26.07.2017

Betriebsrat 4.0?

Portrait von Detlef Grimm
Detlef Grimm

Wer kennt nicht die Situation der Betriebsräte bundesweit tätiger Unternehmen, die zu Gesamt- oder Konzernbetriebssitzungen zu einem Ort im Bundesgebiet anreisen. Eine aufwendiger Reisetourismus, verbunden mit hohen Abwesenheitszeiten. Der Bundestag hat am 2.6.2017 Europäischen Betriebsräten, die auf Seeschiffen arbeiten, in § 41a Abs. 2 EBRG ermöglicht, an Sitzungen des EBR „mittels neuer Informations- und Kommunikationstechnologien“ teilzunehmen, wenn dies in der Geschäftsordnung des EBR vorgesehen ist und Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.

Sitzungen des EBR sind gem. § 27 Abs. 1 Satz 5 EBRG ebenso wie Sitzungen des Betriebsrats nach § 30 Satz 4 BetrVG nichtöffentlich. Daher ist eine fernmündliche, schriftliche, telegrafische oder auf sonstigem elektronischen Wege (E-Mail) oder per Videokonferenz erfolgte Beschlussfassung unzulässig (vgl. nur Fitting, 28. Auflage 2016, § 33, Rz. 21a, 21b). Ausnahmen von diesem Verbot werden immerhin diskutiert (vgl. Fitting, a.a.O., Rz. 21b). Beschlüsse, die trotz fehlender Wahrung der Nichtöffentlichkeit der Sitzungen gem. § 30 Satz 4 BetrVG erfolgen, sind nicht nichtig, sondern wirksam, weil die Beachtung der Nichtöffentlichkeit keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Gültigkeit eines Betriebsratsbeschlusses ist (vgl. HWK-Reichold, 7. Auflage 2016, § 33 BetrVG, Rz. 20; Fitting, a.a.O., § 33, Rz. 55).

Der DGB kritisiert die Neuregelung heftig: Selbst wenn die Nichtöffentlichkeit technisch und organisatorisch sichergestellt sei, fehle zudem das Element des persönlichen Austausches, der die Gesamtvielfalt menschlicher Kommunikation (Körpersprache, Mimik, Gestik aus persönlicher Nähe) „sinnlich wahrnehmbar“ abbilde, so Seite 5 der Stellungnahme des DGB vom 11.05.2017.

Ungeachtet der Kritik des DGB an der Einfügung dieser Norm ins EBRG sollte die Betriebsverfassung insgesamt darauf ausgerichtet werden, sich den Tatsächlichkeiten (=Realitäten) der betrieblichen Strukturen anzupassen. Unternehmen sind in einem weitaus stärkeren Maße als dies 1972 der Fall war bundesweit oder in Konzernstrukturen tätig. Dies hat nun einen Reisebedarf der Betriebsratsmitglieder zu Gesamtbetriebsrats- bzw. Konzernbetriebsratssitzungen zur Folge, der einen beträchtlichen betrieblichen Aufwand erfordert und auch im Betriebsablauf stört. Auch wenn die Tätigkeit von Mandatsträgern auf Seeschiffen noch intensiveren Besonderheiten unterlegt, sollte der Gesetzgeber daher auch für die „normale“ Betriebsratsarbeit die Möglichkeit der Durchführung von Betriebsratssitzungen per Videokonferenz ermöglichen.

Selbstverständlich müssen dabei (dies spricht § 41a Abs. 2 Ziffer 2 EBRG ausdrücklich an) Maßnahmen getroffen werden, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Das ist beispielsweise eine Verschlüsselung der Verbindung und zum anderen die Zurverfügungstellung eines nicht öffentlichen Raumes für das Betriebsratsmitglied während der Dauer der Videokonferenz.

Wenn die Beachtung der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung keine Wirksamkeit für die Gültigkeit eines Betriebsratsbeschlusses ist, können Betriebsräte m.E. diesen Weg schon jetzt – ungeachtet der formellen Rechtslage im Hinblick auf § 30 Satz 4 BetrVG – gehen. Allerdings sollte der Betriebsrat die Einzelheiten und auch die durchzuführenden Sicherheitsmaßnahmen in seiner Geschäftsordnung (§ 36 BetrVG) regeln.

PS: Der Gesetzgeber hat die Neuregelung des EBRG im Übrigen im „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur Änderung anderer Gesetzes (EM-Leistungsverbesserungsgesetz)“ versteckt präsentiert (BT-Drucksache 18/11926).

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