24.10.2019

Einwurf in den Hausbriefkasten – wann geht die Kündigung zu?

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Axel Groeger

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten.

Im konkreten Fall hatte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos gekündigt. Das Kündigungsschreiben vom 27. Januar 2017 (Freitag) wurde am selben Tag von Mitarbeitern gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen. Die Postzustellung an dessen Wohnort ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bis gegen 11:00 Uhr vormittags beendet.

Das Landesarbeitsgericht hatte einen Zugang am 27. Januar 2017 bejaht; das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (BAG, Urt. v. 22.8.2019 - 2 AZR 111/19).

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zum Bestehen einer (gewandelten) Verkehrsanschauung in Bezug auf den Leerungszeitpunkt von Hausbriefkästen hielten auch einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen „Normalarbeitszeiten während der Tagesstunden“ eines „erheblichen Teils der Bevölkerung“ ließen für sich allein keinen Rückschluss auf eine Verkehrsanschauung betreffend die Gepflogenheiten des Verkehrs hinsichtlich der Leerung eines Hausbriefkastens am Wohnort des Klägers zu. Das Landesarbeitsgericht habe nicht begründet, warum die Lebensumstände der in einem „Normalarbeitszeitverhältnis“ tätigen Minderheit der Bevölkerung die Verkehrsauffassung betreffend die Leerung von Hausbriefkästen der Gesamtbevölkerung bestimmen sollen. Auch nach den vom Landesarbeitsgericht verwendeten Zahlen handele es sich bei der erwerbstätigen Bevölkerung selbst unter Einschluss von Teilzeitarbeitsverhältnissen uÄ um eine - wenn auch große - Minderheit der Bevölkerung (in Deutschland). Das Landesarbeitsgericht habe zudem ausgeblendet, dass nicht alle Erwerbstätigen in Singlehaushalten leben, sondern die Leerung des Hausbriefkastens auch durch andere Mitbewohner erfolgen kann, die nicht oder zu anderen Zeiten arbeiten, und danach möglicherweise keine erneute Leerung des Hausbriefkastens mehr stattfindet. Soweit das Landesarbeitsgericht den Zeitpunkt der Leerung des Hausbriefkastens nach der Verkehrsanschauung auf 17:00 Uhr festlegt habe, handele es sich um einen willkürlich gesetzten Zeitpunkt. Indem das Berufungsgericht gemeint hat, dieser Zeitpunkt sei „angemessen“, habe es im weitesten Sinn auf Verhältnismäßigkeitserwägungen abgestellt, die jedoch ungeeignet wären, eine Verkehrsanschauung zu begründen. Gleiches gelte für die vom Landesarbeitsgericht angesprochenen Aspekte der „Rechtssicherheit“ und der „Begrenzung der Belastungen des Erklärungsempfängers“, die in § 130 Abs. 1 BGB nicht angesprochen würden.

Das Landesarbeitsgericht kann zur Bestimmung des Zugangszeitpunkts jedoch auch eine (gewandelte) Verkehrsanschauung feststellen, die beispielsweise aufgrund geänderter Lebensumstände eine spätere Leerung des Hausbriefkastens - etwa mehrere Stunden nach dem Einwurf oder bezogen auf eine „feste“ Uhrzeit am Tag - zum Gegenstand hat. Die Frage nach einer Verkehrsanschauung kann regional unterschiedlich zu beurteilen sein und die Antwort kann sich im Lauf der Jahre ändern. Die Fortdauer des Bestehens oder Nichtbestehens einer Verkehrsanschauung wird nicht vermutet. Zu den tatsächlichen Grundlagen einer gewandelten Verkehrsanschauung muss das Landesarbeitsgericht jedoch Feststellungen treffen.

RA FAArbR Axel Groeger, Bonn www.redeker.de

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