Zur Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht
BGH v. 29.7.2020 - XII ZB 106/20
Der Sachverhalt:
Der Betroffene leidet u.a. an einer kognitiven Störung im Rahmen einer vaskulären Enzephalopathie bei ausgedehnter cerebraler Mikroangiographie. Am 30.9.2015 erteilte er der Beteiligten zu 3) eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht, die er am 15.1.2018 widerrief. Am 9.3.2018 erteilte der Betroffene seinem Sohn, dem Beteiligten zu 2), eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.
Auf Anregung der Beteiligten zu 3) leitete das AG im März 2018 ein Betreuungsverfahren ein. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung und der persönlichen Anhörung des Betroffenen bestellte das AG den Beteiligten zu 1) zum Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Widerruf der den Kindern des Betroffenen erteilten Vollmachten. Zudem ordnete es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge an.
Gegen diese Entscheidung legten der Betroffene mit dem Ziel einer Aufhebung der Betreuung und die Beteiligte zu 3) mit dem Ziel, selbst zur Betreuerin bestellt zu werden, Beschwerde ein. Das LG holte ein ergänzendes Gutachten der Sachverständigen ein und vernahm die Notare, die die Vollmachten beurkundet haben, sowie die Hausärztin des Betroffenen als Zeugen. Nach Anhörung des Betroffenen und der mündlichen Erläuterung der Gutachten durch die Sachverständige hob das LG die amtsgerichtliche Entscheidung ersatzlos auf.
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LG ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die von dem Betroffenen zugunsten des Beteiligten zu 2) erteilte General- und Vorsorgevollmacht vom 9.3.2018 wirksam ist, weil es nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen konnte, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war.
Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB war, steht die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann.
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei entscheidet grundsätzlich der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Vorliegend hat das LG ausreichend dargelegt, warum ihm Zweifel auch an einer gegenständlich beschränkten Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Erteilung der General- und Vorsorgevollmacht geblieben sind. Das LG hat dies maßgeblich damit begründet, dass die Sachverständige bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nach der Komplexität des Geschäfts differenziere, indem sie eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt bejahe, jedoch die Geschäftsfähigkeit für das Erteilen einer Generalvollmacht in einer unübersichtlich geregelten finanziellen Situation verneine. Eine solche nach dem Schwierigkeitsgrad des vorgenommenen Geschäfts differenzierende Geschäftsfähigkeit sei rechtlich nicht anerkannt.
Die Begründung des LG lässt in ausreichendem Maß erkennen, dass seine von der Auffassung der Sachverständigen abweichende Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist. Denn das LG nimmt bei dieser Begründung keine eigene medizinische Sachkunde in Anspruch. Die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB ist kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat. Auch die hier für die Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen maßgebliche Frage, ob eine Person allgemein für alle schwierigen Geschäfte geschäftsunfähig, für alle einfacheren Geschäfte dagegen geschäftsfähig sein kann, ist eine rechtliche. Sie geht dahin, ob es nach dem Gesetz auch eine partielle Geschäftsunfähigkeit gibt, die nicht nach bestimmten gegenständlichen Bereichen, sondern nach dem Schwierigkeitsgrad der in Frage stehenden Rechtsgeschäfte abgegrenzt wird. Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat sich das LG bei der Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen im Wesentlichen gestützt.
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Der Betroffene leidet u.a. an einer kognitiven Störung im Rahmen einer vaskulären Enzephalopathie bei ausgedehnter cerebraler Mikroangiographie. Am 30.9.2015 erteilte er der Beteiligten zu 3) eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht, die er am 15.1.2018 widerrief. Am 9.3.2018 erteilte der Betroffene seinem Sohn, dem Beteiligten zu 2), eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.
Auf Anregung der Beteiligten zu 3) leitete das AG im März 2018 ein Betreuungsverfahren ein. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung und der persönlichen Anhörung des Betroffenen bestellte das AG den Beteiligten zu 1) zum Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Widerruf der den Kindern des Betroffenen erteilten Vollmachten. Zudem ordnete es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge an.
Gegen diese Entscheidung legten der Betroffene mit dem Ziel einer Aufhebung der Betreuung und die Beteiligte zu 3) mit dem Ziel, selbst zur Betreuerin bestellt zu werden, Beschwerde ein. Das LG holte ein ergänzendes Gutachten der Sachverständigen ein und vernahm die Notare, die die Vollmachten beurkundet haben, sowie die Hausärztin des Betroffenen als Zeugen. Nach Anhörung des Betroffenen und der mündlichen Erläuterung der Gutachten durch die Sachverständige hob das LG die amtsgerichtliche Entscheidung ersatzlos auf.
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LG ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die von dem Betroffenen zugunsten des Beteiligten zu 2) erteilte General- und Vorsorgevollmacht vom 9.3.2018 wirksam ist, weil es nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen konnte, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war.
Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB war, steht die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann.
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei entscheidet grundsätzlich der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Vorliegend hat das LG ausreichend dargelegt, warum ihm Zweifel auch an einer gegenständlich beschränkten Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Erteilung der General- und Vorsorgevollmacht geblieben sind. Das LG hat dies maßgeblich damit begründet, dass die Sachverständige bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nach der Komplexität des Geschäfts differenziere, indem sie eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt bejahe, jedoch die Geschäftsfähigkeit für das Erteilen einer Generalvollmacht in einer unübersichtlich geregelten finanziellen Situation verneine. Eine solche nach dem Schwierigkeitsgrad des vorgenommenen Geschäfts differenzierende Geschäftsfähigkeit sei rechtlich nicht anerkannt.
Die Begründung des LG lässt in ausreichendem Maß erkennen, dass seine von der Auffassung der Sachverständigen abweichende Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist. Denn das LG nimmt bei dieser Begründung keine eigene medizinische Sachkunde in Anspruch. Die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB ist kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat. Auch die hier für die Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen maßgebliche Frage, ob eine Person allgemein für alle schwierigen Geschäfte geschäftsunfähig, für alle einfacheren Geschäfte dagegen geschäftsfähig sein kann, ist eine rechtliche. Sie geht dahin, ob es nach dem Gesetz auch eine partielle Geschäftsunfähigkeit gibt, die nicht nach bestimmten gegenständlichen Bereichen, sondern nach dem Schwierigkeitsgrad der in Frage stehenden Rechtsgeschäfte abgegrenzt wird. Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat sich das LG bei der Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen im Wesentlichen gestützt.