"Gesetzentwurf" des DGB für eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
In einer Pressekonferenz haben der Deutsche Gewerkschaftsbund und die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am 6. April 2022 ihren Reformentwurf zur Betriebsverfassung vorgestellt. Abgedruckt ist dieser Entwurf auf 74 Seiten in einer Sonderausgabe der vom Deutschen Gewerkschaftsbund herausgegebenen Zeitschrift Arbeit und Recht im April.
Irritierend ist bereits die Bezeichnung "Gesetzentwurf für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz" auf dem Deckblatt der Zeitschrift. Diese Bezeichnung wird auch im Textteil benutzt. Gesetzesvorlagen werden nach Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Bundestag durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat und eben nicht durch Gewerkschaften eingebracht. Sollte durch die Formulierung als "Gesetzentwurf" eine besondere Nähe zum Bundesarbeitsministerium verdeutlicht werden, ist dies zumindest ungeschickt und dürfte auch nicht im Interesse eines Ministeriums sein.
Die Vorschläge enthalten drastische Ausweitungen von Mitbestimmungsrechten, den Wunsch einer Beeinflussung von Betriebsratsgründungen durch Gewerkschaften und die – wie bereits in der Begründung zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz – latente Unterstellung der Schikane von Betriebsräten durch Arbeitgeber. Besonders fällt auf, dass zu den Mitbestimmungstatbeständen nun auch Aufgaben gehören sollen, die weniger unternehmerisch, sondern vielmehr gesamtgesellschaftlich geprägt sind. Vollkommen unberücksichtigt bleibt die erfolgreiche und bewährte Zusammenarbeit der überwältigenden Mehrheit der Betriebspartner.
Im Einzelnen sind folgende Wünsche des DGB zu den einzelnen Bereichen hervorzuheben:
- 87 Abs. 2 Nr. 15 BetrVG DGB-Vorschlag (DGB-V) sieht ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Maßnahmen vor, die geeignet sind, dem Umwelt- und Klimaschutz zu dienen. Außerdem ist in § 28 Abs. 3 BetrVG vorgesehen, in Betrieben ab 100 Beschäftigten einen Umweltausschuss zu gründen. Bedenkt man, dass § 87 BetrVG regelmäßig auch ein Initiativrecht des Betriebsrats begründet, soll einem Betriebsrat damit ermöglicht werden, den Umwelt- und Klimaschutz des Betriebes zu gestalten. Berücksichtigt man die hiermit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten und Kosten, bedeutet dies einen erheblichen Eingriff in die Unternehmerfreiheit. Zudem wird häufig der Weg in die Einigungsstelle führen, um dort ohne vorhersehbares Ergebnis zu klären, welche Maßnahmen als geeignet einzustufen sind.
Ferner wird ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates für Maßnahmen zur Herstellung von Entgeltgleichheit in § 87 Abs. 2 Nr. 10a BetrVG DGB-V beansprucht. Bedenkt man, dass insoweit dann auch Initiativrecht besteht, zeigt sich auch hier, dass es in dem Vorschlag weniger um Betriebsinteressen, sondern vielmehr um gesamtgesellschaftliche Absichten geht. Streitigkeiten, welche Maßnahmen geeignet sind, sind auch hier vorprogrammiert.
- 92a BetrVG sieht bisher ein Vorschlagsrecht des Betriebsrats für beschäftigungssichernde und beschäftigungsfördernde Maßnahmen vor. Nach Vorstellung des DGB soll dieses Vorschlagsrecht zu einem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht ausgebaut werden. Schon bei einer teilweisen Ablehnung seiner Vorschläge soll der Betriebsrat nach § 92a Abs. 3 BetrVG DGB-V die Einigungsstelle anrufen können, die dann verbindlich entscheiden soll, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen vorgenommen werden und wir ihre Durchführung kontrolliert werden soll.
Der schwerwiegende Eingriff in die unternehmerische Freiheit setzt sich fort in dem Vorschlag, die Personalplanung ebenfalls zum erzwingbaren Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates auszubauen. Nach § 92 Abs. 1 letzter Satz BetrVG DGB-V soll die Personalplanung in Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern ebenso wie die Personalbemessung der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Eine solche Regelung dürfte kaum einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten.
Verstärkt wird das vorgenannte erzwingbare Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Rahmen der Personalplanung noch dadurch, dass es im Zusammenhang mit der Eingliederung von Menschen mit Schwerbehinderung, mit Maßnahmen zur Durchsetzung der sachlichen Gleichstellung der Geschlechter, zur Förderung der Vereinbarung von Familie und Erwerbstätigkeit und der Gleichberechtigung ausländischer Beschäftigter im Betrieb unabhängig von der Unternehmensgröße nach § 92 Abs. 3 BetrVG gelten soll.
Zudem ist ein neues erzwingbares Mitbestimmungsrecht – und damit ein generelles Initiativrecht – des Betriebsrats bei der Einführung und Durchführung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen in § 97 Abs. 2 BetrVG DGB-V vorgesehen. Außerdem sollen auch Interessenausgleichsverhandlungen dem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegen. § 112 Abs. 5 BetrVG DGB-V sieht die Zuständigkeit der Einigungsstelle mit verbindlicher Entscheidungsmöglichkeit nun auch für den Interessenausgleich vor. Auch dies bedeutet einen offenkundigen verfassungswidrigen Eingriff in die unternehmerische Freiheit.
