Zur Duldungspflicht eines Überbaus bei einem vermeintlich grenzständig errichteten Anbau an ein Nachbargebäude
LG Saarbrücken v. 11.11.2022, 13 S 51/21
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks, die Beklagte ist Eigentümerin des Nachbargrundstücks. Auf dem Grundstück der Kläger befand sich seit dem Jahr 1895 ein Schuppen, der mit einem Abstand von ca. 50 cm zur Grenze zum Grundstück der Beklagten hin errichtet worden war. An diesen Schuppen wurde von dem Grundstück der Beklagten aus eine Garage angebaut. Die Garage wird als Abstellschuppen benutzt, ein Befahren mit einem Pkw ist nicht möglich. Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 6.5.2020 zur Entfernung des Überbaus aufgefordert.
Erstinstanzlich hatten die Kläger die Beklagte auf Beseitigung des Überbaus, hilfsweise auf Duldung der Beseitigung durch die Kläger sowie Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch genommen. Hierzu haben sie geltend gemacht, sie seien zur Duldung des Überbaus nicht verpflichtet, da ihre Rechtsvorgänger dem Überbau nicht zugestimmt hätten und den Errichtern des Gebäudes grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, der Überbau sei im Jahr 1937 errichtet worden. Zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien habe offensichtlich Einigkeit bestanden, dass der Anbau von dem Beklagtengrundstück an den Schuppen auf dem Klägergrundstück angebaut werden solle. Alle Rechtsvorgänger seien offenkundig davon ausgegangen, dass die Gebäude entsprechend dem Grenzverlauf errichtet worden seien, wie sich aus Lageplänen der Jahre 1895, 1906, 1937 und 1957 ergebe. Der Überbau sei daher mit formfreier Zustimmung des Rechtsvorgängers der Kläger erfolgt. Jedenfalls fehle es an einem grob fahrlässigen Verschulden des Errichters.
Das AG hat der Klage im Hilfsantrag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem LG weitestgehend erfolglos.
Die Gründe:
Es handelt sich vorliegend - soweit sich die Garage der Beklagten unstreitig auf dem Grundstück der Kläger befindet - weder um einen entschuldigten (§ 912 Abs. 1 BGB) noch um einen berechtigten Überbau, sodass für die Kläger keine Duldungspflicht besteht.
Soweit das Erstgericht den Hilfsantrag der Kläger auf Duldung der Selbstbeseitigung infolge eines unberechtigten Überbaus für begründet erachtet hatte, konnte dem nur teilweise gefolgt werden. Zutreffend war allerdings, dass der vom Störer geschaffene Zustand auch nach der - wie hier - eingetretenen Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB rechtswidrig bleibt und von dem Eigentümer nicht geduldet werden muss. Die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB hat lediglich zur Folge, dass der Grundstückseigentümer die Störung auf eigene Kosten beseitigen muss.
Das Recht des Grundstückseigentümers, Störungen durch Dritte, deren Quelle sich auf dem Grundstück befindet, auf eigene Kosten selbst zu beseitigen, beruht auf der aus § 903 Satz 1 BGB folgenden Rechtsmacht. Diese Norm ist indes keine Anspruchsgrundlage und begründet keinen - zur Ausübung des Rechts auch nicht erforderlichen - Duldungsanspruch gegen den Störer (der sonst im Übrigen ebenso wie der Beseitigungsanspruch der Verjährung unterläge). Infolgedessen kann und muss der Eigentümer den Störer nicht auf Duldung der Selbstbeseitigung in Anspruch nehmen, sondern er kann von seinem Recht - unter Umständen nach vorheriger Ankündigung - ohne weiteres Gebrauch machen. Ein Duldungsanspruch gegenüber der Beklagten besteht damit nicht.
Der unbegründete Leistungsantrag war hier jedoch in einen Feststellungsantrag des Inhalts umzudeuten, dass die Berechtigung der Kläger zur Selbstbeseitigung festgestellt werden sollte. Erweist sich die erhobene Leistungsklage als unbegründet, entspricht aber der Erlass eines Feststellungsurteils dem Interesse des Klägers, so kann das Gericht ohne Verstoß gegen § 308 ZPO dem in dem Leistungsbegehren enthaltenen Antrag auf Feststellung des Rechtsverhältnisses auch dann stattgeben, wenn dieser Antrag nicht ausdrücklich hilfsweise gestellt ist.
Die Beklagte konnte dem Selbstbeseitigungsrecht der Kläger nicht den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegensetzen. Nach BGH-Rechtsprechung wirkt sich der Gedanke von Treu und Glauben im Rahmen eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als Schranke der Rechtsausübung aus, die den Grundstückseigentümer zwingen kann, eine bestimmte eigene Nutzung seines Grundstücks zu unterlassen oder eine bestimmte Nutzung seines Grundstücks durch den Nachbarn zu dulden. Das Rechtsinstitut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses darf dabei nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Seine Anwendung beschränkt sich daher auf Ausnahmefälle, deren Besonderheit einen über die gesetzliche Regelung hinausgehenden billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend geboten erscheinen lässt. Ein solcher Ausnahmefall lag hier allerdings nicht vor. Er ergab sich insbesondere nicht aus dem Einwand der Beklagten, für sie entstünden bei Errichtung einer neuen Fertiggarage Kosten von 30.000 €.
