Auch der allzu späte Vergleich bleibt wirksam
Eine prozessual interessante Situation hat das LAG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 10.05.2013 – Az. 6 Sa 19/13 behandelt. Die Parteien hatten vor dem LAG um die Entfernungen von Abmahnungen und die Weiterbeschäftigung gestritten. Das LAG hatte nach dem Verhandlungstermin bis zum 20.04.2012 Gelegenheit gegeben, den gerichtlichen Vergleichsvorschlag aus dem Verhandlungstermin anzunehmen. Verkündungstermin war auf den 04.05.2012 anberaumt. Der Kläger hatte den Vergleich fristgerecht angenommen. Die beklagte Arbeitgeberin hatte sich bis zum 24.04.2012 nicht gemeldet. Der Vorsitzende rief daraufhin deren Prozessbevollmächtigten an und gab bis zum 27.04.2012 Gelegenheit, mitzuteilen, ob der gerichtliche Vergleichsvorschlag doch noch angenommen würde, was dann auch geschah. Am 27.04.2012 hatte der Vorsitzende den Abschluss des Vergleichs mit dem vorgeschlagenen Inhalt festgestellt. Die Parteien hatten diesen Vergleich auch zu großen Teilen vollzogen.
Fast neun Monate später in einem Schriftsatz vom 03.01.2013 griff der Kläger die Wirksamkeit des den Vergleich feststellenden Beschlusses an. Der Vergleich sei erst nach Ablauf der ursprünglich gesetzten Frist erklärt worden. Eine Fristverlängerung sei weder beantragt noch gewährt worden. Der Vergleich sei daher auch unwirksam, also nicht nur, weil sein Prozessbevollmächtigter auch gegen seine ausdrückliche Weisung gehandelt habe.
Der im Prozess geschlossene Vergleich ist ein materiellrechtlicher Vertrag (§ 779 BGB) mit einer prozessualen Doppelfunktion, der neben der materiellrechtlichen Ebene der Parteien auch die prozessuale Ebene - die Prozessbeendigung der Parteien - regelt (BGH, Urt. v. 30.09.2005, BGHZ 164, 190). Für den Vergleichsabschluss kommen daher neben den §§ 145 ff. BGB auch die Anforderungen für eine Prozesshandlung (§§ 50 ff. ZPO) in Betracht.
Besteht Streit über die Wirksamkeit eines Vergleichs, so wird regelmäßig dann, wenn es um die Anfechtung oder Rechtsunwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB geht, der alte Prozess fortgeführt. Geht es um einen Rücktritt, soll nach Auffassung der Zivilgerichtsbarkeit (BGHZ 41, 310) dies in einem neuen Verfahren geklärt werden. Im Arbeitsgerichtsverfahren gilt dies nicht, sondern die Wirksamkeit wird insgesamt im alten Verfahren fortgesetzt (BAG, Urt. v. 05.08.1982 – 2 AZR 199/80, NJW 1983, 2212 = NDR 1983, 698). Dies ist durch die Besonderheiten des arbeitsrechtlichen Verfahrens bedingt und im Arbeitsrecht unstrittig.
Das LAG Berlin-Brandenburg stellt heraus, dass das Arbeitsgericht nicht einen Vergleich anträgt und niemals Partei wird, so dass eine Fristsetzung nach § 148 BGB durch das Arbeitsgericht in der Aufforderung zur Stellungnahme auf den Vergleichsvorschlag nicht vorgelegen hat. Das Gericht ist nicht Antragender des Vergleichs, sondern vermittelt diesen bloß. Aufgabe des Gerichtes sei es festzustellen, ob beide Parteien mit ihrer jeweiligen Annahme übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben hätten. Durch diese komme der Vergleich gem. § 151 Satz 1 BGB zustande, ohne dass die Erklärungen der jeweils anderen Parteien zugehen müssten. Diese Erklärungen seien nicht empfangsbedürftig nach § 130 Abs. 3 BGB, auch wenn diese durch einen Schriftsatz dem Gericht gegenüber erfolgen müssten. Es verhalte sich wie bei einer Auflassung, die gem. § 925 Satz 1 BGB (nur) vor einer zuständigen Stelle erklärt werden müsse (Rz. 28 des Urteils).
Bei der Fristsetzung durch das Gericht handele es sich lediglich um eine den Ablauf des Verfahrens sichernde Frist, bei der nach dem fruchtlosen Ablauf vorbereitende Maßnahmen oder im Falle eines Verkündungstermins eine Nachberatung durchgeführt und bei Entscheidungsreife ein zu verkündendes Urteil gem. §§ 60 Abs. 4 Satz 2, 69 Abs. 1 Satz 2 ArbGG abgesetzt werden könne. Deshalb sei es zulässig, einer Partei noch eine Nachfrist durch das Gericht einzuräumen.
Nach meiner Ansicht handelt es sich um eine sachgerechte und zutreffende Bewertung der prozessualen Situation durch das LAG. Es hat bezüglich der Frage, bis wann ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag annahmefähig ist, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) zugelassen.
Da das ehemalige Verfahren in Situationen wie diesen fortgesetzt wird, sind die bisherigen Anträge weiterzuverfolgen. Der Gegner (also die Partei, die den gerichtlichen Vergleich für wirksam erachtet) stellt daneben einen Feststellungsantrag mit dem Ziel der Feststellung, dass das Verfahren beendet worden ist. Ihr bisheriger Antrag (Klageantrag oder Klageabweisungsantrag) wird dann Hilfsantrag.