Zur Verwertbarkeit eines Gutachtens nach erfolgreicher Ablehnung eines Sachverständigen
BGH v. 5.12.2023 - VI ZR 34/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte nach ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Sachverständige erläuterte sein schriftliches Gutachten vom 5.7.2020 im Verhandlungstermin vor dem LG am 4.2.2021 mündlich. Die Klägerin lehnte den Sachverständigen im Termin als befangen ab und begründete dies anschließend in einem Schriftsatz. Mit Schreiben vom 18.4.2021 nahm der Sachverständige dazu Stellung. Daraufhin stützte die Klägerin ihr Befangenheitsgesuch mit einem neuen Schriftsatz auch darauf, dass der Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 18.4.2021 in unangemessener Weise Kritik am Befangenheitsantrag sowie an ihrem Prozessbevollmächtigten und dessen Verhalten in der mündlichen Verhandlung geübt habe.
Das LG wies das Gesuch der Klägerin, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, zurück. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin änderte das OLG (4. Zivilsenat) den Beschluss des LG ab und erklärte das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen für begründet. Es könne dahinstehen, ob die zunächst geltend gemachten Gründe rechtzeitig angebracht worden seien, da es jedenfalls zu diesem Zeitpunkt an einem Befangenheitsgrund gemangelt habe. Jedoch habe der Sachverständige mit seiner Stellungnahme vom 18.4.2021 die Grenzen der gebotenen Neutralität und Sachlichkeit überschritten, indem er das Prozessverhalten und die Persönlichkeitsstruktur des Klägervertreters analysiert und negativ bewertet habe.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Revision rügt zu Recht, dass das OLG keine Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen angeordnet (§ 412 Abs. 2 ZPO) und seine Entscheidung auf die Ausführungen des abgelehnten Sachverständigen gestützt hat.
Gem. § 412 Abs. 2 ZPO kann das Gericht die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. In diesem Fall darf ungeachtet des Wortlauts des § 412 Abs. 2 ZPO ("kann") das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen grundsätzlich nicht mehr verwertet werden. Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel liegen nicht vor. Das OLG hat nicht annehmen dürfen, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin unzulässig sei. Im Übrigen trägt der Verfahrensablauf nicht die Beurteilung des OLG, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Das Prozessverhalten der Klägerin stellt entgegen der Beurteilung des OLG keine rechtsmissbräuchliche Prozesstaktik dar, um eine unliebsame Folge der Beweisaufnahme zu umgehen, sondern die Wahrnehmung eines prozessualen Rechts.
Zwar steht die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen der Verwertbarkeit seines Gutachtens jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Partei, die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen beruft, den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat und gleichzeitig kein Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen ist. Die Entscheidung über die Frage der weiteren Verwertbarkeit ist nicht mehr Teil des Ablehnungsverfahrens. Ein Ablehnungsgesuch ist ein einheitlich zu behandelnder Antrag, der entweder insgesamt zurückzuweisen ist oder zur Feststellung der Befangenheit des Abgelehnten führt. Welche Folgen die erfolgreiche Ablehnung insbesondere im Hinblick auf die bisherige Mitwirkung des abgelehnten Sachverständigen hat, ist vom Gericht im Rahmen seiner Entscheidung, welche Beweise noch zu erheben sind, zu beurteilen.
