29.05.2019

Rechtliche Neuerungen für Whistleblowing

Portrait von Jörg Soehring
Jörg Soehring Rechtsanwalt

Begriff und Tatbestand des „Whistleblowing“ sind ein gewichtiger Baustein im Gebäude des Journalismus in einer demokratischen Gesellschaft. Ohne den Verrat von Amts-, Dienst- oder Geschäftsgeheimnissen durch Angehörige der betroffenen Dienststellen oder Unternehmen wären gravierende Rechtsverletzungen durch staatliche Stellen oder privatrechtlich verfasste Unternehmen niemals an die Öffentlichkeit gelangt. Der Fall Strache/Ibiza ist nur der jüngste Beleg hierfür. Fälle wie Watergate, Panama- oder Afghanistan Papers, Neue Heimat, die Parteispendenfälle in den 80iger Jahren des 20. Jahrhunderts und die Abgasmanipulationen in Dieselfahrzeugen durch Großkonzerne der Automobilindustrie in der Gegenwart sind jedem geläufig.

Für die Medien hat der deutsche Gesetzgeber im Anschluss an das Cicero-Urteil des BVerfG (BVerfG v. 27.2.2017 – 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06 ) mit erheblicher Verzögerung in einer Reihe von Ergänzungen der bundesrechtlichen Verfahrensordnungen anerkannt, dass die redaktionelle Verwendung durch Whistleblowing generierten Materials nicht strafbar ist und insb. nicht unter dem Aspekt der von Instanzgerichten und Strafverfolgungsbehörden über längere Zeit bemühten sog. sukzessiven Beihilfe strafrechtlich geahndet werden kann. Für die Whistleblower selbst ist das nach eingeführter Rechtspraxis hingegen anders. Sie werden als Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen wegen des Verrats von Amts- oder Dienstgeheimnissen (§ 353b StGB), als Mitarbeiter privater Unternehmen wegen der Verletzung arbeitsrechtlicher Verschwiegenheits- und Treupflichten und nach bisherigem Recht u. U. wegen Verletzung von §§ 17-19 UWG a. F.  zur Rechenschaft zu ziehen sein. Noch in einem Urteil vom 27.2. 2018 hat sich der EGMR (NJW 2019, 1273) mit einem Fall des Whistleblowing durch einen Angehörigen des öffentlichen Diensts der Republik Moldau befasst. In Übereinstimmung mit der alten Pätsch-Entscheidung des BVerfG (NJW 1970, 1498) sieht der Gerichtshof das Whistleblowing nur in extremen Ausnahmefällen als rechtmäßig an. Nur wenn es sich um gravierende Missstände mit entsprechenden Auswirkungen auf das Gemeinwohl handelt und der Whistleblower mit seiner Aufdeckung der entsprechenden Informationen behördenintern den Instanzenweg bis zur Ministerebene durchlaufen hat und mit Abhilfevorschlägen gescheitert ist, kann seine Verurteilung wegen Verletzung der entsprechenden Geheimnisschutzvorschriften u. U. als Eingriff in seine Kommunikationsgrundrechte aus Art. 10 EMRK, 5 GG rechtswidrig sein. Für den privaten Bereich konnte im Ergebnis nichts anderes gelten.

Das hat sich, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, mit Inkrafttreten des der Umsetzung der Richtlinie (EU)2016/943 dienenden Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG) v. 19.4.2019 und der gleichzeitigen Aufhebung von §§ 17-19 UWG jetzt jedenfalls graduell geändert. Nach § 5 Nr. 2  GeschGehG ist die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit, abweichend vom Grundtatbestand des § 4 GeschGehG, nicht verboten. Ob sie im Einzelfall zulässig ist, ist zwar weiterhin im Wege der Abwägung des Interesses des Berechtigten an der Geheimhaltung gegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu ermitteln. Da aber der Gesetzgeber die Rechtmäßigkeit des Whistleblowing jetzt erstmals ausdrücklich anerkennt, werden die Hürden für eine straf- oder zivilrechtliche Sanktionierung dieses Verhaltens künftig höher hängen als noch in der Entscheidung des EGMR v. 27.2.2018 angenommen.

Damit ist die Entwicklung dieses Komplexes aber nicht abgeschlossen. Mit Inkrafttreten der am 16.4.2019 vom europäischen Parlament verabschiedeten sog. Whistleblowing-Richtlinie und deren Umsetzung in nationales Recht werden Whistleblower künftig effektiv und umfassend u. a. in ihrer gewollten Anonymität und insb. gegen jede Art von Vergeltungsmaßnahmen geschützt. Für Medienunternehmen, die über im Weg des Whistleblowing bekannt werdende Missstände berichten, ändert sich nach neuem und künftigen Recht nichts. Die Wirtschaft insgesamt und die Träger der öffentlichen Verwaltung aber werden sich darauf einrichten müssen, dass der Wind für sie im Umgang mit denjenigen, die insb. Journalisten über rechtswidrige oder aus anderen Gründen zu beanstandende Interna mit Relevanz für die Öffentlichkeit unterrichten, deutlich rauer werden wird.

2019/05/5df38d0aec566041922682-213x300.jpg

Mit dem redaktionellen Umgang der Medien mit Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen befasst sich die 6. Auflage von "Presserecht – Recherche, Darstellung und Haftung im Recht der Presse, des Rundfunks und der neuen Medien" unter Rz. 7.37 ff.

Zurück