27.06.2023

Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns: Was nun (nicht) zu tun ist

Portrait von Wolfgang Kleinebrink
Wolfgang Kleinebrink

Die für die Anpassung des Mindestlohns gesetzlich zuständige Kommission, die sog. Mindestlohnkommission, hat am 26. Juni 2023 beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn in zwei Stufen zu erhöhen.

Die zukünftige Höhe des gesetzlichen Mindestlohns

Demzufolge wird der Mindestlohn von bisher 12,00 € brutto

  • zum 1. Januar 2024 auf 12,41 € brutto und
  • zum 1. Januar 2025 auf 12,82 € brutto je Zeitstunde

festgesetzt.

Das regelmäßige Anpassungsverfahren wurde durch die Anhebung des Mindestlohns von 10,45 € auf 12,00 € brutto je Zeitstunde durch den Deutschen Bundestag im Oktober 2022 vorübergehend ausgesetzt.

Was muss die Bundesregierung nun machen?

Im nächsten Schritt muss dann nach § 11 Abs. 1 MiLoG die Bundesregierung die vorgeschlagene Anpassung des Mindestlohns ohne Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung für alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer verbindlich machen. Sie kann sich über den Vorschlag nicht hinwegsetzen. Für sie besteht nur die Möglichkeit, dem Vorschlag zu folgen oder nichts zu unternehmen. Eine eigene Mindestlohnregelung steht ihr nicht zu. Soweit in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass das Bundesarbeitsministerium einen eigenen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Höhe hat, ist dies folglich unzutreffend.

Was müssen Arbeitgeber nun machen?

Erhält ein Arbeitnehmer einen Stundenlohn, der unter dem neuen gesetzlichen Mindestlohn liegt, bedeutet dies nicht, dass ein Arbeitgeber ohne weiteres verpflichtet ist, diesen Stundenlohn entsprechend zu erhöhen (ausf. zu den Folgen einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns Kleinebrink, DB 2022, 2279 ff.).

Unterschreitet ein vereinbartes Arbeitsentgelt den gesetzlichen Mindestlohn, ist die entsprechende Regelung nach § 3 Satz 1 MiLoG nicht in ihrer Gesamtheit, sondern nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nur „insoweit“ unwirksam. Dies ist deshalb wichtig, weil es folglich nicht zwingend notwendig ist, eine Vereinbarung, die den gesetzlichen Mindestlohn unterschreitet, abzuändern oder zumindest die Höhe des gesetzlichen Entgelts anzuheben.

Ein Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit zukünftig 12,41 € brutto bzw. 12,82 € brutto ergibt. Materiell-rechtlich tritt der gesetzliche Anspruch auf den Mindestlohn eigenständig neben den arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch im Sinne des § 611a BGB (BAG, Beschl. v. 27.4.2021 – 1 ABR 21/20, ArbRB 2021, 236 [Markowski]). Der Arbeitgeber schuldet deshalb nicht zusätzlich zu der bisherigen Vergütung den gesetzlichen Mindestlohn, sondern nur ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Unerheblich ist grundsätzlich, auf welcher Rechtsgrundlage die einzelnen Zahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers beruhen und welche Bezeichnungen die einzelnen Entgeltbestandteile haben. Entscheidend ist immer nur das, was beim Arbeitnehmer mindestlohnwirksam ankommt (ausf. Kleinebrink, DB 2022, 2279, 2283).

Reicht die für eine geleistete Arbeitsstunde vertraglich vereinbarte oder tarifvertraglich vorgesehene Grundvergütung nicht aus, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn zu erfüllen, steht dem Arbeitnehmer folglich nicht ohne weiteres ein Differenzanspruch zu. Denkbar ist nämlich, dass der Arbeitgeber nach § 611a Abs. 2 BGB neben der Grundvergütung weitere Vergütungsbestandteile schuldet, die ebenfalls zu berücksichtigen sind.

Mindestlohnwirksam sind, sofern keine anderslautende vertragliche oder kollektivrechtliche Regelung besteht, insbesondere (ausf. Kleinebrink, DB 2022, 2279, 2283 f.):

  • Zuschläge für Arbeit an Sonn- und Feiertagen
  • Anwesenheitsprämie
  • Zulagen für erbrachte Spätschichten
  • Treueprämie
  • Schichtzulagen
  • Erschwerniszulagen
  • Leistungszulagen
  • Schmutzzulagen
Was müssen Tarifpartner nun machen?

Sehen tarifvertragliche Vergütungssysteme einen geringeren Stundenlohn als den neuen gesetzlichen Mindestlohn vor, sind diese ebenfalls nicht unwirksam. Auch in diesem Fall muss lediglich geprüft werden, ob bereits der Tarifvertrag Sonderzahlungen enthält, die mindestlohnwirksam sind.

Beispiel:

In einem Tarifvertrag ist in der untersten Lohngruppe eine Vergütung in Höhe von 12 € je Arbeitsstunde vorgesehen. Daneben sieht der entsprechende Tarifvertrag eine Leistungszulage in Höhe von 1 € vor. Erhält ein Arbeitnehmer diese Leistungszulage immer neben seinem tarifvertraglichen Stundenlohn, hätte er eine höhere Vergütung als vom MiLoG gefordert.

Sieht der Tarifvertrag keine solche zusätzliche Sondervergütung vor, muss der Arbeitgeber den Differenzanspruch erfüllen. Auch in diesem Fall bleibt folglich die tarifvertragliche Regelung zur Vergütung wirksam.

Beispiel:

In einem Tarifvertrag ist in der untersten Lohngruppe eine Vergütung in Höhe von 12 € je Arbeitsstunde vorgesehen. Daneben sieht der entsprechende Tarifvertrag keine mindestlohnwirksame Sondervergütung vor. Die tarifvertragliche Regelung bleibt wirksam. Der Arbeitgeber muss den tarifvertraglich vorgesehenen Stundenlohn um 0,41 € bzw. 0,82 € aufstocken.

Obwohl tarifvertragliche Bestimmungen durch die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns nicht unwirksam werden, kann es sinnvoll sein, klarstellend im Tarifvertrag zu erwähnen, dass Arbeitnehmer, die unter dessen Geltungsbereich fallen, zumindest den jeweiligen gesetzlichen Mindestlohn erhalten.

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