Fallen bei der Vertretungsbefristung
Nach dem Urteil des BAG vom 18.7.2012 (Az. 7 AZR 443/09), das sich mit der Rechtsmissbrauchskontrolle bei einer wiederholten und langjährigen Vertretungsbefristung im öffentlichen Dienst - auf Geschäftsstellen der ordentlichen Gerichtsbarkeit - befasst hatte, sind eine Reihe von Folgefragen aufgetaucht. Das LAG Hamm hat sich in einem Urteil vom 14.02.2013 (Az. 11 Sa 1168/12) mit der Frage beschäftigt, ob die Voraussetzungen einer Vertretungsbefristung nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG auch vorliegen, wenn die Wochenstundenzahl des Vertreters über der des zu Vertretenen liegt und wann ein institutioneller Rechtsmissbrauchvorliegt. Die Vertreterin war mehr als 9 Jahre ununterbrochen aufgrund von 12 Arbeitsverträgen befristet bei dem beklagten öffentlichen Arbeitgeber als Dipl.-Sozialarbeiterin im Justizvollzug mit zuletzt 23 Stunden 55 Minuten wöchentlicher Arbeitszeit beschäftigt worden.
1. Die Vertretungsbefristung setzt einen Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des vertretenen Arbeitnehmers und der Einstellung des Vertreters voraus. Nach der Rechtsprechung des BAG (BAG v. 10.12.2012 – 7 AZR 462/11; HWK-Schmalenberg, 5. Auflage 2012, § 14 TzBfG, Rz. 27) muss im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses entweder zeitlich bestimmbar oder zumindest absehbar sein, dass der Bedarf für die Beschäftigung des Vertreters auf die Abwesenheit des zeitweilig ausgefallenen Arbeitnehmers zurückzuführen ist. Ist der vertretene Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt, rechtfertigt der Sachgrund der Vertretung nicht die Befristung des Arbeitsvertrages einer vollzeitbeschäftigten Vertretungskraft (BAG v. 4.6.2003, 7 AZR 532/02, DB 2003, 2340; HWK-Schmalenberg, a.a.O. Rz. 34).
Hier hatte die mit 23,55 Stunden beschäftigte Vertreterin die 30%ige Arbeitszeitverkürzung eines zuvor in Vollzeit tätigen Beamten und die vierstündige Arbeitszeitreduzierung einer anderen Mitarbeiterin auszugleichen gehabt, woraus sich ohne weiteres ihre längere Arbeitszeit im Verhältnis zu derjenigen der vertretenen Arbeitnehmer ergibt. Deshalb kann die Kausalität zwischen dem Vertretungsbedarf und der vereinbarten befristeten Beschäftigung aus Sicht des LAG Hamm nicht bejaht werden. Zu Recht stellt das LAG in der Wertung heraus, dass auch der Wunsch des Vertreters, möglichst viel tätig zu werden (Stundenvolumen 50% einer Vollzeitstelle zzgl. 4 Stunden) nicht als Wertungselement zu berücksichtigen ist. Das legitimiere nicht die befristete Übertragung von Stunden, die nicht aus einem nur befristeten Bedarf resultierten, sondern offenbar einen Dauerbedarf zusätzlicher Natur abdecken sollten. Der reklamierte Befristungsgrund – so das LAG deutlich – erweise sich schon deshalb als vorgeschoben und vermöge die Befristung nicht zu rechtfertigen (Rz. 122 der Entscheidung).
Man kann der Betriebspraxis nur raten, die Arbeitszeiten von vertretenem Arbeitnehmer und befristet eingestelltem Vertreter kongruent auszugestalten.
2. Das BAG hatte sich mit der Frage des institutionellen Rechtsmissbrauchs bei der Vertretungsbeschäftigung in seiner Entscheidung, vom 18.7.2012 – 7 AZR 443/09 (Kücük) beschäftigt. Dort hatte das BAG in einer Gesamtdauer der Befristung von mehr 11 Jahren und bei 13 Befristungen in diesem Zeitraum ein Indiz für die rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Instituts der Vertretungsbefristung gesehen. Nach den Umständen des Einzelfalles könne das Indiz wiederlegt werden, wofür nicht viel sprach, was das LAG Köln als Vorinstanz noch aufzuklären hatte. In dem vom LAG Hamm nun entschiedenen Fall war die klagende Dipl.-Sozialarbeiterin über einen Zeitraum von durchgängig 9 Jahren und 1 Monat und auf der Grundlage von 12 verlängerten befristeten Arbeitsverträgen tätig gewesen.
