Gibt es einen Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats aus § 30 Abs. 1 EBRG?
Seit längerem wird diskutiert, ob es einen Unterlassungsanspruch des Europäischen Betriebsrats gibt, wenn dessen Unterrichtungs- und Anhörungsrechte (kraft Gesetzes nach §§ 29 - 31 EBRG) verletzt werden. Nachdem 2011 das LAG Köln (v. 8.9.2011 - 13 Ta 267/11) einen solchen Anspruch abgelehnt hatte, liegt ein zweites Urteil eines LAG vor. Auch das LAG Baden-Württemberg lehnt in seinem Beschl. v. 12.10.2015 – 9 TaBV 2/15 einen Unterlassungsanspruch aus § 30 Abs. 1 EBRG ab.
Es ging um Folgendes: Der Kläger, der Europäische Betriebsrat (EBR) eines Konzerns, will die insgesamt 53 Konzernunternehmen verpflichten, Betriebsverlegungen, Stilllegungen oder Massenentlassungen vor ordnungsgemäß erfolgter Unterrichtung des EBR zu unterlassen. Aufgeworfen ist damit die Frage, ob einem EBR ein Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zusteht, wenn dieser ihn nicht ordnungsgemäß unterrichtet. § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 EBRG sieht für diesen Fall nur ein Bußgeld in Höhe von bis zu 15.000 € vor. Der Kläger geht davon aus, dass ein Anspruch in richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts hergeleitet werden müsse.
Das EBRG gewährt nach Auffassung des LAG allerdings auch in europarechtskonformer Auslegung keinen Anspruch eines EBR auf Unterlassung von Betriebsverlegungen, Stilllegungen und Massenentlassungen, bevor der EBR ordnungsgemäß unterrichtet wurde. Es fehle eine mit § 23 Abs. 3 BetrVG vergleichbare Vorschrift, aus der sich ggf. ein Anspruch herleiten ließe. Das EBRG sehe in § 45 EBRG bei einem Verstoß gegen die Unterrichtungspflichten lediglich ein Bußgeld vor. Ausführlich thematisiert das LAG, ob ein Anspruch in richtlinienkonformer Auslegung des EBRG hergeleitet werden kann. Nach Art. 11 RL 2009/38/EG muss die einfachrechtliche Umsetzung die Einhaltung der Ziele der RL effektiv sicherstellen. Diese Vorgabe sei durch das Bußgeld in Höhe von maximal 15.000 € ggf. nicht erfüllt, da der Betrag bei größeren Umstrukturierungen nicht ins Gewicht falle. Trotzdem sieht das LAG keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Auslegung, da in Ermangelung einer Gesetzeslücke kein Raum für eine richterliche Rechtsfortbildung bestehe. Die Einführung eines Unterlassungsanspruchs sei im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beantragt, aber abgelehnt worden. Daher überschreite die Herleitung eines entsprechenden Anspruchs die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Der Gesetzgeber habe die eindeutige Vorstellung zum Ausdruck gebracht, dass ein Unterlassungsanspruch des EBR als Reaktion auf einen Verstoß gegen Informationspflichten des Arbeitgebers nicht infrage komme.
Das Urteil bestätigt die bislang überschaubare Rechtsprechung zu der Frage, ob sich aus dem EBRG ein Unterlassungsanspruch des EBR gegen den Arbeitgeber herleiten lässt (LAG Köln, Beschl. v. 8.9.2011 – 13 Ta 267/11, BB 2012, 197; ArbG Köln, Beschl. v. 25.5.2012 – 5 BV 208/11, AiB 2012, 688). Die Argumentation des LAG, dass aufgrund der eindeutigen Positionierung des Gesetzgebers die Herleitung eines Anspruchs des EBR in richterlicher Rechtsfortbildung ausscheidet, verdient Zustimmung. Auch in der Literatur wird diese Auffassung überwiegend geteilt (vgl. Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp, EBRG, 1. Aufl. 2014, § 30 Rz. 25 mwN; HWK/Giesen, 7. Aufl. 2016, EBRG Rz. 111. Vehement anderer Ansicht DKKW/Däubler, BetrVG, 15. Aufl. 2016, Vorbem. EBRG Rz. 23; DKKW/Bachner, § 30 EBRG, Rz. 6).
Bevor endgültig von einer gesicherten Rechtslage ausgegangen werden kann, bleibt eine Entscheidung des BAG abzuwarten. Viel wird davon abhängen, ob das BAG die Frage, ob Art. 11 RL 2009/38/EG die Aufnahme eines Unterlassungsanspruchs in das nationale Recht verlangt, dem EuGH vorlegt. Würde der EuGH die Frage bejahen, wäre das BAG zu einer Herleitung eines Unterlassungsanspruchs in richterlicher Rechtsfortbildung gezwungen. Das LAG hatte eine Vorlage mangels Entscheidungserheblichkeit der Frage abgelehnt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat es aber die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Fall ist nunmehr beim BAG anhängig (BAG, 1 ABR 9/16).
RA FAArbR Dr. Detlef Grimm und Malte Göbel, Loschelder Rechtsanwälte, Köln