Ferner soll dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen zum Schutz der Würde und der Persönlichkeitsrechte Einzelner in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG DGB-V eingeräumt werden. Ergänzend hierzu sieht § 87 Abs. 1 Nr. 6b BetrVG DGB-V ein solches erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen des betrieblichen Datenschutzes vor. Derartige Mitbestimmungsrechte wären nahezu grenzenlos. Insbesondere hier wird deutlich, dass Betriebsräte unternehmerische Entscheidungen treffen sollen, ohne unternehmerische Verantwortung zu tragen. "Vorbild" für derartige Überlegungen kann der heute schon geltende § 79a Satz 2 BetrVG sein, der eine Haftung des Arbeitgebers für Datenschutzverstöße des Betriebsrats vorsieht. Betriebsräte sollen haftungsfrei handeln können, die Haftung soll vielmehr den Arbeitgeber treffen, der keine Einflussmöglichkeiten hat.
Eine vermehrte Errichtung von Betriebsräten soll durch eine Veränderung des Betriebsbegriffs in § 1 Abs. 3 BetrVG DGB-V erreicht werden. Außerdem sehen § 3 und § 3a BetrVG DGB-V die Schaffung grenzüberschreitender Interessenvertretungen vor. Zudem soll der Wirtschaftsausschuss auch für Unternehmensbeschäftigte im Ausland nach § 107 Abs. 1 BetrVG zuständig sein.
- 5 Abs. 1 BetrVG DGB-V will den persönlichen Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes auch auf arbeitnehmerähnliche Personen und Leiharbeitnehmer erstrecken.
Nicht ausreichend gewahrt sieht der Entwurf die Individualrechte der Arbeitnehmer. Ihnen soll deshalb eine Stunde pro Woche als Freistellung gewährt werden, damit diese ihre Beteiligungsrechte wahrnehmen können. Neben dieser in § 81 Abs. 5 BetrVG DGB-V vorgesehenen Neuregelung soll den Beschäftigten das Recht zustehen, auch außerhalb des Betriebs zu betrieblichen Fragen Stellung zu nehmen. Dies beinhaltet § 82a BetrVG DGB-V. Gerade Letzteres widerspricht der derzeitigen Rechtslage, nach der Arbeitnehmer bei Unternehmenskritik sich regelmäßig zunächst um interne Aufklärung bemühen müssen. Ferner soll ein Aufhebungsvertrag nun von einer Beteiligung des Betriebsrats abhängig sein. Dieser soll nämlich unwirksam sein, wenn der Betriebsrat vor dessen Abschluss nicht unterrichtet und der Beschäftigte nicht auf das Recht zur Hinzuziehung eines Mitglieds des Betriebsrats hingewiesen wurde. Dies soll nach § 102 Abs. 8 BetrVG DGB-V gelten.
Der Vorschlag enthält eine Vielzahl weiterer Regelungen, die in die unternehmerische Freiheit eingreifen und erhebliche zeitliche Verzögerungen und erhebliche Kosten verursachen. Besonders sticht hierbei die Idee hervor, bei der Bemessung des Arbeitsentgelts, das ein Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat erhält, auch die bei der Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbene Qualifikationen und Erfahrungen wie auch die auf Dauer wahrgenommenen Aufgaben nach § 37 Abs. 4 BetrVG DGB-V zu berücksichtigen. Wie soll dies ermittelt werden und wie steht dies im Einklang mit dem Betriebsratsamt als Ehrenamt?
Der Koalitionsvertrag sieht in den Randziffern 2341 bis 2350 zwar vor, dass die Mitbestimmung weiterentwickelt werden soll. Dies wird aber beschränkt auf bestimmte einzelne Punkte. Die Vorschläge des DGB weisen in eine falsche Richtung. Notwendig ist eine Entschlackung der Betriebsverfassung, eine Beschleunigung der Prozesse und eine Anpassung des Gesetzes an die Digitalisierung. Die Überlegungen des DGB hingegen verstehen unter einer modernen Betriebsverfassung keine schnelle Betriebsverfassung, sondern ein Mehr, ein Teurer und ein Länger. Ein Eingriff in die Substanz der Eigentumsrechte, der an vielen Stellen des Vorschlags enthalten ist, beinhaltet nicht eine Stärkung der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat.
Bemerkenswert ist außerdem der Zeitpunkt der Vorlage des Vorschlages. In der schwersten Krise der Bundesrepublik nach 1949, die für die Unternehmen in Deutschland einschneidende Auswirkungen haben wird, meint der DGB, ein solches Paket mit den genannten Auswirkungen vorlegen zu können. Hilfreich ist auch einmal ein Blick auf das Vorhaben aus Sicht von möglichen Unternehmensgründern. Derartige Eingriffe in die Unternehmensfreiheit stärken nicht die Bereitschaft, Geld zu investieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Der vom DGB immer wieder verwendete Begriff der "Guten Arbeit" kann deshalb dazu führen, dass weniger Risikobereitschaft besteht, überhaupt Unternehmen zu gründen. Arbeitgeber sind aber die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt Arbeit gibt.