BeA in 2022: Neue Entscheidungen Teil 2: Müssen unzuständige Gericht einen Schriftsatz weiterleiten? Und: Muss auch ein beA-Schriftsatz leserlich unterschrieben werden?
Im Folgenden lesen Sie Teil 2 der Serie „BeA in 2022: Neue Entscheidungen“.
In Teil 1 dieser Serie habe ich zwei Entscheidungen des BGH besprochen. Die erste Entscheidung befasste sich mit der Frage, ob Rechtsanwält:innen verpflichtet sind, einen Schriftsatz vor Versendung auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Die zweite Entscheidung behandelte die Frage, ob Rechtsanwält:innen auch die korrekte Eintragung von Fristen durch Büropersonal kontrollieren müssen. In Teil 2 dieser Serie bespreche ich eine Entscheidung des OLG Bamberg sowie eine Entscheidung des BSG zu den im Titel genannten Themen.
– OLG Bamberg, Beschluss vom 02.05.2022 – 2 UF 16/22 –
- Unzuständige Gerichte sind nicht verpflichtet, einen falsch adressierten beA-Schriftsatz an das zuständige Gericht (elektronisch) weiterzuleiten.
- Geht ein an ein unzuständiges Gericht adressierter Schriftsatz auf dem zentralen Intermediär-Server des Bundeslandes ein, ist hierin kein Zugang bei dem zuständigen Gericht zu sehen. Dies gilt auch dann, wenn beide Gerichte im gleichen Bundesland liegen.
Der Fall spielt im Familienrecht. Der Antragsteller unterlag vor dem Familiengericht und war gewillt, die Angelegenheit nochmals durch die nächste Instanz prüfen zu lassen. Der Anwalt des Antragstellers versäumte unverschuldet die Frist zur Beschwerdeeinlegung (= statthaftes Rechtsmittel). Erwartungsgemäß beantragte er Wiedereinsetzung und holte die Beschwerdeeinlegung per qualifiziert signiertem beA-Schriftsatz nach, jedoch nicht innerhalb der dafür vorgesehenen 2-Wochen-Frist und an das unzuständige Gericht adressiert. Das unzuständige Gericht leitete den beA-Schriftsatz erst nach Ablauf der 2-Wochen-Frist elektronisch an das zuständige Gericht weiter.
Das OLG Bamberg hat den Antrag des Anwalts auf Wiedereinsetzung als unzulässig verworfen. Die Argumente des Anwalts überzeugten das Gericht nicht.
Argument 1: Fristgerechter Zugang durch Eingang auf dem Intermediär-Server
> Der Anwalt argumentierte wie folgt:
Sein Schriftsatz sei bereits fristgerecht eingegangen, da er unstreitig fristgerecht auf dem Intermediär-Server der bayerischen Justiz einging. Er verwies auf die Entscheidung des BGH (Urteil vom 04.05.2020 – X ZR 119/18), wonach ein per beA eingereichter Schriftsatz bereits dann wirksam zugehe, wenn er auf dem Empfänger-Intermediär gespeichert werden.
(Exkurs: Der Intermediär-Server ist ein von den jeweiligen Bundesländern betriebener Server, auf dem die gesendeten beA-Nachrichten eingehen/empfangen werden. Eingehende Nachrichten werden von dort aus unmittelbar an das elektronische Postfach des angegebenen Adressaten weitergeleitet).
> Das OLG folgte der Argumentation des Anwalts nicht.
Zwar besage die Rechtsprechung des BGH, es sei unerheblich, ob ein an das zuständige Gericht gesendeter und auf dem Intermediär eingegangener beA-Schriftsatz auch tatsächlich innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet/abgeholt werde. Der vorliegende Fall läge jedoch anders. Nach allgemeinen Grundsätzen bedürfe es für den Zugang von empfangsbedürftigen Erklärungen entsprechend § 130 ZPO neben dem Gelangen in den Machtbereich des Empfängers (Eingang auf dem Intermediär-Server) auch der Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen. Hieran fehle es im vorliegenden Fall. Da der Schriftsatz an das unzuständige Gericht adressiert war, sei er vom zentralen Intermediär-Server unmittelbar an das Postfach des unzuständigen Gerichts weitergeleitet worden. Für das tatsächlich zuständige Gericht war es daher unter normalen Umständen zu keinem Zeitpunkt möglich, von dem Schriftsatz Kenntnis zu nehmen.
