beA in 2022 – 6 aktuelle Entscheidungen, die Sie im Dickicht des beA-Dschungels kennen sollten
Müssen Rechtsanwält:innen Kopierkosten für vom Gericht erstellte Abschriften tragen? Sind Rechtsanwält:innen verpflichtet, einen mobilen Hotspot einzurichten? Welche Anforderungen sind an eine Glaubhaftmachung einer technischen Störung oder an eine wirksame Ausgangskontrolle oder an eine einfache Signatur bei Einzelanwält:innnen zu stellen?
… beA, beA, beA!
Die gerichtlichen Entscheidungen rund um den elektronischen Rechtsverkehr und das beA reißen nicht ab; im Gegenteil: sie häufen sich weiter und weiter. Bereits vor einigen Monaten habe ich eine zweiteilige Blog-Reihe zu dem Thema „BeA in 2022: Neue Entscheidungen“ veröffentlicht (Link am Ende des Artikels).
Im Folgenden stelle ich Ihnen fünf weitere Entscheidungen kurz und knapp anhand von Leitsätzen vor; eine Entscheidung des BAG zu den Anforderungen an eine einfache elektronischer Signatur bespreche ich ausführlich. Und… here we go:
– OVG Münster, Beschluss vom 14.04.2022 – 1 B 1861/21 –
Fertigt das Gericht von einem als elektronisches Dokument bei Gericht eingereichten Schriftsatz für andere Verfahrensbeteiligte Abschriften in Papierform an, dürfen die Kopierkosten nicht der einreichenden Partei auferlegt werden (gem. Nr. 9000 Nr. 1 Buchst. b der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG – „Dokumentenpauschale“).
– OVG Münster, Beschluss vom 06.07.2022– 16 B 413/22 –
- Eine fünf Wochen andauernde Internetstörung ist keine vorübergehende technische Störung i. S. d. § 130d ZPO bzw. § 55d VwGO.
- Bei lang andauernden Störungen sind Rechtsanwält:innen verpflichtet, auf eine schnelle Behebung der Störung hinzuwirken oder sich einen mobilen Hotspot zu beschaffen.
- Wollen Rechtsanwält:innen nach § 130d ZPO bzw. § 55d VwGO glaubhaft machen, dass eine elektronische Einreichung vorübergehend unmöglich war, müssen sie auch darlegen, welche Bemühungen sie unternommen haben.
– OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.06.2022 – 1 LA 1/22 –
- Allein die Formulierung, es sei „dem Unterzeichner derzeit nicht möglich, einen Schriftsatz per beA an das Gericht zu senden“, stellt keine ausreichende Glaubhaftmachung einer technischen Störung dar.
- Eine hinreichende Glaubhaftmachung setzt diesubstantiierte Erläuterung des technischen Grundes voraus.
– OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.09.2022 – 19 B 970/22–
Eine technische Störung ist ausreichend nach § 130d ZPO bzw. § 55d VwGO glaubhaft gemacht, wenn Prüfprotokolle von drei erfolglos gebliebenen Übermittlungsversuchen an das Gericht übermittelt werden, die belegen, dass es wegen eines technischen Fehlers im Postausgang des beA-Postfachs unmöglich war, ein elektronisches Dokument zu übermitteln.
–BGH, Beschluss vom 20.09.2022 – XI ZB – 14/22 –
- Für eine wirksame Ausgangskontrolle ist stets zu überprüfen, ob ein Schriftsatz vollständig und an den richtigen Empfänger übermittelt wurde.
- Wird ein Schriftsatz über das beA versendet, erfordert die Ausgangskontrolle, die automatisch generierte elektronische Eingangsbestätigung des Gerichts (§ 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO) näher zu überprüfen.
- Nicht ausreichend ist es, die angezeigte Eingangsbestätigung lediglich daraufhin zu kontrollieren, ob als Meldetext „Request executed, dialog closed " bzw. „Auftrag ausgeführt, Dialog beendet“ und als Übermittlungsstatus „erfolgreich" angezeigt wird. Vielmehr ist anhand des zuvor vergebenen Dateinamens ebenso zu prüfen, ob der Nachricht auch tatsächlich die zu übermittelnde Datei (Schriftsatz) beigefügt war.
– BAG, Beschluss vom 25.08.2022– 2 AZN 234/22 –
Bei einem nach Briefkopf ausgewiesenen Einzelanwalt ist die Unterschrift eines Schriftsatzes ohne den Namenszug mit lediglich „Rechtsanwalt“ eine ausreichende einfache Signatur gem. § 72 Abs. 6, § 46c Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ArbGG.