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Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks, die Beklagte ist Eigentümerin des Nachbargrundstücks. Auf dem Grundstück der Kläger befand sich seit dem Jahr 1895 ein Schuppen, der mit einem Abstand von ca. 50 cm zur Grenze zum Grundstück der Beklagten hin errichtet worden war. An diesen Schuppen wurde von dem Grundstück der Beklagten aus eine Garage angebaut. Die Garage wird als Abstellschuppen benutzt, ein Befahren mit einem Pkw ist nicht möglich. Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 6.5.2020 zur Entfernung des Überbaus aufgefordert.
Erstinstanzlich hatten die Kläger die Beklagte auf Beseitigung des Überbaus, hilfsweise auf Duldung der Beseitigung durch die Kläger sowie Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch genommen. Hierzu haben sie geltend gemacht, sie seien zur Duldung des Überbaus nicht verpflichtet, da ihre Rechtsvorgänger dem Überbau nicht zugestimmt hätten und den Errichtern des Gebäudes grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, der Überbau sei im Jahr 1937 errichtet worden. Zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien habe offensichtlich Einigkeit bestanden, dass der Anbau von dem Beklagtengrundstück an den Schuppen auf dem Klägergrundstück angebaut werden solle. Alle Rechtsvorgänger seien offenkundig davon ausgegangen, dass die Gebäude entsprechend dem Grenzverlauf errichtet worden seien, wie sich aus Lageplänen der Jahre 1895, 1906, 1937 und 1957 ergebe. Der Überbau sei daher mit formfreier Zustimmung des Rechtsvorgängers der Kläger erfolgt. Jedenfalls fehle es an einem grob fahrlässigen Verschulden des Errichters.
Das AG hat der Klage im Hilfsantrag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem LG weitestgehend erfolglos.
Die Gründe:
Es handelt sich vorliegend - soweit sich die Garage der Beklagten unstreitig auf dem Grundstück der Kläger befindet - weder um einen entschuldigten (§ 912 Abs. 1 BGB) noch um einen berechtigten Überbau, sodass für die Kläger keine Duldungspflicht besteht.
Soweit das Erstgericht den Hilfsantrag der Kläger auf Duldung der Selbstbeseitigung infolge eines unberechtigten Überbaus für begründet erachtet hatte, konnte dem nur teilweise gefolgt werden. Zutreffend war allerdings, dass der vom Störer geschaffene Zustand auch nach der - wie hier - eingetretenen Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB rechtswidrig bleibt und von dem Eigentümer nicht geduldet werden muss. Die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB hat lediglich zur Folge, dass der Grundstückseigentümer die Störung auf eigene Kosten beseitigen muss.
Das Recht des Grundstückseigentümers, Störungen durch Dritte, deren Quelle sich auf dem Grundstück befindet, auf eigene Kosten selbst zu beseitigen, beruht auf der aus § 903 Satz 1 BGB folgenden Rechtsmacht. Diese Norm ist indes keine Anspruchsgrundlage und begründet keinen - zur Ausübung des Rechts auch nicht erforderlichen - Duldungsanspruch gegen den Störer (der sonst im Übrigen ebenso wie der Beseitigungsanspruch der Verjährung unterläge). Infolgedessen kann und muss der Eigentümer den Störer nicht auf Duldung der Selbstbeseitigung in Anspruch nehmen, sondern er kann von seinem Recht - unter Umständen nach vorheriger Ankündigung - ohne weiteres Gebrauch machen. Ein Duldungsanspruch gegenüber der Beklagten besteht damit nicht.
Der unbegründete Leistungsantrag war hier jedoch in einen Feststellungsantrag des Inhalts umzudeuten, dass die Berechtigung der Kläger zur Selbstbeseitigung festgestellt werden sollte. Erweist sich die erhobene Leistungsklage als unbegründet, entspricht aber der Erlass eines Feststellungsurteils dem Interesse des Klägers, so kann das Gericht ohne Verstoß gegen § 308 ZPO dem in dem Leistungsbegehren enthaltenen Antrag auf Feststellung des Rechtsverhältnisses auch dann stattgeben, wenn dieser Antrag nicht ausdrücklich hilfsweise gestellt ist.
Die Beklagte konnte dem Selbstbeseitigungsrecht der Kläger nicht den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegensetzen. Nach BGH-Rechtsprechung wirkt sich der Gedanke von Treu und Glauben im Rahmen eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als Schranke der Rechtsausübung aus, die den Grundstückseigentümer zwingen kann, eine bestimmte eigene Nutzung seines Grundstücks zu unterlassen oder eine bestimmte Nutzung seines Grundstücks durch den Nachbarn zu dulden. Das Rechtsinstitut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses darf dabei nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren. Seine Anwendung beschränkt sich daher auf Ausnahmefälle, deren Besonderheit einen über die gesetzliche Regelung hinausgehenden billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend geboten erscheinen lässt. Ein solcher Ausnahmefall lag hier allerdings nicht vor. Er ergab sich insbesondere nicht aus dem Einwand der Beklagten, für sie entstünden bei Errichtung einer neuen Fertiggarage Kosten von 30.000 €.
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