Zur realen Beschäftigungschance eines Unterhaltsschuldners
BGH 22.1.2014, XII ZB 185/12Der Antragsgegner ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Herkunft. Er war im Jahr 2001 nach Deutschland gekommen und verfügt über einen Realschulabschluss, aber keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er arbeitete jeweils vorübergehend mit geringfügiger Beschäftigung als Aushilfe in einer Bäckerei, als Verkaufs- und Küchenhilfe sowie als Aushilfe in einem Café und in einem Kebab-Haus. Später strebte er eine Umschulung an. Der Antragsgegner hat ein weiteres Kind, das vier Jahre jünger ist als der 2004 geborene Antragsteller und bei der Mutter lebt.
Der Antragsgegner zahlt dem Antragsteller keinen Kindesunterhalt und beruft sich auf mangelnde Leistungsfähigkeit. Die Beteiligten stritten in zuletzt darüber, ob der Antragsgegner sich ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat und ob er bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sein anrechnungsfreies Einkommen für den Kindesunterhalt einsetzen muss.
Das AG verpflichtete den Antragsgegner zur Zahlung des Mindestunterhalts; das OLG wies den Unterhaltsantrag hingegen ab. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers hob der BGH den Beschluss wieder auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Gründe:
Soweit das OLG davon ausgegangen war, dass der Antragsgegner gegenwärtig jedenfalls keine Ganztagsstelle mit einem Stundenlohn von über 7,30 € erlangen könne und es ihm somit an einer realen Beschäftigungschance für eine entsprechende Vollzeittätigkeit mangele, entbehrten die getroffenen Feststellungen der Grundlage und erwiesen sich als verfahrensfehlerhaft.
Für die Feststellung, dass für einen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance bestehe, sind insbesondere im Bereich der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB strenge Maßstäbe anzulegen. Für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter wird auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit regelmäßig kein Erfahrungssatz dahin gebildet werden können, dass sie nicht in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln seien. Dies gilt auch für ungelernte Kräfte oder für Ausländer mit eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen. Selbst die bisherige Tätigkeit des Unterhaltsschuldners etwa im Rahmen von Zeitarbeitsverhältnissen ist noch kein hinreichendes Indiz dafür, dass es ihm nicht gelingen kann, eine besser bezahlte Stelle zu finden. Das gilt auch dann, wenn der Unterhaltspflichtige überwiegend im Rahmen von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB IV gearbeitet hat.
Infolgedessen war der angefochtene Beschluss aufzuheben. Dass der Unterhaltspflichtige im vorliegenden Fall aus dem Ausland stammt und über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, rechtfertigte allein noch nicht die Schlussfolgerung, dass für ihn keine reale Beschäftigungschance im Hinblick auf eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle bestehe.
Zutreffend hatte das OLG allerdings die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners nicht aus einer möglichen Titulierung des Kindesunterhalts hergeleitet. Die angefochtene Entscheidung entsprach insofern der zwischenzeitlich ergangenen Senatsrechtsprechung. Danach erhöht sich durch die sozialrechtliche Berücksichtigung titulierter Unterhaltspflichten bei einem Antrag des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dessen unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht (Senatsbeschluss v. 19.6.2013, Az.: XII ZB 39/11). Dies gilt nicht nur für erstmalig zu titulierende Unterhaltsansprüche, sondern auch für bereits bestehende Unterhaltstitel, die im Abänderungsverfahren an veränderte Verhältnisse anzupassen sind.
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