Die Beklagte legte Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln ein. Die Beschwerdeeinlegung unterschrieb der Prozessbevollmächtigte der Beklagten – ein vermeintlicher Einzelanwalt – weder mit seinem Vornamen noch mit seinem Nachnamen. Der Schriftsatz endete lediglich mit einer eingescannten und nicht bzw. schwer lesbaren Unterschrift sowie dem Zusatz „Rechtsanwalt“. Das BAG hatte zu entscheiden, ob der Schriftsatz ausreichend einfach elektronisch signiert war (gem. § 72 Abs. 6, § 46c Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ArbGG, i.V. m. Art. 3 Nr. 10 VO (EU) Nr. 910/2014).
Das BAG erachtete die Signatur als ausreichend. Bei einem nach dem Briefkopf ausgewiesenen Einzelanwalt sei zur Identifizierung regelmäßig der maschinenschriftliche Abschluss des Schriftsatzes mit „Rechtsanwalt“ ausreichend. Hierdurch werde ohne weiteres erkennbar, dass der Kanzleiinhaber Urheber der schriftlichen Prozesshandlung sei und die inhaltliche Verantwortung für das betreffende Dokument übernehme. Weitere Rechtsanwält:innen seien im Briefkopf nicht aufgeführt. Darauf, ob die eingescannte Unterschrift lesbar sei, komme es daher nicht mehr an; im Gegensatz zu der Entscheidung des BSG vom 16. Februar 2022 (B 5 R 198/21 B ), so das Gericht.
Beim ersten Lesen erscheint die Argumentation des BAG überzeugend: Wer soll den Schriftsatz sonst ge- und unterschrieben haben als der ausgewiesene Einzelanwalt auf dem Briefkopf? Weitere Überlegungen ergeben jedoch, dass dies keineswegs stets der Fall sein muss. Warum die Entscheidung des BAG – zumindest mich – nicht überzeugt, lesen Sie im Folgenden:
§ 46c Abs. 3 ArbGG schreibt vor, dass ein elektronisches Dokument, das einem Gericht übermittelt wird, von der verantwortenden Person entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg, bei dem eine elektronische Signatur entbehrlich ist, eingereicht werden muss.
Welche weiteren Anforderungen an die hier vom Beklagtenvertreter gewählte Variante der Einreichung über einen sicheren Übermittlungsweg mit einfacher elektronischer Signatur gestellt werden, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/12634, S 25):
„Zudem muss die verantwortende Person, wenn sie den sicheren Übermittlungsweg […] wählt, das elektronische Dokument zum Abschluss signieren und damit zu erkennen geben, die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernehmen zu wollen. […] Zu signieren ist das Dokument, das die prozessrelevanten Erklärungen enthält, durch eine einfache Signatur nach dem Signaturgesetz. Diese kann durch Einfügen einer Wiedergabe der Unterschrift dieser Person in das Dokument angebracht werden. Letzteres entspricht den Anforderungen für die Telekopie gem. § 130 Nr. 6. Mit der Signatur des Dokuments wird dieses abgeschlossen. Zudem ist eine Signatur erforderlich, um zu dokumentieren, dass die vom sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der das elektronische Dokument verantwortenden Person identisch ist. Ist diese Identität nicht feststellbar, ist das elektronische Dokument nicht wirksam eingereicht.“
Eine einfache Signatur erfordert daher grundsätzlich, dass ein Schriftsatz mit einer (lesbaren) Unterschrift (maschinell oder eingescannt) versehen sein muss.
Nach überzeugender höchstrichterlicher Rechtsprechung kann es aber ausnahmsweise unschädlich sein, wenn der Schriftsatz keine Unterschrift enthält. Erforderlich ist in einem solchen Fall jedoch dann, dass ohne Beweisaufnahme oder Sonderwissen aufgund anderer Umstände zweifelsfrei feststeht, welcher Person der Schriftsatz zuzuordnen ist und wer die Verantwortung für ihn übernommen hat (vgl. BAG Urt. v. 25.2.2015 – 5 AZR 849/13; BSG Beschl. v. 16.2.2022 – B 5 R 198/21).
Es stellt sich also die Frage, ob alleine in dem Vortrag, ein nach Briefkopf ausgewiesener Einzelanwalt zu sein, ein solcher Umstand liegt, der einen Schriftsatz zweifelsfrei einer bestimmten Person zuordnen lässt.
