27.09.2024

Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans

Eine im WEG oder in einer Vereinbarung vorgesehene Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer umfasst sowohl die erste Beschlussfassung als auch erneute Beschlussfassungen über die bereits geregelte Angelegenheit. Die Wohnungseigentümer können nach dem seit dem 1.12.2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht auch nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans fassen; die hierfür erforderliche Beschlusskompetenz folgt aus § 28 Abs. 1 WEG. Ein Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans wird regelmäßig nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des Erstbeschlusses bestehen und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend berücksichtigt werden.

BGH v. 20.9.2024 - V ZR 235/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin zu 1) ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Seit dem 8.2.2016 war sie Eigentümerin von zunächst 44 Tiefgaragenstellplätzen. Zu den Eigentümerversammlungen der Jahre 2015 bis 2018, in denen u.a. die Wirtschaftspläne für die Jahre 2016, 2017 und 2018 beschlossen wurden, waren die Klägerin zu 1) und deren Rechtsvorgängerin nicht geladen worden. Die Beklagte erhob Klage gegen die Rechtsvorgängerin der Klägerin zu 1) auf Zahlung der Hausgelder für die Jahre 2013 bis 2018. Die Klägerin zu 1), welche dem Rechtsstreit auf Seiten ihrer Rechtsvorgängerin als Nebenintervenientin beigetreten war, wandte ein, das die Beschlüsse über die Wirtschaftspläne nichtig seien. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich. Im Jahr 2021 veräußerte die Klägerin zu 1) einen ihrer Tiefgaragenstellplätze an die Klägerin zu 2).

In der Eigentümerversammlung vom 20.6.2022 wurde zu TOP 10 folgender Beschluss gefasst: "Die Eigentümer genehmigen die Vorschüsse auf die Kosten und die Rücklage auf Grund des vom Verwalter erstellten Wirtschaftsplanes für das Jahr 2016 mit Druckdatum vom 17.05.2022. Noch offene Forderungen auf die beschlossenen Vorschüsse werden zur sofortigen Zahlung in voller Höhe fällig gestellt. Bereits geleistete Zahlungen werden in voller Höhe auf die Vorschüsse für das Jahr 2016 verrechnet." Gleichlautende Beschlüsse wurden für das Jahr 2017 (TOP 11) und das Jahr 2018 (TOP 12) gefasst. Die Klägerinnen wenden sich gegen die zu TOP 10, 11 und 12 gefassten Beschlüsse mit der Beschlussmängelklage.

AG und LG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des LG besteht die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer für die angefochtenen Beschlüsse.

Die Wohnungseigentümer können nach dem seit dem 1.12.2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht auch nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans fassen; die hierfür erforderliche Beschlusskompetenz folgt aus § 28 Abs. 1 WEG. Diese Bestimmung ist als das im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltende Recht maßgeblich. Nach der Rechtsprechung des Senats sind die Wohnungseigentümer grundsätzlich befugt, über eine schon geregelte gemeinschaftliche Angelegenheit erneut zu beschließen, ohne dass es darauf ankommt, aus welchen Gründen sie eine erneute Beschlussfassung für angebracht halten. Die autonome Beschlusszuständigkeit der GdWE, auf die der Senat in diesem Zusammenhang wiederholt verwiesen hat, begründet keine Beschlusskompetenz, sondern setzt vielmehr eine solche voraus. Durch Beschlussfassung können nur solche Angelegenheiten geordnet werden, über die nach dem WEG oder nach einer Vereinbarung durch Beschluss entschieden werden darf.

Eine im WEG oder in einer Vereinbarung vorgesehene Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer umfasst sowohl die erste Beschlussfassung als auch erneute Beschlussfassungen über die bereits geregelte Angelegenheit; infolgedessen betrifft die Frage, ob die Wohnungseigentümer einmal oder mehrfach über dieselbe Angelegenheit entscheiden dürfen, nicht die Beschlusskompetenz, sondern die ordnungsmäßige Verwaltung. Geht es - wie hier - um den Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans, folgt die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer aus § 28 Abs. 1 WEG. Nur wenn die Beschlusskompetenz besteht, können die Wohnungseigentümer in eigener Autonomie entscheiden, ob sie von ihrer gesetzlich zugewiesenen Beschlusskompetenz erneut Gebrauch machen und einen Zweitbeschluss fassen.

Ein zwischenzeitlicher Eigentumswechsel lässt die Kompetenz der Wohnungseigentümer für einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans aus § 28 Abs. 1 WEG nicht entfallen. Der Senat hat es bislang bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Zweitbeschlusses ersichtlich nicht für relevant gehalten, ob es bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung einen Eigentumswechsel gegeben hat. Richtig ist allerdings, dass der rechtsgeschäftliche Erwerber eines Wohnungseigentums nicht schon von Gesetzes wegen für die Hausgeldrückstände seines Rechtsvorgängers haftet. Eine Haftung kann auch nicht durch Mehrheitsbeschluss, sondern nur durch Vereinbarung begründet werden. Hier geht es jedoch nicht darum, durch die angefochtenen Zweitbeschlüsse eine Haftung für rückständige Hausgeldzahlungen eines Rechtsvorgängers zu begründen. Vielmehr wurden die Vorschusspflichten auf Grundlage der Wirtschaftspläne der Jahre 2016 bis 2018 insgesamt neu beschlossen. Das erlaubt § 28 Abs. 1 WEG. Eine etwaige Erwerberhaftung ist lediglich mittelbare Folge des Zweitbeschlusses. Soweit sich das Urteil des Senats vom 9.3.2012 (V ZR 147/11) dahingehend verstehen lässt, dass ein mehrheitlich gefasster, auf den Wirtschaftsplan bezogener Zweitbeschluss generell mangels Beschlusskompetenz nichtig ist, wenn er zu einer Haftung eines Wohnungseigentümers für die Rückstände seines Rechtsvorgängers führt, hält der Senat daran nicht fest.

Bei der Frage, ob ein auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 WEG gefasster Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, kann im Ausgangspunkt auf die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Zulässigkeit einer erneuten Beschlussfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft zurückgegriffen werden. Jeder Wohnungseigentümer kann nach § 18 Abs. 2, § 19 Abs. 1 WEG verlangen, dass der neue Beschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses berücksichtigt. Angesichts der Gefahr, dass mittelbar eine Erwerberhaftung begründet wird und die Verjährungsvorschriften umgangen werden, ist bei der Entscheidung über einen auf den Wirtschaftsplan bezogenen Zweitbeschluss Zurückhaltung geboten; ob die Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, lässt sich nur nach sorgfältiger Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls feststellen. Ein Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans wird regelmäßig nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des Erstbeschlusses bestehen und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend berücksichtigt werden.

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