19.04.2023

Arbeitszeiterfassung: Ein noch nicht abgestimmter Regierungsentwurf liegt nun vor

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Wolfgang Kleinebrink

Das BAG hat bekanntlich am 13.9.2022 – 1 ABR 22/21 (ArbRB 2023, 9 [Hülbach] und Lunk, ArbRB 2023, 13 ff.) entschieden, dass Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Allerdings hat es dem Arbeitgeber einen Spielraum belassen. Der Arbeitgeber muss die Arbeitszeiterfassung nicht zwingend elektronisch vornehmen. Außerdem kann er die Erfassung der Arbeitszeit auf Arbeitnehmer delegieren und sich auf stichprobenartige Kontrollen beschränken. Aus der Herleitung der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung aus dem ArbSchG folgt außerdem, dass einem Arbeitgeber nicht unmittelbar Bußgelder drohen, wenn er gegen diese Verpflichtung verstößt. Das ArbSchG enthält ebenso wie andere Gesetze keinen entsprechenden Bußgeldtatbestand. Erst wenn die zuständige Behörde im Einzelfall nach § 22 Abs. 3 ArbSchG entsprechende Anordnungen trifft und der Arbeitgeber diese nicht beachtet, liegt nach § 25 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG eine Ordnungswidrigkeit vor. Mit dieser Entscheidung hat das BAG aus seiner Sicht ein Urteil des EuGH vom 14.5.2019 – C-55/18 – CCOO, ArbRB 2019, 162 [Marquardt]) gleichsam in nationales Recht umgesetzt.

„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften“

Das BMAS will nun durch Änderungen im Arbeitszeitgesetz die Arbeitszeiterfassung umfangreich gesetzlich regeln. Es liegt ein Referentenentwurf des Ministeriums vom 18.4.2023 vor, der allerdings innerhalb der Bundesregierung nach Presseangaben noch nicht abgestimmt ist. Dieser Entwurf geht weit über das Notwendige hinaus. Insbesondere setzt er nicht lediglich die Vorgaben des EuGH und des BAG „eins zu eins“ um. Er enthält im Wesentlichen folgende – hauptsächlich in § 16 ArbZG – beabsichtigte Änderungen:

Grundsatz: Tägliche elektronische Zeiterfassung

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen. Er hat ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit eingewilligt haben. Der Arbeitgeber hat die Arbeitszeitnachweise nach den vorherigen Vorschriften mindestens zwei Jahre aufzubewahren.

In der Begründung des Entwurfs wird näher ausgeführt, was unter einer elektronischen Zeiterfassung zu verstehen sein soll. Eine bestimmte Art der elektronischen Aufzeichnung wird demnach nicht vorgeschrieben. Neben den bereits gebräuchlichen Zeiterfassungsgeräten sollen auch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung mithilfe von elektronischen Anwendungen wie Apps auf einem Mobiltelefon oder die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme in Betracht kommen. Demnach wären Eintragungen in Excel-Tabellen ausreichend.

Damit wäre es nicht mehr – wie nach der BAG-Entscheidung denkbar – für Arbeitgeber möglich, ohne Weiteres eine händische Aufzeichnung vorzunehmen. Die tägliche Aufzeichnungspflicht stellt darüber hinaus eine nicht nachvollziehbare Einschränkung dar. Sie hat ihr Vorbild in der GSA Fleisch. Diese trägt aber allein den Besonderheiten einer missbrauchsanfälligen Branche Rechnung und kann nicht verallgemeinert werden. Eine solche Verpflichtung zur täglichen Aufzeichnung lässt sich der Rechtsprechung und den europarechtlichen Vorgaben nicht entnehmen.

Ausnahme von der elektronischen Erfassung durch Tarifvertrag

In einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann zugelassen werden, dass die elektronische Aufzeichnung in nichtelektronischer Form erfolgen kann.