Das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 06.09.2021 – 17 W 13/21) hatte einen vergleichbaren Fall zu entscheiden und folgende gewichtige Argumente, die gegen eine zweifelsfreie Zuordnung (auch bei einem Einzelanwalt) sprechen:
- Es ist bereits zweifelhaft, ob nach Briefkopf ausgewiesene Einzelanwält:innen tatsächlich kein weiteres anwaltliches Personal beschäftigt.
- Zu dieser Frage ist jedenfalls substantiierter Vortrag erforderlich. Es genügt insbesondere nicht, dass in einem Schriftsatz weder andere Rechtsanwalt:innen namentlich genannt sind noch ein Rechtsformzusatz auf eine Gesellschaft mehrerer Rechtsanwälte hinweist.
- Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass angestellte Rechtsanwält:innen oder freie Mitarbeiter:innen nicht auf dem Briefkopf genannt werden. Sei es um die Haftung solcher aus dem Rechtsschein einer Sozietät zu vermeiden oder weil Kanzleiinhaber:innen aus Gründen der Werbung allein und ohne Nennung anderer Rechtsanwälte:innen in Erscheinung treten möchten.
- Aber selbst wenn feststeht, dass keine weiteren Rechtsanwält:innen in der Kanzlei tätig sind, folgt daraus nicht hinreichend sicher, dass es nur die im Briefkopf ausgewiesene Person sein kann, die für den Schriftsatz die Verantwortung übernehmen will.
- Gerade in Fristsachen können externe Rechtsanwälte:innen unter einem fremden Briefkopf tätig sein, beispielsweise bei urlaubsbedingter Abwesenheit. Nach § 53 BRAO ist es nämlich erforderlich, eine anwaltliche Vertretung sicherzustellen, wobei diese ebenfalls das Briefpapier des/der Vertretenen benutzt.
Zu Klärung der ausgeworfenen Fragen bedarf daher in der Regel einer Beweiserhebung über die Organisation der Kanzlei und die anwaltliche Vertretungsbestellung, so auch überzeugend das OLG Karlsruhe, oder Sonderwissen. Beides würde jedoch dem Zweck des Signaturerfordernisses und der Rechtssicherheit zuwiderlaufen.
Meines Erachtens sprechen deshalb die besseren Gründe dafür, einen Schriftsatz, der lediglich mit dem Zusatz „Rechtsanwalt/Rechtsanwältin“ unterzeichnet ist, nicht zweifelsfrei der/dem im Briefkopf ausgewiesenen Einzelanwalt oder Einzelanwältin zuzuordnen.
Die Konsequenzen dieser Entscheidung des BAG für die Praxis halte ich für den überwiegenden Teil der Anwaltschaft für begrenzt. Für einige Einzelanwält:innen, die aus Tradition ohne Namenszug und lediglich mit dem Zusatz „Rechtsanwalt/Rechtsanwältin“ unterschreiben – wobei dies aus anwaltlicher Vorsicht sowie haftungsrechtlich kaum nachzuvollziehen ist –, mag diese Entscheidung ein gefundener Rettungsanker sein. Allen Einzelanwält:innen ist nichtsdestotrotz dringend zu raten, ihre Schriftsätze stets mit leserlich eingescannter Unterschrift (Vorname und Name) bzw. mit maschinell gedrucktem Namenszug zu unterschreiben.
Besser noch: Nutzen Sie die qualifizierte elektronische Signatur als „Königsweg“. Ist ein Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert, ersetzt dies vollständig eine Unterschrift. Ebenso ist es in diesem Fall egal, ob der Schriftsatz aus dem eigenen beA-Postfach (sicherer Übermittlungsweg) oder aus einem anderen beA-Postfach (z.B. einem Mitarbeitendenpostfach) heraus versendet wird.
Weitere aktuelle Entscheidungen zum Thema beA aus 2022 finden Sie in meiner zweiteiligen Seire:
sowie in diesem Online-Dossier ("Das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) im Arbeitsrecht – Umsetzungstipps und aktuelle Rechtsprechung).
Die Frage, ob ein Vergleichsvorschlag zur gerichtlichen Feststellung durch Beschluss (§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO) qualifiziert signiert sein muss, bespreche ich auf arbrb.de in folgendem Blog.
RA FAArbR Daniel Mantel