18.11.2013

Ist "stets zur vollen Zufriedenheit" der Durchschnitt?

Portrait von Gerhard Schäder
Gerhard Schäder

Streitigkeiten über die Bewertung in Zeugnissen werden häufig nach der Darlegungs- und Beweislast entschieden. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist grundsätzlich ein Zeugnis mit einer durchschnittlichen Leistung zu erteilen (Bewertung: "zur vollen Zufriedenheit").  Begehrt der Arbeitnehmer eine gute oder sehr gute Bewertung, muss er dies darlegen und beweisen, erstellt der Arbeitgeber eine ausreichende oder noch schlechtere Bewertung aus, muss er dies ebenfalls darlegen und beweisen. Der zwischenzeitlich ausgeschiedene Vorsitzende des 9. Senates des BAG, Herr Düwell, hat auf zwei empirische Untersuchungen hingewiesen, aus denen sich ergibt, dass die Mehrzahl der Zeugnisse mit gut oder sehr gut bewertet werden (NZA 2011, 958), und angekündigt, dass sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dazu möglicherweise ändern wird. Die Instanzrechtsprechung hat durch ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21.03.2013 - 18 Sa 2133/12) reagiert und entsprechend festgestellt, dass ein durchschnittliches Zeugnis der Bewertung gut, also "stets zur vollen Zufriedenheit" entspricht.

Bei der Prüfung, ob der Arbeitgeber mit dem erteilten Zeugnis den Zeugnisanspruch erfüllt hat, stellt diese Rechtsprechung tatsächlich eine Revolution dar. Bei Zugrundelegung dieser Entscheidung würde sich die Darlegungs- und Beweislast um eine Note (von 3 auf 2) verschieben . Es wird daher sehr spannend, wie das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der eingelegten Revision (9 AZR 584/13) mit dieser Frage umgehen wird. Bei den Untersuchungen sind im Jahr 2010 ca. 800 und im Jahr 2011 ca. 1.000 Zeugnisse untersucht worden. Diese Ergebnisse entsprechen auch der praktischen Erfahrung, nach der die meisten Zeugnisse gut oder sehr gut sind. Deshalb erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das BAG dies auch entsprechend bestätigen wird. Seitens der Arbeitgeber wird derzeit intensiv dagegen argumentiert. Momentan kann sich jeder Arbeitnehmer auf diese aktuelle Rechtsprechung berufen; aus der Sicht des Arbeitgebers verbleibt die Argumentation, dass das BAG die Rechtsprechungänderung (jedenfalls noch) nicht vollzogen hat.

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