> Das OLG argumentierte zudem weiter:
Der zentrale Intermediär-Server sei mit der für mehrere Gerichte eingerichteten gemeinsamen Briefannahmestelle vergleichbar. Bei dieser erlange gleichfalls nur dasjenige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Schriftsatz, an das dieser gerichtet sei (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2010 – IV ZB 15/09).
Argument 2: Pflicht zur Weiterleitung an das zuständige Gericht
> Der Anwalt argumentierte:
Das unzuständige Gericht sei verpflichtet gewesen, seinen Schriftsatz postalisch an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
> Dem hielt das Gericht entgegen:
Eine postalische Weiterleitung scheidet bereits deshalb aus, da diese nicht formgerecht habe erfolgen können. Ab dem 01.01.2022 seien Anwält:innen verpflichtet, Dokumente elektronisch einzureichen (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 130a Abs. 3, 130d ZPO). Dies sei bei einer postalischen Weiterleitung nicht gewahrt, sodass damit keine formwirksame Rechtsmitteleinlegung habe erreicht werden können.
> Der Anwalt argumentierte weiter:
Das unzuständige Gericht sei zumindest verpflichtet gewesen, seinen qualifiziert elektronisch signierten Schriftsatz auf elektronische Weise an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
> Auch diesem Argument folgte das Gericht nicht.
Grundlegend führte das Gericht zur Weiterleitungspflicht Folgendes aus: Gehe ein Schriftsatz so zeitig bei dem unzuständigen Gericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden könne, dürfe der Beteiligte nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim zuständigen Gericht eingehe. Geschehe dies tatsächlich nicht, so sei dem Beteiligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (std. Rspr. seit BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 – 1 BvR 166/93; BGH, Beschluss vom 27.07.2016 – XII ZB 203/15).
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen sah das Gericht keine Pflicht zur Weiterleitung. Der qualifiziert elektronisch signierte Schriftsatz des Anwalts habe zwar grundsätzlich inklusive der Signatur formwirksam weitergeleitet werden könne. Die elektronische Weiterleitung entsprach jedoch nicht dem ordentlichen Geschäftsgang des Gerichts. Eine Verfügung der elektronischen Weiterleitung sei im Geschäftsgang nur teilweise vorgesehen. Auf eine Weiterleitung „außerhalb“ des ordentlichen Geschäftsgangs bestehe hingegen kein Anspruch.
Die Lösung sieht das Gericht darin, dass aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. IV, 20 Abs. III GG) eine Pflicht zu einem gerichtlichen Hinweis folge. Stelle das Gericht fest, dass ein Zulässigkeitsmangel oder ein leicht erkennbarer Formmangel bestehe, der noch innerhalb der laufenden Frist nachgeholt werden könne, sei es verpflichtet, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.
Der Antrag des Anwalts auf Wiedereinsetzung war nicht erfolgreich.
Die Entscheidung des OLG Bamberg überzeugt und ist dogmatisch stringent.
Dass mit dem Zugang auf dem Intermediär-Server nicht automatisch auch ein Zugang beim zuständigen Gericht erfolgt, halte ich für zutreffend. Dabei stellte das Gericht auf die gängige Definition des Zugangs von Erklärungen ab, die viele Juristen:innen noch aus dem ersten Semester bekannt sein dürfte: „Eine Erklärung gilt dann als zugegangen, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist und unter gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann“. Mit dem Zugang auf dem Intermediär-Server ist die Erklärung zwar auch in den Machtbereich des zuständigen Gerichts gelangt. Aufgrund des falschen Adressaten konnte das zuständige Gericht von dem Schriftsatz unter gewöhnlichen Umständen (= unmittelbare Weiterleitung vom Intermediär-Server an das Postfach des angegebenen Adressaten) niemals Kenntnis erlangen.
Eine Weiterleitung per Post würde zwar dem üblichen Geschäftsgang entsprechen, nicht aber die durch §§ 130a Abs. 3, 130d ZPO vorgeschriebene elektronische Form wahren. Dieses Ergebnis ist alternativlos.