Bedenkt man, mit welcher Härte von Seiten der Gewerkschaften derzeit Tarifverhandlungen geführt werden, ist es kaum vorstellbar, dass diese sich eine entsprechende Einschränkung des Geltungsbereichs nicht durch anderweitige Zugeständnisse ausgleichen lassen wollen.

Ausnahme von der täglichen Erfassung durch Tarifvertrag

In einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann zugelassen werden, dass die Aufzeichnung an einem anderen Tag erfolgen kann, spätestens aber bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertag.

Auch insoweit wird es nicht ohne weiteres möglich sein, eine entsprechende Regelung mit einer Gewerkschaft zu treffen.

Persönlicher Geltungsbereich

Aufgrund der beabsichtigten Änderung des Arbeitszeitgesetzes wird auch § 18 ArbZG einschlägig sein. Demnach gilt die elektrische Zeiterfassung dann insbesondere nicht für leitende Angestellte im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.

Ferner kann in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zugelassen werden, dass die Pflicht zur elektronischen Aufzeichnung nicht bei Arbeitnehmern gilt, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann. Auch insoweit kann folglich gegen den Willen der Gewerkschaft keine weitere Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs erfolgen.

Ausnahme Kleinbetriebsklausel

Ein Arbeitgeber mit bis zu zehn Arbeitnehmern kann die Arbeitszeit in nichtelektronischer Form aufzeichnen; dies gilt entsprechend für einen Arbeitgeber ohne Betriebsstätte im Inland, wenn er bis zu zehn Arbeitnehmer nach Deutschland entsendet. Bei Hausangestellten in einem Privathaushalt kann die Arbeitszeit in nichtelektronischer Form aufgezeichnet werden.

Möglichkeit der Delegation

Die Aufzeichnung kann allerdings durch den Arbeitnehmer oder einen Dritten erfolgen; der Arbeitgeber bleibt dann aber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich. Unter „einen Dritten“ werden zum Beispiel Vorgesetzte fallen.

Nicht erläutert wird, was unter dieser Verantwortung zu verstehen ist. Die Begründung des Entwurfs ist nicht nachvollziehbar. Dort heißt es, dass der Arbeitgeber gegebenenfalls die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Führung der Aufzeichnungen anzuleiten hat. Stellt man allein darauf ab, wäre dadurch der Verantwortung des Arbeitgebers Genüge getan. Es ist aber zu bezweifeln, ob dies so gemeint sein soll.

Bedenken muss man, dass der Arbeitgeber keinerlei Einfluss darauf hat, wie sorgfältig der Arbeitnehmer im konkreten Fall die Arbeitszeiterfassung vornimmt. Er kann sich lediglich auf Stichproben beschränken. Würde man einen strengeren Maßstab anlegen, käme man gleichsam zu einer nicht vermeidbaren Haftung des Arbeitgebers. Ähnlichkeiten mit der Verantwortung des Arbeitgebers für die ordnungsgemäße Datenverarbeitung des Betriebsrats nach § 79a BetrVG würden wach. Eine solche Haftung des Arbeitgebers verlangen europarechtliche Vorgaben ebenso wenig wie die bisherige Rechtsprechung. Sie ist nicht sinnvoll. Die Möglichkeit zur Delegation würde dadurch wertlos.

Folgen eines Verzichts der Kontrolle durch den Arbeitgeber

Wenn die Aufzeichnung durch den Arbeitnehmer erfolgt und der Arbeitgeber auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichtet, hat er durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden.

Hiermit ist die Vertrauensarbeitszeit gemeint. Dies folgt aus der Begründung zum Referentenentwurf. Der Konflikt einer Arbeitszeiterfassung mit der Vertrauensarbeitszeit soll sich dadurch lösen lassen, dass eine elektronische Aufzeichnung es dem Arbeitgeber erleichtern soll, die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit aufzuzeichnen, ohne die vertragliche Arbeitszeit kontrollieren zu müssen. Diese Begründung ist nicht nachvollziehbar. Aus Sicht des betroffenen Arbeitnehmers äußert ein Arbeitgeber sein Misstrauen ihm gegenüber unabhängig davon, aus welchen Gründen die Arbeitszeiterfassung erfolgen soll. Von Vertrauensarbeitszeit kann dann nicht mehr gesprochen werden.

