Das ärztliches Zeugnis über ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG oder: Wie man als Krankenkasse „erfinderisch“ sein kann
Werdende Mütter dürfen nach § 3 Abs. 1 MuSchG nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist. Der Arbeitgeber hat ihnen während der gesamten Dauer eines solchen Beschäftigungsverbots, d.h. zeitlich nicht begrenzt, nach § 11 Abs. 1 MuSchG das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Ist hingegen eine Arbeitnehmerin während der Schwangerschaft arbeitsunfähig, hat ihr der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 EFZG Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall lediglich für die Dauer von sechs Wochen zu zahlen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger, zahlt die zuständige Krankenkasse sodann Krankengeld, das allerdings nach § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V lediglich 70% des erzielten Arbeitseinkommens beträgt, wobei zusätzlich ggf. die Beitragsbemessungsgrenze zu beachten ist.
Äußerst „erfindungsreich“ versucht nun die Techniker Krankenkasse (TK), eine derartige Krankengeldzahlung zu ihren Lasten während einer Schwangerschaft zu vermeiden. Sie schickt an schwangere Arbeitnehmerinnen, die arbeitsunfähig sind, ein Informationsschreiben mit folgendem Inhalt:
"Arbeitsunfähigkeit während der Schwangerschaft Guten Tag Frau…, Sie sind während ihrer Schwangerschaft erkrankt. Ich wünsche Ihnen, dass es ihn bald wieder besser geht. Damit sie in dieser Zeit finanziell abgesichert sind, zahlt Ihnen ihr Arbeitgeber grundsätzlich für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit das Gehalt weiter. Anschließend erhalten Sie von uns Krankengeld, falls die Schutzfrist da noch nicht begonnen hat. Ihr Arzt kann aber auch ein individuelles Beschäftigungsverbot aussprechen, wenn ihre Gesundheit oder die Gesundheit ihres Kindes gefährdet sein sollte. Für die Dauer des Beschäftigungsverbots zahlt ihr Arbeitgeber ihnen dann weiterhin das volle Gehalt. Sprechen Sie Ihren Arzt einfach bei ihrem nächsten Termin auf diese Möglichkeit an. Sofern er eine entsprechende Bescheinigung ausstellt, legen Sie diese am besten umgehend bei ihrem Arbeitgeber vor. Nutzen Sie gern die beiliegende Bescheinigung. Die wichtigsten Informationen zum Beschäftigungsverbot während der Schwangerschaft haben wir in unserem Beratungsblatt für sie zu zusammengefasst. Ich wünsche Ihnen alles Gute und bin gern für Sie da, wenn Sie Fragen haben."
Diese Schreiben erweckt zumindest den Eindruck, als ob ein Arzt zwischen der Bescheinigung eines Beschäftigungsverbots und der Attestierung einer Arbeitsunfähigkeit ein Wahlrecht hätte. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Bei einer Arbeitsunfähigkeit ist ein Arbeitnehmer allein aufgrund einer Krankheit gehindert, seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Beim Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG ist hingegen die Gefährdung von Mutter oder Kind die entscheidende Voraussetzung für die Befreiung von der Arbeitspflicht.
Diese Vorgehensweise einer Krankenkasse ist – gelinde gesagt – höchst zweifelhaft. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass dem Arbeitgeber das von ihm während der Dauer des Beschäftigungsverbots gezahlte Arbeitsentgelt nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG von den Krankenkassen im sogenannten U 2 - Verfahren erstattet wird. Die Mittel zur Durchführung dieses Verfahrens werden nach § 7 AAG von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern jeweils durch gesonderte Umlagen aufgebracht. Mit einer zunehmenden Zahl von Beschäftigungsverboten und den damit verbundenen Erstattungsleistungen im Rahmen des U-2-Verfahrens steigen damit zwangsläufig die Umlagen der Arbeitgeber.
Aufgrund dieser Vorgehensweise einer Krankenkasse ist der Beweiswert einer Bescheinigung, die ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG attestiert, erschüttert, wenn diese Bescheinigung im Anschluss an eine Arbeitsunfähigkeit der schwangeren Arbeitnehmerin ausgestellt wurde (vgl. ausf. Kleinebrink, Ärztliches Zeugnis über ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1MuSchG , ArbRB 2001, 120 ff.). Die Leidtragende ist dann zwar in der Regel die schwangere Arbeitnehmerin, die zumindest zunächst weder Krankengeld von der Krankenkasse noch Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber erhält; hierfür verantwortlich ist dann aber allein eine Krankenkasse, die sich mit derartigen Empfehlungsschreiben an ihre Mitglieder wendet.
Prof. Dr. jur. Wolfgang Kleinebrink, Vereinigung Bergischer Unternehmerverbände e.V. (VBU®), Wuppertal; Honorarprofessor an der Hochschule Niederrhein