Für Rechtsanwält:innen ist das Ergebnis trotz dessen nicht erfreulich, denn: Das Gericht verneinte im vorliegenden Fall auch die Pflicht, den Schriftsatz mitsamt qualifizierter elektronischer Signatur an das zuständige Gericht auf elektronischem Wege weiterzuleiten. Zutreffend ist, dass eine solche Weiterleitung die elektronische Form gem. §§ 130a Abs. 3, 130d ZPO wahrt. Eine Verpflichtung zur Weiterleitung scheiterte aber daran, dass diese nicht dem ordentlichen Geschäftsgang des OLG entsprach; das OLG war IT-technisch nicht entsprechend ausgestattet. Ob unzuständige Gerichte zur Weiterleitung an das zuständige Gericht verpflichtet sind, hängt nach der soeben dargestellten Rechtsprechung also mehr oder weniger vom Zufall ab. Sind Gerichte in Bezug auf den elektronischen Rechtsverkehr bereits ausreichend ausgestattet, besteht eine Pflicht zur Weiterleitung; wenn nicht, dann nicht. Insb. vor dem Hintergrund der aktiven beA-Nutzungspflicht für Rechtsanwält:innen ab dem 01.01.2022 ein nicht optimales Ergebnis.
Aber: Trotz der misslichen Situation hinsichtlich der Pflicht zur Weiterleitung hätte der agierende Rechtsanwalt die Chance gehabt, die Angelegenheit zu retten. Immerhin hat das Gericht klar und deutlich auf die Formunwirksamkeit hingewiesen und er hätte seinen Schriftsatz noch vor Fristablauf ordnungsgemäß erneut einreichen können. Kritisch wird es also erst dann, wenn der Schriftsatz „kurz vor knapp“ eingereicht wird und ein gerichtlicher Hinweis aus Zeitgründen nicht mehr möglich ist.
„Einfach signiert ist gut, qualifiziert signiert ist besser.“ Vor dem Hintergrund dieser überzeugenden Rechtsprechung erweist es sich einmal mehr als vorteilhaft, den Schriftsatz nicht lediglich einfach elektronisch, sondern qualifiziert elektronisch zu signieren. Denn nur wenn dies der Fall ist, besteht für das unzuständige Gericht überhaupt die Möglichkeit, den Schriftsatz formgerecht elektronisch an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Ist der Schriftsatz lediglich einfach elektronisch signiert, können Rechtsanwält:innen ihn zwar über das eigene beA-Postfach (= VHN, vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis) wirksam bei Gericht einreichen. Für das unzuständige Gericht ist es aber nicht möglich, einen lediglich einfach signierten Schriftsatz formgerecht weiterzuleiten, da das Merkmal des vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises bei einer Weiterleitung nicht mehr gegeben ist.
Zudem empfiehlt es sich, insb. bei Zweifeln hinsichtlich der Gerichtszuständigkeit, bestimmende Schriftsätze möglichst frühzeitig einzureichen. Erachtet sich das Gericht als unzuständig, hat es somit ausreichend Gelegenheit, hierauf hinzuweisen.
– BSG, Beschluss vom 16.2.2022 – Az. B 5 R 198/21 B –
Ist ein beA-Schriftsatz nicht qualifiziert elektronisch signiert und enthält zugleich keinen maschinellen Namenszug, muss die eingescannte Unterschrift entzifferbar sein, um als einfache Signatur zu gelten.
„Unterschreiben Sie leserlich!“ Schriftsätze können nach §§ 130a Abs. 3, 130d ZPO entweder mit einer besonderen elektronischen Signatur eingereicht werden oder mit einer einfachen Signatur über einen sicheren Übermittlungsweg. Voraussetzung im letzten Fall ist, dass die signierende Person mit der des tatsächlichen Verwenders übereinstimmt (vgl. BAG, Beschluss vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20). Eine einfache elektronischer Signatur (vgl. Art. 3 Nr. 10 eIDAS-VO) fordert, dass der Name der/des Unterzeichnenden erkennbar ist, z. B. den gedruckten Namen unter dem Schriftsatz.
Das BSG stellt klar: Zwar könne grundsätzlich auch eine eingescannte Unterschrift als einfache Signatur anzusehen sein (vgl. BAG, Beschluss vom 05.06.2020 – 10 AZN 53/20). Das gelte aber nicht, wenn die Unterschrift nicht entzifferbar sei und damit von den Empfängern des Dokuments ohne Sonderwissen oder Beweisaufnahme keiner bestimmten Person zugeordnet werden könne.
Abhilfe schafft auch in diesem Fall die besondere elektronische Signatur. Ist diese angebracht, ist die Lesbarkeit der abgedruckten Unterschrift unerheblich.
Hier finden Sie Teil 1 der Serie: „BeA in 2022: Neue Entscheidungen“ mit den Themen:
Die Frage, ob ein Vergleichsvorschlag zur gerichtlichen Feststellung durch Beschluss (§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO) qualifiziert signiert sein muss, bespreche ich auf arbrb.de in folgendem Blog.