31.05.2022

Zur Haftung eines Gerüstherstellers

Ein Baugerüst ist ein mit einem Grundstück verbundenes Werk i.S.d. § 836 BGB, für das der Gerüsthersteller als Besitzer gem. § 837 BGB verantwortlich ist. Ein zur Gerüsterstellung verwendetes, zum Begehen durch Gerüstbenutzer bestimmtes Brett muss so beschaffen sein, dass es nicht durchbricht, wenn es von einem Bauhandwerker betreten wird. Geschieht dies dennoch, so spricht typischerweise nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Anschein dafür, dass dieses Brett von seiner Beschaffenheit her objektiv nicht für ein Baugerüst geeignet war.

OLG Koblenz v. 28.3.2022 - 15 U 565/21
Der Sachverhalt:
Der Beklagte betreibt einen Gerüstbaubetrieb. Er stellte zur Sanierung einer Pfarrkirche im Frühjahr 2012 ein aus Arbeitsgerüst und Aufstiegsgerüst bestehendes Fassadengerüst auf. Am Gerüst war ein Hinweisschild über die maximale Belastung (300 kg/m2) angebracht. Der Kläger, der als angestellter Steinmetz an der Baustelle arbeitete, verletzte sich dort am 6.11.2012. Nach dem Unfall wurde eine gebrochene Durchstiegstafel aus Sperrholz an einem Leiterdurchstieg durch Mitarbeiter des Beklagten ausgetauscht. Hergang und Ursache des Unfallgeschehens sind streitig.

Der Kläger hat geltend gemacht, er sei beim Abstieg durch einen Leiterdurchstieg im Bereich des Aufstiegsgerüsts durch den Gerüstboden gebrochen. Das Gerüst sei nicht ordnungsgemäß aufgebaut und unterhalten worden. Es habe in diesem Bereich eine für den Gerüstboden ungeeignete Sperrholzplatte aufgewiesen und sei vorgeschädigt gewesen, zudem habe eine Verbindung und Verstärkungsmaterial gefehlt. Er forderte ein Schmerzensgeld von mindestens 16.330 €.

Der Beklagte hat vorgetragen, das Gerüst, das er alle zwei Wochen oder nach Bedarf überprüft habe, sei ordnungsgemäß aufgestellt worden. Es seien nur zugelassene Gerüstteile verwendet worden. Der Kläger und seine Kollegen hätten das Gerüst bei ihrer Arbeit überlastet; es sei im Bereich der Unfallstelle derart überlastet gewesen, dass der Kläger nicht ohne Klettern oder Springen zu dem Leiterdurchstieg habe gelangen können. Bei ordnungsgemäßer Benutzung habe die Durchstiegstafel nicht brechen können.

Das LG hat dem Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 2.500 € aus § 823 Abs. 1 BGB zuerkannt und die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz sämtlicher künftiger Schäden festgestellt; die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Das OLG hat die hiergegen gerichteten Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die deliktische Haftung des Beklagten ergibt sich nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt aus §§ 836, 837 BGB.

Ein Baugerüst ist ein mit einem Grundstück verbundenes Werk i.S.d. § 836 BGB, für das der Gerüsthersteller als Besitzer gem. § 837 BGB verantwortlich ist. Der Grundstücksbesitzer i.S.d. § 836 BGB muss zur Widerlegung der gegen ihn sprechenden Vermutung darlegen und beweisen, dass er zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Gerüstbretter sind ein Teil dieses Werkes, selbst wenn sie mit ihm nur durch die Schwerkraft verbunden sind. Ein zur Gerüsterstellung verwendetes, zum Begehen durch Gerüstbenutzer bestimmtes Brett muss so beschaffen sein, dass es nicht durchbricht, wenn es von einem Bauhandwerker betreten wird. Geschieht dies dennoch, so spricht typischerweise nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Anschein dafür, dass dieses Brett von seiner Beschaffenheit her objektiv nicht für ein Baugerüst geeignet war.

Zwar greift der Anscheinsbeweis nicht durch, wenn das Schadensereignis Umstände aufweist, die vom typischen Geschehensablauf abweichen und konkret eine andere, ernsthaft ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit für die Entwicklung des Unfalls nahelegen. Solche zur Erschütterung des Anscheinsbeweises geeignete Umstände müssen aber vom Gerüstersteller zur Überzeugung des Tatrichters nachgewiesen werden.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht im Streitfall nach dem berufungsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt fest, dass sich ein Teil des von dem Beklagten errichteten Werks abgelöst hat i.S.v. § 836 BGB und hierdurch eine Verletzung des Klägers eingetreten ist. Das Erstgericht hatte aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger, wie von ihm vorgetragen, durch den Gerüstboden gebrochen ist. Dagegen hat der Beklagte mit seiner Berufung nichts erinnert. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dafür ist vorliegend insoweit nichts ersichtlich. Aufgrund des damit feststehenden Sachverhalts spricht für die objektive Fehlerhaftigkeit des Werkes - ebenso wie für deren Ursächlichkeit für den Schadenseintritt - hier der Beweis des ersten Anscheins.

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