Ein klares Stufensystem in Bezug auf die Befristungsdauer und die maximale Zahl der befristeten Vertretungsverträge hat sich noch nicht entwickeln können. Das LAG Hamm bejaht hier den institutionellen Rechtsmissbrauch, wenn der Arbeitnehmer-Vertreter hier über mehr als 9 Jahre ununterbrochen aufgrund von 12 Arbeitsverträgen bei ein und demselben Arbeitgeber beschäftigt wird.
Das LAG Rheinland-Pfalz hatte in einem Urteil vom 11.1.2013 (9 Sa 366/12) den institutionellen Rechtsmissbrauch bei einer Beschäftigung von 9 Jahren und 5 Monaten und bei insgesamt 17 befristeten Verträgen angenommen. Eine andere Kammer hatte - im Anwendungsbereich des § 33 Abs. 3 TV-PA - bereits bei 8 Verlängerungen und eine Gesamtdauer der Befristungen von 5,5 Jahren Rechtsmissbrauch angenommen (LAG Mainz v. 24.1.2013 – 11 Sa 344/12). Einen Rechtsmissbrauch abgelehnt hatten das LAG Kiel (v. 19.12.2012 – 6 Sa 62/12) bei einer Gesamtdauer der befristeten Verträge von 6 Jahren und 11 Monaten sowie das LAG Nürnberg (v. 11.7.2012 – 4 Sa 82/12) bei 3 befristeten Verträgen und einer Gesamtdauer von 11 Jahren und 4 Monaten. Das LAG Mainz hatte bei 4 befristeten Arbeitsverträgen und einer Gesamtdauer von 6 Jahren und 7 Monaten ebenfalls keinen Rechtsmissbrauch angenommen (v. 13.12.2012 – 10 Sa 359/12).
Interessant ist dazu der Argumentationsansatz des LAG Hamm im Urteil unter I.3.d) der Gründe (Rz. 131). Das LAG stellt darauf ab, dass die Dauer der Befristungen von 9 Jahren und knapp einem Monat das Vierfache des Zweijahreszeitraums des für die sachgrundlose Befristung geltenden § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG übersteigt und innerhalb der Befristungskette 12 Verlängerungen vereinbart worden waren. Dies sei ebenfalls das Vierfache der in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG vorgesehenen Anzahl von drei Verlängerungen. Daraus ergebe sich, dass die Grenzen des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG kumulativ hinsichtlich Gesamtdauer und Anzahl der Verlängerungen in „besonders gravierendem Ausmaß“ bei gleicher Tätigkeit überschritten sei. Dies indiziere die missbräuchliche Ausnutzung der Sachgrundbefristung. Diesen Indizien habe das beklagte Land NRW keine konkreten Tatumstände entgegengesetzt, die den Missbrauch ausräumen würden.
3. Man darf gespannt sein, was das BAG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde (Az. 7 AZN 362/13) zu der aus meiner Sicht überzeugenden Argumentation des LAG sagen wird. In einem Urteil vom 13.2.2013 (7 AZR 225/11) hat es für den Fall der Elternzeitvertretung im Schuldienst mit einer Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverhältnissen von etwas mehr als 6,5 Jahren und 13 zum Teil nur für kurze Zeit befristeten Verträgen eine Missbrauchskontrolle als veranlasst angesehen und die Sache an das LAG Köln zurückverwiesen, damit es diese durchführen kann und das Land NRW als Arbeitgeber Gelegenheit zum Vortrag entkräftender Umstände erhält.
Mehr zum Thema: Bonanni/Schmidt, Kettenbefristung von Arbeitsverträgen und Missbrauchskontrolle – Wohin geht die Reise?, in Heft 7 des Arbeits-Rechts-Beraters (erscheint am 20.7.2013).