"Corona-Partys“ oder der Wunsch nach einer Infizierung mit dem Virus – Die arbeitsrechtlichen Folgen
Mit der Schlagzeile "Hallo, ich möchte mich anstecken" auf der Titelseite begann für die Leser der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am letzten Sonntag ein weiteres Kapitel rund um die Corona-Pandemie.
Berichtet wird von der Vernetzung zahlreicher Ungeimpfter auf dem Messengerdienst Telegram, deren einziger Wunsch es ist, mit dem Virus infiziert zu werden. Gesucht werden Kontaktpersonen, die zuverlässig eine solche Infizierung ermöglichen. Geteilt werden auch Möglichkeiten, wie eine solche Ansteckung am wirkungsvollsten erreicht werden kann. Für viele Leser stellte sich spätestens dann die Frage, ob sie das Frühstück nicht lieber verschieben sollten.
Den Arbeitsrechtler hingegen interessiert, welche arbeitsrechtlichen Folgen sich ergeben, wenn einem Arbeitgeber bekannt ist, dass sich einer seiner Arbeitnehmer auf diesem Weg infiziert hat oder aber zumindest den Versuch unternommen hat, sich auf diese Weise anzustecken. Insoweit ist zwischen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und den kündigungsrechtlichen Möglichkeiten zu unterscheiden.
Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFG) Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen. Dies gilt aber nur dann, wenn den Arbeitnehmer an seiner Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden trifft. Abgesehen davon, dass nicht jede Infizierung mit dem Virus den betroffenen Arbeitnehmer außerstande setzt, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, da zum Beispiel für ihn die Möglichkeit besteht, im Home-Office zu arbeiten, liegt bei einer festgestellten Arbeitsunfähigkeit in einem solchen Fall der klassische Fall eines Verschuldens vor. Schuldhaft handelt nach der Rechtsprechung des BAG ein Arbeitnehmer, der gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im Eigeninteresse zu erwartende Verhalten verstößt (BAG v. 30.3.1988 – 5 AZR 42/87, DB 1988, 1403; ausf. Vogelsang in HWK, 9. Aufl., § 3 EFZG Rz. 51 ff.). In Zeiten, in denen jede Infektion verhindert werden muss, um insbesondere vulnerable Personen zu schützen und eine Überlastung der Krankenhäuser zu vermeiden, besteht hieran kein Zweifel. Ein Verschulden wäre unabhängig von der Art der angestrebten Erkrankung zu bejahen, da ein solcher Arbeitnehmer gleichsam seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit provoziert hat.
Die Schwierigkeit wird für den Arbeitgeber allerdings darin bestehen, dieses Verschulden nachzuweisen. Er muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Arbeitnehmer seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit schuldhaft herbeigeführt hat. Es handelt sich hierbei um einen anspruchsvernichtenden Einwand, für den der Arbeitgeber immer die Beweislast trägt. (BAG v. 7.8.1991 – 5 AZR 410/90, DB 1991, 2488). Allerdings ist der Arbeitnehmer gehalten an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Liegen für den Arbeitgeber folglich tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass eine entsprechende provozierte Ansteckung erfolgt ist, sollte er die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigern. Eine vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hilft dem Arbeitnehmer nicht weiter. Diese hat nach der Rechtsprechung des BAG lediglich einen hohen Beweiswert hinsichtlich des Vorliegens einer Arbeitsunfähigkeit, sagt aber nichts über ein fehlendes Verschulden aus (vgl. BAG v. 8.9.2021 - 5 AZR 149/21, ArbRB 2021, 291). Trägt der Arbeitgeber dann im Entgeltfortzahlungsprozess entsprechende Tatsachen vor, die auf eine provozierte Infizierung hindeuten, und kann er diese ggf. auch beweisen, ist es Sache des Arbeitnehmers, diese zu entkräften. Letztendlich unterliegt es dann nach § 286 ZPO der Beweiswürdigung des Gerichts, ob der Beweis des Verschuldens durch den Arbeitgeber als geführt angesehen wird. Sollte sich der Arbeitgeber entschließen, die Entgeltfortzahlung zu verweigern, sollte er allerdings hiervon unbedingt die Krankenkasse des Arbeitnehmers unterrichten, damit diese nicht gegenüber dem Arbeitnehmer in Vorleistung tritt. Der Arbeitgeber würde sich ansonsten aufgrund des Anspruchsübergangs nach § 115 SGB X gleichsam mit dem "Falschen" streiten.
