Beim Arbeitszeitbetrug ist auch das sog. Nachtatverhalten zu berücksichtigen
Das LAG Hamm hat entschieden, dass bereits ein einmaliger und geringfügiger Verstoß gegen die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit einen wichtigen Grund „an sich“ gem. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche fristlose Kündigung darstellen kann. Sei unklar, ob die subjektiven Voraussetzungen des Arbeitszeitbetrugs vorliegen, könne sich auch aus dem Nachtatverhalten ein endgültiger Vertrauensverlust ergeben (LAG Hamm, Urt. v. 27.1.2023 – 13 Sa 1007/22).
Der zugrunde liegende Sachverhalt
Die Klägerin ist seit dem 1.9.2013 als Raumpflegerin bei dem Beklagten beschäftigt. Die Arbeitszeit wird durch die Mitarbeiter selbst elektronisch erfasst, wobei sie auch die Pausenzeiten erfassen und es die Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur gibt.
Am 8.10.2021 erfasste die Klägerin eine Arbeitstätigkeit von 07:20 Uhr bis 11:05 Uhr. In der Zwischenzeit, gegen 08:30 Uhr, ging sie in das gegenüber dem Betrieb des Beklagten befindliche Café und traf sich dort privat zum Kaffeetrinken. Der Beklagte beobachtete sie währenddessen. Diese Zeit erfasste sie nicht im Zeiterfassungssystem als Abwesenheit.
Darauf angesprochen verleugnete die Klägerin die Anwesenheit im Café und gab an, sich im Keller des Büros aufgehalten zu haben. Dass der Beklagte die Klägerin selbst im Café beobachtet hätte, tat sie als Irrtum ab. Erst als der Beklagte auf existierende Beweisfotos hinwies, räumte die Klägerin ein, die Anwesenheit im Café nicht ordnungsgemäß erfasst zu haben.
Aufgrund der Schwerbehinderung der Klägerin beantragte der Beklagte beim Inklusionsamt am 11.10.2021 die Zustimmung zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung. Mit Bescheid vom 27.10.2021 teilte das Inklusionsamt mit, dass eine Entscheidung innerhalb der Frist nicht getroffen sei und damit die Zustimmung als erteilt gelte. Der Beklagte erklärte am gleichen Tag der Klägerin gegenüber formgerecht die außerordentliche, fristlose, hilfsweise ordentliche, fristgerechte Kündigung.
Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit der Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Die Entscheidung des Gerichts
Die Berufung der Klägerin bleibt beim LAG erfolglos. Die außerordentliche Kündigung sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis mit Zugang der Kündigungserklärung aufgelöst.
Durch den Arbeitszeitbetrug habe ein wichtiger Grund „an sich“ vorgelegen, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Wenn der Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung dem Arbeitnehmer auferlege, müsse er im Gegenzug darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer diese korrekt dokumentiere. Missbrauche der Arbeitnehmer dieses Vertrauen vorsätzlich und wissentlich, stelle dies einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Dabei käme es nicht darauf an, welche Dauer der Arbeitszeitbetrug gehabt habe. Ausschlaggebend sei der Vertrauensverlust.
Für dessen Beurteilung sei das Nachtatverhalten der Klägerin zu berücksichtigen, da diese noch auf Vorhalt des Arbeitszeitbetrugs diesen mehrfach geleugnet habe. Selbst wenn die Klägerin nur vergessen hätte, die Zeit im Café im Arbeitszeiterfassungssystem zu hinterlegen, habe sie jedenfalls dann vorsätzlich das Vertrauensverhältnis irreversibel zerstört, als sie gegenüber dem Beklagten die falsche Arbeitszeiterfassung auf Vorhalt geleugnet hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe sie mit Täuschungs- und Verschleierungsabsicht gehandelt.
Die vorzunehmende Interessenabwägung führe zu keinem anderen Ergebnis. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, da für die Klägerin ein Hinnehmen des Verhaltens erkennbar ausgeschlossen gewesen sei. Auch hier spiele ihr Nachtatverhalte eine Rolle, den Beklagten anzulügen und erst nach Erkennen der Erfolglosigkeit die Tat zuzugeben. Die zugunsten der Klägerin sprechenden Sozialdaten – 9 Jahre unbelastetes Arbeitsverhältnis, Schwerbehinderung, Lebensalter von über 60 Jahren – würden an dem Ergebnis der Interessenabwägung nichts ändern.
Was folgt daraus für die Praxis?
Im Hinblick auf die vom BAG festgestellte gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ist das Urteil für mehr Arbeitnehmer und Arbeitgeber als früher relevant, da sich mit dieser Pflicht die Anzahl der Unternehmen mit auf die Arbeitnehmer übertragener Aufzeichnungspflicht deutlich erhöhen dürfte.
Jedenfalls vorsätzliche Fehler der Arbeitnehmer bei der übertragenen Aufzeichnung von Arbeitszeiten können dabei das Vertrauensverhältnis ggf. bereits durch einen einmaligen und unerheblichen Verstoß unwiederbringlich zerstören.
Was würde ich meinem Mandanten raten?
Für Arbeitgeber empfiehlt sich in vergleichbaren Fällen, auch das Verhalten des Arbeitnehmers nach einer Falschaufzeichnung von Arbeitszeit zu analysieren sowie zu dokumentieren. Dies kann auch bei einem auf den Verstoß folgenden Gespräch erfolgen. Je nach Verlauf kann dies relevantes Nachtatverhalten für eine Tatkündigung ergeben oder die für eine Verdachtskündigung erforderliche Anhörung darstellen.