Informationspflicht auf Verlangen des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren. Er hat dem Arbeitnehmer auf Verlangen eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen. Hierdurch wird ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand geschaffen. Der Arbeitnehmer hat es selbst in der Hand, eigene Aufzeichnungen zu erstellen.

Bereithaltungspflicht: Gegenstand, Dauer und Ort

Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, die für die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften erforderlichen Aufzeichnungen im Inland für die gesamte Dauer der tatsächlichen Beschäftigung der Arbeitnehmer im Geltungsbereich dieses Gesetzes, mindestens für die Dauer der gesamten Werk- oder Dienstleistung, insgesamt jedoch nicht länger als zwei Jahre in deutscher Sprache bereitzuhalten. Auf Verlangen der Aufsichtsbehörde sind die Unterlagen auch am Ort der Beschäftigung bereitzuhalten, bei Bauleistungen auf der Baustelle.

Übergangsfristen für die elektronische Zeiterfassung nach Inkrafttreten

Der Entwurf sieht differenzierte Übergangsfristen vor:

  • Grundsätzlich ein Jahr.
  • Für Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmern zwei Jahre.
  • Für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern fünf Jahre.
Sonderregelungen für Beschäftigung im Straßentransport

Für Beschäftigungen im Straßenverkehr sieht der Entwurf abweichende Sonderregelungen vor.

Sanktionen

Eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 30.000,- € geahndet werden kann, begeht der Arbeitgeber, der vorsätzlich oder fahrlässig

  • die Aufzeichnungen nicht oder nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erstellt oder nicht, nicht vollständig oder nicht mindestens zwei Jahre aufbewahrt oder Aufzeichnungen nicht, nicht vollständig oder nicht für die vorgeschriebene Dauer bereithält,
  • nicht über die aufgezeichnete Arbeitszeit informiert oder keine Kopie zur Verfügung stellt.
Änderungen im Jugendarbeitsschutzgesetz

Im Jugendarbeitsschutzgesetz sollen vergleichbare Änderungen erfolgen.

Beurteilung

Der Referentenentwurf geht erheblich über die Anforderungen hinaus, die die Rechtsprechung für eine ordnungsgemäße Arbeitszeiterfassung verlangt.

Die nach der Rechtsprechung des BAG mögliche händische Aufzeichnung ist regelmäßig nur dann möglich, wenn eine entsprechende tarifvertragliche Einigung mit der Gewerkschaft erzielt wurde, mit der allerdings unter den gegebenen Umständen und ohne Gegenleistung nicht zu rechnen ist.

Die Delegation der Arbeitszeiterfassung auf die Arbeitnehmer ist aufgrund der zulasten des Arbeitgebers vorgesehenen Anforderungen nicht mehr praktikabel.

Im Gegensatz zur Herleitung aus dem Arbeitsschutzgesetz sollen nun unmittelbar Bußgeldtatbestände greifen, wenn der Arbeitgeber gegen die neuen gesetzlichen Vorgaben verstößt.

Die Vertrauensarbeitszeit wird unattraktiv, da Arbeitnehmer den Zwang zur Arbeitszeiterfassung als Misstrauen empfinden werden.

Insgesamt werden außerdem zusätzliche bürokratische Anforderungen an den Arbeitgeber gestellt, die die Regierung generell vermeiden wollte.

Es bleibt zu hoffen, dass im weiteren Verfahren eine Rückkehr zu den nach Gesetz und Rechtsprechung zwingend notwendigen Änderungen erfolgt und auch dringend notwendige Flexibilisierungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit zugunsten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschaffen werden. Sinnvoll ist allein ein solches Gesamtpaket, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten.

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