13.02.2023

Fachkräftemangel – Eine Chance für Arbeitgeber bei drohendem Annahmeverzug

Portrait von Wolfgang Kleinebrink
Wolfgang Kleinebrink

Viele Branchen leiden unter einem erheblichen Fachkräftemangel. Mittlerweile kann man allgemein bereits von einem Mangel an Arbeitskräften sprechen. Arbeitssuchende haben hervorragende Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dies kann für Arbeitgeber von Bedeutung sein, wenn Arbeitnehmer nach einem Kündigungsschutzprozess, den sie gewonnen haben, einen Anspruch auf Arbeitsentgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs gegen sie geltend machen.

Eine Kündigung birgt für Arbeitgeber erhebliche finanzielle Risiken. Obsiegt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess, besteht für sie die Gefahr, dass sie dem obsiegenden Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt, das dieser verdient hätte, wenn sein Arbeitsverhältnis nicht gekündigt worden wäre, nachzahlen müssen. Allerdings muss sich der Arbeitnehmer in einem solchen Fall nach § 11 Nr. 2 KSchG das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Ein Arbeitgeber trägt für diese Einwendung die Darlegungs- und Beweislast. Wichtig sind in diesem Zusammenhang aber die strategischen Möglichkeiten, die das LAG Berlin-Brandenburg in einer Entscheidung vom 30.9.2022 – 6 Sa 280/22 aufzeigt.

Die Arbeitgeberin hat gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB. Die Auskunft hat sich auf die Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erstrecken. Nur wenn die Arbeitgeberin von diesen Arbeitsbedingungen der Vermittlungsvorschläge Kenntnis hat, ist sie in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen, Sodann obliegt es im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war (BAG v. 27.5.2020 - 5 AZR 387/19, ArbRB 2020, 265 [Windeln]). Diese Auskunftspflicht erstreckt sich darüber hinaus auch auf Eigeninitiativen des Arbeitnehmers. Das LAG Berlin-Brandenburg hat dies allerdings offengelassen.

Indizien, die in diesem Zusammenhang für den Arbeitgeber – und damit gegen einen Annahmeverzug aufgrund böswilligen Unterlassens – sprechen, sind:

  • Der Arbeitnehmer hat keinen Kontakt mit von der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter benannten potentiellen Arbeitgebern aufgenommen.
  • Er hat bei Bewerbung, auf die er keine Reaktion der möglichen Arbeitgeber erhalten hat, nicht nachgefasst.
  • Die Anzahl eigener Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers ist gering (im entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer lediglich 103 Bewerbungen in 29 Monaten vorgenommen und damit noch nicht einmal eine Bewerbung pro Woche, obwohl er im fraglichen Zeitraum ohne Arbeit war und also im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen hätte entfalten können und müssen).
  • Die Qualität der verfassten Bewerbungen ist schlecht. Im entschiedenen Fall war den eingereichten Bewerbungsmails weder ein Stellenzeichen, eine schlagwortartige Bezeichnung der Stelle, auf die er sich der Arbeitnehmer beworben hat oder ein sonstiger Betreff zu entnehmen. Die Anrede war regelmäßig nicht individualisiert oder verkürzt.
  • Inhaltlich sind die Bewerbungen nicht an die zu besetzende Stelle und/oder den potenziellen Arbeitgeber angepasst.
  • Bewerbungen weisen Fehler auf und/oder verweisen auf nicht vorhandene Anlagen.

Sache des Arbeitnehmers ist es sodann, diese Indizien zu entkräften. An dieser Stelle spielt dann aber der herrschende Arbeitskräftemangel in der deutschen Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Es muss nämlich zulasten eines Arbeitnehmers, der Ansprüche aus Annahmeverzug nach einem obsiegenden Kündigungsschutzprozess erhebt, davon ausgegangen werden, dass er eine seiner Qualifikation entsprechende Stelle gefunden hätte, wenn er das Bewerbungsverfahren ernsthaft ordnungsgemäß betrieben hätte. Allein eine geringe Anzahl von Bewerbungen und ein unterlassenes Nachfassen bei fehlenden Reaktionen angeschriebener potenzieller Arbeitgeber spricht deshalb für ein böswilliges Unterlassen. Es muss einem Arbeitnehmer obliegen, darzulegen und zu beweisen, aus welchen Gründen er auf dem Arbeitsmarkt trotz seiner Bemühungen keine Stelle gefunden hat. Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg hat erhebliche Auswirkungen auf Vergleichsverhandlungen vor den Arbeitsgerichten. Arbeitnehmer müssen nämlich befürchten, trotz eines Obsiegens bei fehlender Vergleichsbereitschaft kein Arbeitsentgelt für die Zeit der unterbliebenen Arbeitsleistung vom Arbeitgeber zu erhalten. Arbeitgeber - und Arbeitnehmer - sollten dies in ihren strategischen Überlegungen bei Vergleichsverhandlungen einfließen lassen.

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