Allerdings hat das OLG schon keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat. Zudem hat das OLG rechtsfehlerhaft angenommen, es bestehe kein Anlass zu der Besorgnis, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen sei. Schließlich kann offenbleiben, ob trotz erfolgreicher Ablehnung eines Sachverständigen die Verwertbarkeit seines Gutachtens auch dann in Betracht kommt, wenn die Partei, die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen beruft, den Ablehnungsgrund nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat. Denn auch dann käme die Verwertung des Gutachtens jedenfalls nur in Betracht, wenn kein Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei dessen Erstellung (und ggf. Erläuterung) beeinträchtigt gewesen ist. Dies ist hier nicht der Fall.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte nach ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Sachverständige erläuterte sein schriftliches Gutachten vom 5.7.2020 im Verhandlungstermin vor dem LG am 4.2.2021 mündlich. Die Klägerin lehnte den Sachverständigen im Termin als befangen ab und begründete dies anschließend in einem Schriftsatz. Mit Schreiben vom 18.4.2021 nahm der Sachverständige dazu Stellung. Daraufhin stützte die Klägerin ihr Befangenheitsgesuch mit einem neuen Schriftsatz auch darauf, dass der Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 18.4.2021 in unangemessener Weise Kritik am Befangenheitsantrag sowie an ihrem Prozessbevollmächtigten und dessen Verhalten in der mündlichen Verhandlung geübt habe.
Das LG wies das Gesuch der Klägerin, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, zurück. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin änderte das OLG (4. Zivilsenat) den Beschluss des LG ab und erklärte das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen für begründet. Es könne dahinstehen, ob die zunächst geltend gemachten Gründe rechtzeitig angebracht worden seien, da es jedenfalls zu diesem Zeitpunkt an einem Befangenheitsgrund gemangelt habe. Jedoch habe der Sachverständige mit seiner Stellungnahme vom 18.4.2021 die Grenzen der gebotenen Neutralität und Sachlichkeit überschritten, indem er das Prozessverhalten und die Persönlichkeitsstruktur des Klägervertreters analysiert und negativ bewertet habe.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
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Die Revision rügt zu Recht, dass das OLG keine Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen angeordnet (§ 412 Abs. 2 ZPO) und seine Entscheidung auf die Ausführungen des abgelehnten Sachverständigen gestützt hat.
Gem. § 412 Abs. 2 ZPO kann das Gericht die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist. In diesem Fall darf ungeachtet des Wortlauts des § 412 Abs. 2 ZPO ("kann") das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen grundsätzlich nicht mehr verwertet werden. Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel liegen nicht vor. Das OLG hat nicht annehmen dürfen, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin unzulässig sei. Im Übrigen trägt der Verfahrensablauf nicht die Beurteilung des OLG, dass das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Das Prozessverhalten der Klägerin stellt entgegen der Beurteilung des OLG keine rechtsmissbräuchliche Prozesstaktik dar, um eine unliebsame Folge der Beweisaufnahme zu umgehen, sondern die Wahrnehmung eines prozessualen Rechts.
Zwar steht die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen der Verwertbarkeit seines Gutachtens jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Partei, die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen beruft, den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat und gleichzeitig kein Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen ist. Die Entscheidung über die Frage der weiteren Verwertbarkeit ist nicht mehr Teil des Ablehnungsverfahrens. Ein Ablehnungsgesuch ist ein einheitlich zu behandelnder Antrag, der entweder insgesamt zurückzuweisen ist oder zur Feststellung der Befangenheit des Abgelehnten führt. Welche Folgen die erfolgreiche Ablehnung insbesondere im Hinblick auf die bisherige Mitwirkung des abgelehnten Sachverständigen hat, ist vom Gericht im Rahmen seiner Entscheidung, welche Beweise noch zu erheben sind, zu beurteilen.
Allerdings hat das OLG schon keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat. Zudem hat das OLG rechtsfehlerhaft angenommen, es bestehe kein Anlass zu der Besorgnis, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen sei. Schließlich kann offenbleiben, ob trotz erfolgreicher Ablehnung eines Sachverständigen die Verwertbarkeit seines Gutachtens auch dann in Betracht kommt, wenn die Partei, die sich auf die Befangenheit des Sachverständigen beruft, den Ablehnungsgrund nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert hat. Denn auch dann käme die Verwertung des Gutachtens jedenfalls nur in Betracht, wenn kein Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei dessen Erstellung (und ggf. Erläuterung) beeinträchtigt gewesen ist. Dies ist hier nicht der Fall.
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