Kabinett beschließt Betriebsrätemodernisierungsgesetz
Kurz vor Weihnachten hatte Bundesarbeitsminister Heil überraschend den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und zur Stärkung der Betriebsräte (Betriebsrätestärkungsgesetz) vorgelegt. Nachdem das Bundeskanzleramt in der Folge verlauten ließ, dass dieser Entwurf noch erheblich "zurechtgestutzt" werden müsse, hatten viele dieses Gesetzesvorhaben bereits gedanklich abgeschrieben. Nicht weniger überraschend hat denn nun das Bundeskabinett am 1.4.2021 den "Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt" - kurz: Betriebsrätemodernisierungsgesetz - beschlossen. Getreu dem Motto "Alter Wein in neuen Schläuchen" entspricht der beschlossene Entwurf im Wesentlichen dem Entwurf des Betriebsrätestärkungsgesetzes.
Zum Hintergrund beruft sich auch der neue Referentenentwurf auf Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2019, wonach nur noch 9 % der betriebsratsfähigen Betriebe in Westdeutschland und 10 % der betriebsratsfähigen Betriebe in Ostdeutschland über einen Betriebsrat verfügen und nur noch rund 41 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Westdeutschland sowie 36 % in Ostdeutschland von Betriebsräten vertreten werden. Dies resultiere – so der Referentenentwurf – unter anderem daraus, dass in manchen Betrieben Arbeitgeber mit zum Teil drastischen Mitteln die Gründung von Betriebsräten verhinderten. In kleineren Betrieben könnten daneben die Formalien des regulären Wahlverfahrens eine Hemmschwelle darstellen, die es bei der Organisation einer Betriebsratswahl zu überwinden gelte. Vor diesem Hintergrund habe die Bundesregierung es sich zum Ziel gesetzt, die Gründung und Wahl von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern und zugleich die Fälle der Behinderungen von Betriebsratswahlen zu reduzieren. Zudem verfolge die Bundesregierung das Ziel, das Engagement der Betriebsräte im Hinblick auf die Qualifizierung zu stärken. Schließlich nehme im Rahmen der Digitalisierung das Feld der Künstlichen Intelligenz (KI) erheblich an Bedeutung zu. Die betriebliche Mitbestimmung und eine frühzeitige Einbindung der Betriebsräte stärkten das Vertrauen und die Akzeptanz der Beschäftigten bei der Einführung und der Anwendung. Die Bundesregierung beabsichtige deshalb, die Möglichkeit, externen Sachverstand im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik hinzuzuziehen, zu verbessern, die Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsräte beim Einsatz von KI zu sichern und für mehr Rechtsklarheit bei den Betriebspartnern zu sorgen.
1. Was ist konkret geplant?
Der aktualisierte Referentenentwurf des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes enthält im Wesentlichen folgende Regelungen:
- Das vereinfachte Wahlverfahren wird sowohl für die Wahl des Betriebsrats als auch für die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung ausgeweitet.
- Der besondere Kündigungsschutz für die Initiatoren einer Betriebsratswahl wird ausgeweitet.
- Die Altersgrenze für Auszubildende bei der Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung wird gestrichen.
- Das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte bei der Berufsbildung wird ausgeweitet und die Einschaltung der Einigungsstelle zur Vermittlung ermöglicht.
- Im Hinblick auf die Einbindung des Betriebsrats beim Einsatz von KI im Betrieb wird
- festgelegt, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen als erforderlich gilt, sofern der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von KI beurteilen muss,
- klargestellt, dass die Rechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen auch dann gelten, wenn der Einsatz von KI im Betrieb vorgesehen ist,
- sichergestellt, dass die Rechte des Betriebsrats bei der Festlegung von Auswahlrichtlinien zur Personalauswahl auch dann Anwendung finden, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung einer KI erstellt werden.
- Betriebsräte erhalten die Möglichkeit, unter ausschließlich selbst gesetzten Rahmenbedingungen und unter Wahrung des Vorrangs der Präsenzsitzung, Sitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz durchzuführen.
- Es wird klargestellt, dass Betriebsvereinbarungen unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur abgeschlossen werden können.
- Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat ist der Arbeitgeber der für die Verarbeitung Verantwortliche im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften, soweit die Verarbeitung durch den Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben erfolgt.
- In § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG wird ein neues Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit eingeführt. Anders als noch im Entwurf des Betriebsrätestärkungsgesetzes enthält der beschlossene Entwurf des Bundeskabinetts jedoch noch die (vermeintliche) Einschränkung, wonach die Mitbestimmung nur dann greift, wenn die mobile Arbeit "mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird".
2. Bewertung des aktualisierten Entwurfs
Der zwiespältige Eindruck aus dem ersten Referentenentwurf aus Dezember bleibt. So sind einzelne Regelungen dem Grunde nach durchaus zu begrüßen und bedeuten für die Betriebsparteien Rechtssicherheit. Dies gilt insbesondere für die klarstellenden Regelungen hinsichtlich der Rechte des Betriebsrats beim (geplanten) Einsatz von KI und der grundsätzlichen Möglichkeit, Sitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz durchzuführen sowie Betriebsvereinbarungen unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur abschließen zu können.
Andere Regelungen schießen demgegenüber – zum Teil deutlich – über das Ziel hinaus. So mag eine Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens und des besonderen Kündigungsschutzes durchaus geeignet sein, Betriebsratswahlen zu erleichtern und die Verhinderung durch den Arbeitgeber zu vermeiden. Sofern ein Arbeitgeber tatsächlich Betriebsratswahlen verhindern möchte, wird sich aber auch durch die nun beschlossenen Neuregelungen wenig ändern. Schließlich stellt die Behinderung einer Betriebsratswahl schon jetzt sogar eine Straftat dar (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), ohne dass sich entsprechende Fälle vollständig vermeiden ließen. Und ob die vermeintliche Komplexität des „normalen“ Wahlverfahrens und die vereinzelte Verhinderung von Betriebsratswahlen durch Arbeitgeber Grund für die verhältnismäßig geringe Zahl von Betriebsräten ist, darf bezweifelt werden. Stattdessen werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Realisierung der geplanten gesetzlichen Regelungen mitunter vermehrt versuchen, Betriebsratswahlen einzig und allein mit dem Ziel einzuleiten, in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes zu kommen. Dieses Phänomen lässt sich schon jetzt – insbesondere bei anstehenden Restrukturierungen – vielfach beobachten.
Auch die geplante Festlegung, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen im Hinblick auf die Einbindung des Betriebsrats beim Einsatz von KI im Betrieb als erforderlich gilt, ohne dass es noch auf eine Prüfung der Erforderlichkeit im Einzelfall ankäme, ist abzulehnen. Zwar wurde dieses Recht in dem nunmehr vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf dergestalt "begrenzt", dass es nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von KI beurteilen muss. Im Entwurf des Betriebsrätestärkungsgesetzes aus Dezember 2020 war insoweit noch pauschal auf § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verwiesen worden. Inhaltlich macht dies aber keinen Unterschied. Schließlich wirbt etwa Microsoft schon jetzt damit, dass in Teams die Inhalte von KI analysiert und ausgewertet werden. Selbst "einfache" Schreib- und Verwaltungsprogramme werden dementsprechend über kurz oder lang maßgeblich von KI - zumindest im Hintergrund - gesteuert, sodass letztlich bei nahezu jeder Implementierung bzw. Nutzung technischer Einrichtungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG die Neuregelung der automatischen Erforderlichkeit greift. Dies widerspricht jedoch dem anerkannten Grundsatz, wonach der Betriebsrat aus den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit und der Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist, zum Erwerb des notwendigen Fachwissens zunächst die innerbetrieblichen Erkenntnisquellen zu erschließen, ehe die mit Kosten verbundene Beauftragung eines Sachverständigen als erforderlich angesehen werden kann (vgl. etwa BAG v. 16.11.2005 – 7 ABR 12/05, ArbRB 2006, 169 [Braun]). Anhaltspunkte dafür, dass sich dieser Grundsatz in der Praxis nicht bewährt hat, gibt es nicht. Im Gegenteil: Insbesondere beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik einschließlich von KI fungieren sachkundige Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens vielfach als Sachverständige für beide Seiten, ohne dass die Hinzuziehung externen Sachverstands notwendig wäre.
