZ und FamRZ-Buchreihe von Gieseking, FamRB Familien-Rechtsberater von Otto Schmidt, "Gerhardt" von Wolters Kluwer und vielen Standardwerken. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Für Fachanwälte mit Beiträgen zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!