07.07.2014

„Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ – Webfehler im neuen RV-Anpassungsgesetz

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Wolfgang Kleinebrink

Zum 1.7.2014 ist das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung – RV-Leistungsverbesserungsgesetz – in Kraft getreten (BGBl. 2014 I, S. 787 ff.). Bereits jetzt steht fest, dass es Widersprüche und Unklarheiten aufweist, die es der Praxis schwer machen werden, es rechtssicher anzuwenden.

Arbeitnehmer, die vor dem 1.1. 1953 geboren sind und eine Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben, können nach § 236b Abs. 2 Satz 1 SGB VI mit 63 Jahren eine ungekürzte Altersrente beziehen. Für später geborene Arbeitnehmer verschiebt sich der Rentenzugang für jedes spätere Geburtsjahr nach § 236b Abs. 2 Satz 2 SGB VI um 2 Monate.

Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden u.a. nach § 51 Abs. 3 Nr. 3a SGB VI n.F. Kalendermonate mit Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung angerechnet, soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind. Dabei werden allerdings Zeiten in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt. Mit dieser Ausnahme sollte vermieden werden, dass Arbeitnehmer bereits mit 61 Jahren bzw. zwei Jahre vor dem möglichen Bezug der vorgezogenen Altersrente für langjährig Versicherte aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, nach § 147 Abs. 2 SGB III 24 Monate Arbeitslosengeld beziehen und dann die Rente beantragen. „Sollte“, denn der Gesetzgeber hat offensichtlich übersehen, dass über eine geringfügige Beschäftigung während der Dauer der Arbeitslosigkeit der Ausnahmetatbestand nicht greift und deshalb die „Rente mit 61“ möglich bleibt.

Seit dem 1.1.2013 besteht nach § 1 SGB VI auch für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer eine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Bei dieser bleibt es, wenn sie nicht nach § 6 Abs. 1b Satz 1 SGB VI freiwillig darauf verzichten. Eine solche geringfügige Beschäftigung können auch Arbeitslose ausüben. Übt der Arbeitslose eine Erwerbstätigkeit aus, mindert dies seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 155 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht, wenn die Einkünfte hieraus nach Abzug von Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und Werbungskosten 165 Euro nicht überschreiten. Nach § 155 Abs. 2 SGB III kann sich sogar ein höherer Freibetrag ergeben. Folglich kann über diesen Weg die Absicht des Gesetzgebers vereitelt werden.

Erst im letzten Moment erkannt – und dann halbherzig geregelt – hat der Gesetzgeber außerdem, dass die „Rente mit 63“ auch Auswirkungen auf laufende Altersteilzeitarbeitsverhältnisse haben kann. Entsprechende Verträge sehen regelmäßig vor, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Arbeitnehmer eine ungekürzte Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen kann. Entsprechende Regelungen enthalten teilweise auch Tarifverträge. Demnach würden bei Arbeitnehmern, die die Voraussetzungen für die „Rente mit 63“ erfüllen, eine solche vorzeitige Beendigung und damit ein Störfall eintreten. Lediglich für die Erstattung der Aufstockungsbeträge durch die Bundesagentur für Arbeit sieht § 15h AltersteilzeitG n.F. nun vor, dass der entsprechende Anspruch des Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird, wenn der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Rente mit 63 erfüllt. Nach der Gesetzesbegründung soll die Regelung ein „Signal setzen“, dass auch unabhängig von der Förderung ein Vertrauensschutz für laufende Altersteilzeitarbeitsverhältnisse gelten sollte (BT-Drs. 18/1489 vom 21.5.2014, S. 27). Teilweise konnten zwar Tarifvertragsparteien noch reagieren; in den meisten Fällen wird aber streitig werden, welche Auswirkungen die neuen gesetzlichen Regelungen auf laufende Altersteilzeitarbeitsverhältnisse haben.

Auch die neue Altersbefristung in § 41 Satz 3 SGB VI wirft vermeidbare Fragen auf. Sieht eine Vereinbarung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben. § 41 Satz 2 SGB VI fingierte nun in manchen Fällen eine Vereinbarung der Regelaltersgrenze. Fraglich ist deshalb, ob eine solche Fiktion auch als Vereinbarung im Sinne der Neuregelung gilt (ausf. zur Neuregelung der Altersbefristung Kleinebrink, DB 2014, 1490).

Entschließt sich der Gesetzgeber schon zu einer derart weitreichenden – und zu Recht umstrittenen – Änderung des Rentensystems, wäre es besonders sinnvoll gewesen, sich die notwendige Zeit zu nehmen, im Vorfeld derartige Rechtsunsicherheiten und Widersprüche auszuräumen.

Professor Dr. Wolfgang Kleinebrink, Vereinigung Bergischer Unternehmerverbände e.V. (VBU®) Wuppertal

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