22.06.2012

Heimliche Videoüberwachung kann auch in öffentlich zugänglichen Räumen zulässig sein

Auch in öffentlich zugänglichen Räumen (hier: Kassenbereich eines Supermarktes) kann eine heimliche Videoüberwachung zulässig sein. § 6b Abs. 2 BDSG steht dem jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gibt und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.

BAG 21.6.2012, 2 AZR 153/11
+++ Der Sachverhalt:
Die Klägerin war in dem Einzelhandelsunternehmen der Beklagten als stellvertretende Filialleiterin beschäftigt. Im Dezember 2008 installierte die Beklagte mit Zustimmung des Betriebsrats für drei Wochen verdeckte Videokameras in den Verkaufsräumen. Sie hat geltend gemacht, es habe der Verdacht bestanden, dass Mitarbeiterdiebstähle zu hohen Inventurdifferenzen beigetragen hätten.

Die Beklagte meinte, auf einem Videomitschnitt erkannt zu haben, dass die Klägerin bei zwei Gelegenheiten jeweils mindestens eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestand entwendet hatte, und kündigte der Klägerin deshalb fristlos, hilfsweise fristgerecht. Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage bestritt die Klägerin, Zigaretten entwendet zu haben.

Das LAG erachtete den Kündigungsvorwurf nach Einnahme des Augenscheins in die Videoaufzeichnungen als erwiesen und wies die Klage gegen die - allein noch im Streit stehende - ordentliche Kündigung ab. Auf die Revision der Klägerin hob das BAG diese Entscheidung auf und wies die Sache zur weiteren Aufklärung an das LAG zurück.

+++ Die Gründe:
Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wirksam gekündigt hat. Zwar ist die Würdigung des LAG nicht zu beanstanden, dass die Kündigung nach dem zugrunde gelegten Sachverhalt sozial gerechtfertigt ist. Sollte feststehen, dass die Klägerin die Zigarettenpackungen aus dem Warenbestand der Beklagten entwendet hat, so würde dies trotz der zehnjährigen Betriebszugehörigkeit der Klägerin eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

Es steht aber noch nicht fest, ob die Voraussetzungen für eine prozessuale Verwertung der Videoaufzeichnungen erfüllt sind. Einer Verwertung von heimlichen Videoaufnahmen kann das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer entgegenstehen. Das Interesse des Arbeitgebers hat in solchen Fällen nur dann höheres Gewicht, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Dies ist bei verdeckter Videoüberwachung nur dann der Fall, wenn

  • der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers bestand,
  • es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger  einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und
  • die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war.

Unter diesen strengen Voraussetzungen stehen auch Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) der verdeckten Videoüberwachung an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen nicht entgegen. Zwar regelt § 6b Abs. 2 BDSG, dass bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle erkennbar zu machen sind. Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht wird aber nicht jedwede Videoüberwachungsmaßnahme an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen per se unzulässig.

Die Sache war an das LAG zurückzuverweisen, da noch weitere tatsächliche Feststellungen dazu erforderlich sind, ob die Voraussetzungen für die prozessuale Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen im Streitfall erfüllt waren.

+++ Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.

BAG PM Nr. 49 vom 21.6.2012
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