Weitaus interessanter sind die kündigungsrechtlichen Folgen, da das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers in dessen Freizeit erfolgte. Ein Arbeitsvertrag begründet regelmäßig nur Rechte und Pflichten während des Arbeitsverhältnisses. In der Gestaltung seines Privatlebens ist ein Arbeitnehmer daher regelmäßig frei. Vorgänge im Privatbereich kommen deshalb nur dann als Kündigungsgrund in Betracht, wenn sie das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigen. In Betracht kommt allein eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB. Ein Arbeitnehmer ist danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges, außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Dies ist bei einer vorsätzlichen Infizierung mit dem Virus ebenso der Fall wie bei dem bloßen Versuch. Kommt es zur Arbeitsunfähigkeit, ist der Bezug zum Arbeitsverhältnis offensichtlich. Selbst dann, wenn es zu keiner Arbeitsunfähigkeit und keiner Infizierung kommt, stellt allein eine entsprechende Absicht eine Gefährdung der Belegschaft dar. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass der betreffende Arbeitnehmer nach der versuchten Infizierung noch einen negativen Testnachweis erhält, obwohl ein Viruslast vorhanden ist, so dass eine Gefahr für die anderen Arbeitnehmer entsteht. Ferner verstößt der Arbeitnehmer in besonderem Maße gegen seine Rücksichtnahmepflichten. Beschäftigte sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG ArbZG verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten für ihre Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Neben diesem Gebot zum eigenen Schutz verpflichtet § 15 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG Arbeitnehmer auch dazu, für die Sicherheit und Gesundheit der Person zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind. Auch hiergegen verstößt ein Arbeitnehmer bei einer vorsätzlichen Infektion bzw. dem Versuch, eine solche Infektion zu erreichen ( ausf. zu den arbeitsrechtlichen Sanktionen bei einem Verstoß eines Arbeitnehmers gegen Corona-Schutzvorschriften Kleinebrink, NZA 2020, 1361).
Überlegenswert sind sowohl eine Tatkündigung als auch eine Verdachtskündigung.
Eine Tatkündigung liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer vorgeworfen wird, eine bestimmte schwere Pflichtverletzung, tatsächlich begangen zu haben (BAG v. 7.5.2020 - 2 AZR 678/19, ArbRB 2020, 263). Kann der Arbeitgeber beweisen, dass der Arbeitnehmer sich vorsätzlich infiziert hat oder den Versuch einer solchen Infizierung unternommen hat, wird man regelmäßig einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB annehmen können. Entscheidend für das Vorliegen eines solchen Grundes "an sich" ist, welche Gefahr sich objektiv aus dem Pflichtverstoß zu verwirklichen droht. Unerheblich ist dann, ob es tatsächlich zu einem Schaden, d.h. einer Infektion bei anderen Arbeitnehmern oder Dritten gekommen ist oder nicht (LAG Köln v. 17.3.1993 - 7 Sa 13/93, LAGE § 626 BGB Nr. 71). Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer durch ein derartiges Verhalten nicht nur seine, sondern vor allen Dingen auch die Gesundheit anderer Arbeitnehmer, mit denen er in Kontakt gekommen wäre, aufgrund der großen Ansteckungsgefahr des Virus erheblich gefährdet bzw. gefährdet hätte. Es liegt ein erheblicher Verstoß gegen die besonderen arbeitsschutzrechtlichen Rücksichtnahmepflichten des § 15 Abs. 1 ArbSchG vor. Einer vorherigen vergeblichen Abmahnung bedarf es in einem derartigen Fall aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung nicht (vgl. BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, ArbRB 2019, 100).
Von der Tatkündigung ist die Verdachtskündigung zu unterscheiden. Bei ihr kann bereits ein dringender Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung ein an sich zur außerordentlichen Kündigung oder ordentlicher Kündigung berechtigender Umstand sein (BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, MDR 2019, 1262 = ArbRB 2019, 200). Ein solcher schwerwiegender Verdacht kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht (BAG v. 5.4. 2001 - 2 AZR 217/00, DB 2001, 1941). Der Arbeitgeber muss indes alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Hierzu gehört insbesondere die Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Verdachtskündigung.
Kann der Arbeitgeber Tatsachen vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den dringenden Verdacht begründen, dass der Arbeitnehmer sich vorsätzlich mit dem Virus infiziert oder aber zumindest einen entsprechenden Versuch unternommen hat, wird man einen entsprechenden Kündigungsgrund bejahen können. Zumindest werden dann die Voraussetzungen einer fristgerechten Kündigung vorliegen. Einem Arbeitnehmer, der ein solches Verhalten zeigt, kann und muss ein Arbeitgeber nicht mehr vertrauen. In der Praxis sollten Arbeitgeber, die sich zu einem solchen Schritt entschließen, sowohl eine Tat- als auch eine Verdachtskündigung erklären und dann folgerichtig den Betriebsrat zu beiden Kündigungsarten anhören, da es sich um unterschiedliche Kündigungsgründe handelt.
Derartige Kündigungen sind erfolgversprechend. Die Rechtsprechung hat z.B. auch bei einem vorsätzlichen Anhusten eines Arbeitskollegen mit den Worten "Ich hoffe, Du bekommst Corona" eine außerordentliche fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung durch den Arbeitgeber für gerechtfertigt gehalten (LAG Düsseldorf v. 27.4.2021 - 3 Sa 646/20, NZA-RR 2021, 664).