Erst die Arbeit, dann der Fußball – Arbeitsrechtliche „gelbe“ und „rote“ Karten während der Fußball-WM
In wenigen Wochen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. Entgegen den Wünschen mancher interessierter Arbeitnehmer bestehen während dieser Zeit die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen weiter. Verstößt ein Arbeitnehmer gegen sie, drohen ihm arbeitsrechtliche Sanktionen.
Bleibt ein Arbeitnehmer unberechtigt, z.B. der Nachtschicht, fern oder verlässt er seinen Arbeitsplatz vorzeitig, um eines der in der Zeit von 18.00 Uhr bis 24.00 Uhr (MEZ) im Fernsehen übertragenen Spiele „seiner“ Nationalmannschaft anzusehen, berechtigt dies den Arbeitgeber, ihm eine Abmahnung als „Gelbe Karte“ zu erteilen. Bleibt der Arbeitnehmer trotz Zugangs der Abmahnung bei ihm bei einem der nächsten Spiele wiederum der Arbeit fern, ohne hierzu berechtigt zu sein, kann der Arbeitgeber ihm kündigen. Er bekommt dann die „Rote Karte“.
Ähnlich sind die Folgen für Arbeitnehmer, wenn sie nach einem Spieltag verschlafen und deshalb zu spät zur Arbeit kommen. Auch in diesem Fall liegt ein Arbeitszeitverstoß vor, der den Arbeitgeber zur Abmahnung und im Wiederholungsfall zur Kündigung berechtigt. Arbeitnehmer können sich in einem solchen Fall auch nicht erfolgreich darauf berufen, sie hätten ihren Wecker nicht gehört. Eine Abmahnung setzt hinsichtlich der darin vorgeworfenen Pflichtverletzung gerade kein Verschulden voraus (BAG v. 30.5.1996 - 6 AZR 537/95); dies ist regelmäßig allein für die spätere Kündigung Voraussetzung (BAG v. 2.2.2006 - 2 AZR 222/05). Dann allerdings ist der Arbeitnehmer durch die vorherige Abmahnung bereits gewarnt, für ein rechtzeitiges Aufwachen zu sorgen, so dass für eine spätere Kündigung ein Verschulden anzunehmen ist.
Hat ein Arbeitnehmer die nächtlichen Spiele zum Anlass genommen, in größerem Umfang Alkohol zu sich zu nehmen und erscheint er deshalb nachweisbar alkoholisiert zur Arbeit, sind die Folgen für ihn ebenfalls erheblich. Ist er aufgrund der Alkoholisierung nicht arbeitsfähig oder besteht zumindest die Gefahr, dass er bei der Arbeit sich oder Dritte gefährdet, ist es dem Arbeitgeber bereits nach den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften nicht zumutbar, den Arbeitnehmer zu beschäftigen (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 565/12). Der Arbeitnehmer erhält deshalb für diese „Ausfallzeiten“ kein Arbeitsentgelt. Außerdem ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeitnehmer abzumahnen. Handelt es sich bei ihm um einen Alkoholiker, sollte der Arbeitgeber ihm stattdessen anbieten, sich einer Entziehungskur zu unterziehen (ausführlich zu den Konfliktlösungsmodellen bei Alkoholismus Kleinebrink, ArbRB 2011, 353).
Schwerwiegend können die arbeitsrechtlichen Folgen auch dann sein, wenn Diskussionen zu einzelnen Spielen zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern im Betrieb ausarten. Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen sind nach ständiger Rechtsprechung des BAG grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden (BAG v. 18.9.2008 - 2 AZR 1039/06).
Anders ist die Situation hingegen, wenn sich ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit ein Spiel, z.B. im Rahmen eines Public-Viewing, anschaut und dort eine Schlägerei mit Arbeitskollegen oder Dritten beginnt. Das außerdienstliche Verhalten eines Arbeitnehmers ist grundsätzlich kündigungsrechtlich unbedeutend, da der private Lebensbereich nicht von den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen erfasst wird. Deshalb sind außerdienstliche Straftaten eines Arbeitnehmers nur ausnahmsweise geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen (BAG v. 10.9.2009 - 2 AZR 257/08). Wird ein Arbeitnehmer allerdings durch eine von ihm begonnene oder provozierte Schlägerei arbeitsunfähig, ist der Arbeitgeber berechtigt, ihm die normalerweise zustehende Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu verweigern. Ein solcher Anspruch setzt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG eine unverschuldete Arbeitsunfähigkeit voraus. Dem Arbeitnehmer muss es allerdings auch gelingen, dem Arbeitnehmer ein derartiges Verschulden nachzuweisen.
Nicht immer stehen einem Arbeitgeber derartige „harte“ Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung, wenn ein Arbeitnehmer anlässlich der Fußball-WM Pflichtverletzungen begeht. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist selbst eine Abmahnung unzulässig, wenn der Arbeitgeber „Lächerlichkeiten oder Kleinigkeiten“ rügt und damit gleichsam mit „Kanonen auf Spatzen“ schießt. Unterhalten sich Arbeitnehmer während ihrer Arbeitszeit fünf Minuten über das letzte Spiel, wäre z.B. eine daraufhin erklärte Abmahnung nicht berechtigt. Anders sähe es hingegen aus, wenn sich derartige Gespräche während der Arbeitszeit am Tag häufen. Dann würde gerade die Wiederholung die Verhältnismäßigkeit begründen und eine Abmahnung rechtfertigen. In diesem Fall müssten ausnahmsweise auch alle Pflichtverletzungen in einer Abmahnung aufgeführt werden.
Sicherheitshalber sollte für jeden Arbeitnehmer deshalb auch während der WM gelten: „Erst die Arbeit, dann der Fußball“, damit nicht der Arbeitnehmer es ist, der eine „rote“ Karte bekommt.
Professor Dr. Wolfgang Kleinebrink, Vereinigung Bergischer Unternehmerverbände e.V. (VBU®), Wuppertal