30.03.2020

Zusammenstoß von Drache und Gleitschirm in Italien: Deutsche Gerichte müssen Vorflugregeln des italienischen Luftrechts anwenden

Bei der Entscheidung über Schadensersatzansprüche aus einem Flugunfall in Norditalien haben deutsche Gericht zwar Anspruchsgrundlagen des deutschen Rechts anzuwenden, dabei aber auch die Sicherheits- und Verhaltensregeln nach italienischem Luftrecht zu berücksichtigen.

OLG Köln v. 27.3.2020 - 1 U 95/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger war in Norditalien mit einem Hängegleiter (Drachen) unterwegs, der Beklagte mit einem Gleitschirm. Es herrschte reger Flugbetrieb mit mehr als zehn Gleitschirmen in der Luft, als die Parteien bei schwacher Thermik in rd. 80 Meter Höhe kollidierten. Der Drache des Klägers wurde auf den Rücken gedreht, der Kläger fiel von oben in das Segel und stürzte ab. Trotz der Höhe zog er sich lediglich Prellungen und eine Stauchung des linken Handgelenks zu. Der Beklagte konnte seinen Rettungsschirm öffnen und blieb unverletzt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte den Unfall verschuldet habe, und begehrt Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 1.500 € sowie Ersatz weiterer Schäden i.H.v. rd. 5.000 €.

Das LG wies die Klage blieb ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegenüber dem Beklagten.

Die deutschen Gerichte haben bei ihrer Entscheidung zwar Anspruchsgrundlagen des deutschen Rechts anzuwenden, dabei aber auch die Sicherheits- und Verhaltensregeln nach italienischem Luftrecht zu berücksichtigen. Nach dem einschlägigen italienischen Präsidialdekret und den Ausweichregeln der Nationalen Anstalt für die Zivilluftfahrt haben nicht motorisierte Fluggeräte, welche in einem thermischen Aufwind in einer kreisförmig nach oben steigenden Drehung fliegen, das Vorflugrecht. Andere nicht motorisierte Fluggeräte müssen ausweichen. Dabei gibt derjenige den Drehsinn vor, der sich als erster in dem thermischen Aufwind befindet. Außerdem gilt die allgemeine Sichtflugregelung, wonach fortgesetzter Blickkontakt mit möglichen anderen Formen des Luftverkehrs erforderlich ist, sowie ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme.

Bei der Klärung des Sachverhalts konnte das Gericht mit Hilfe eines Sachverständigen die von den Instrumenten aufgezeichneten Flugwege der Parteien nachvollziehen. Danach hat nicht der Beklagte, sondern der Kläger gegen die Flugregeln verstoßen. Der Beklagte befand sich schon vor dem Kläger im Bereich der Thermik und war im Steigflug, als sich der Kläger rund zehn Sekunden vor der Kollision mit einer gefährlichen Rechtskurve vor den Gleitschirm des Beklagten setzte. Da der Kläger anstatt um das gemeinsame Drehzentrum der Thermik zu kreisen auf dieses zugeflogen ist, Wirbelschleppen erzeugt hat, die den Gleitschirm ins Straucheln hätten bringen können, nicht stets einen Überblick über die in seiner Nähe befindlichen anderen Piloten hatte und gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen hat, trifft ihn ein erhebliches Verschulden an dem Unfall.

Weiterhin war zu berücksichtigen, dass ein Drache grundsätzlich eine höhere Betriebsgefahr hat, da er schneller fliegt als Gleitschirme und dem Piloten nur eine eingeschränkte Sicht ermöglicht. Die nach § 41 LuftVG grundsätzlich zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Gleitschirms des Beklagten trat dahinter vollständig zurück.
OLG Köln PM vom 27.3.2020
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