Ob der Betriebsrat auch nach Inkrafttreten der DSGVO weiterhin Teil der verantwortlichen Stelle oder selbst Verantwortlicher im Sinne der DSGVO ist, hat das Bundesarbeitsgericht bislang ausdrücklich offengelassen (vgl. BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 51/17, ArbRB 2019, 268 [Grimm]). Mit der Einführung eines neuen § 79a BetrVG soll die Verantwortung nun – was europarechtlich grundsätzlich zulässig ist – ausdrücklich dem Arbeitgeber zugewiesen werden, soweit „der Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben personenbezogene Daten verarbeitet“. Wenngleich man über die Formulierung durchaus streiten kann, hat sich der Entwurf damit der herrschenden Auffassung in der juristischen Literatur angeschlossen. Raum für Diskussionen bieten jedoch § 79a Satz 1 und 3 BetrVG, wonach der Betriebsrat bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die Vorschriften über den Datenschutz einzuhalten hat und Arbeitgeber und Betriebsrat sich gegenseitig bei der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften unterstützen. Damit wird eine „Verantwortlichkeit light“ für den Betriebsrat geschaffen, die dem Datenschutzrecht bislang fremd ist. Zudem stellt sich die Frage, wie weit die wechselseitigen Unterstützungspflichten der Betriebsparteien reichen und was im Falle eines Verstoßes droht. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber diese vielfach geäußerten kritischen Fragen und Anmerkungen bei der Überarbeitung des Entwurfs berücksichtigt und klarere Regelungen gefunden hätte. Stattdessen überlässt er das Spielfeld - einmal mehr - den Gerichten, während Arbeitgeber die nächsten Jahre mit dieser Rechtsunsicherheit und -unklarheit leben müssen.
Abzulehnen ist schließlich die geplante Einführung eines Mitbestimmungsrechts bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit. Schließlich sind schon jetzt bei der Einführung von Homeoffice-Arbeitsplätzen oder mobiler Arbeit regelmäßig verschiedene Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu beachten, ohne dass ein weitergehender Schutz notwendig wäre. Zu nennen sind beispielhaft die Unterrichtung und Beratung nach §§ 80, 90 BetrVG, Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (etwa aufgrund der Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit), § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (Verteilung der Arbeitszeit), § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (Nutzung bestimmter Software) und § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Fragen des Gesundheitsschutzes) sowie die Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit einer Versetzung im Sinne der §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG. Zwar wurde die Mitbestimmung bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit in dem nunmehr vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf beschränkt auf mobile Arbeit, "die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird". Diese "Begrenzung" hat jedoch lediglich kosmetischen Charakter. Schließlich ist es der mobilen Arbeit in der heutigen Zeit immanent, dass diese in der Regel mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird. Trotz der öffentlichkeitswirksamen Gegenwehr von CDU und CSU erhalten Betriebsräte damit schlussendlich ein weitgehendes weiteres Mitbestimmungsrecht, welches die Einführung und Durchführung mobiler Arbeit erschwert und angesichts der vorhandenen Beteiligungsrechte auch schlicht nicht notwendig ist.
3. Fazit
Der Entwurf des Betriebsrätestärkungsgesetzes vor Weihnachten kam überraschend. Wer gehofft hatte, dass es sich hierbei nur um einen Teil des aufkommenden Bundestagswahlkampfes handelte, wurde nun mit dem beschlossenen Entwurf des Bundeskabinetts eines Besseren belehrt. Anders als es der wohlklingende Name "Betriebsrätemodernisierungsgesetz" vermuten lässt, hat der Gesetzgeber jedoch nicht die Gunst der Stunde genutzt, um das Betriebsverfassungsrecht einer echten Modernisierung zu unterziehen und damit an die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt anzupassen. Vielmehr erschöpft sich das beschlossene Gesetzesvorhaben in weiten Teilen in weiterer und - mit Blick auf die bereits bestehenden Regelungen - überflüssiger Regulierung, während wichtige und von der Praxis erhoffte Regelungen - etwa eine Fortschreibung des § 129 Abs. 2 BetrVG (Möglichkeit von Einigungsstellensitzungen via Video- und Telefonkonferenz) - fehlen.