28.03.2020

Kann das Entgeltfortzahlungsrecht zur Verlangsamung der Verbreitung von SARS-CoV-2 beitragen?

Portrait von Axel Groeger
Axel Groeger

Außergewöhnliche Umstände werfen ungewohnte oder unbequeme Fragen auf. Eine davon lautet, ob Arbeitnehmer, die an Covid-19 erkranken und deswegen arbeitsunfähig werden, Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben.

Wann bei einer Infizierung mit SARS-CoV-2 eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit vorliegt, richtet sich nach den Symptomen und ihrer Schwere und ist ärztlich zu diagnostizieren. Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf eigenem Verschulden beruht. § 3 EFZG erfordert jedoch ein „Verschulden gegen sich selbst“. Nach der Rechtsprechung des BAG handeln Arbeitnehmer nur dann in diesem Sinne schuldhaft, wenn sie in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstoßen. Das BAG hat dies oft verneint, jedoch unter bestimmten Voraussetzungen bei Unfällen bejaht, z.B. bei einem Sturz in einer Gaststätte nach übermäßigem Alkoholkonsum oder bei Verletzungen, die durch das Anlegen des Sicherheitsgurtes hätten verhindert werden können (HWK/Schliemann/Vogelsang, 8. Aufl. 2018, § 3 EFZG Rn. 58 f.). Die Darlegungs- und ggf. die Beweislast für ein Verschulden trifft den Arbeitgeber. Also ungünstige Voraussetzungen zur Bejahung der eingangs gestellten Frage.

Immerhin gesteht das BAG dem Arbeitgeber das Recht zu, soweit es ihm aufgrund fehlender eigener Kenntnis der Lebensumstände des Arbeitnehmers nicht möglich ist, die Umstände, die ein Verschulden begründen, darzulegen, sich an den Arbeitnehmer zu wenden und dessen Mitwirkung bei der Aufklärung zu verlangen. Die Pflicht des Arbeitnehmers zur Aufklärung ergibt sich aus seiner arbeitsvertraglichen Treuepflicht (so BAG vom 7.8.1991 - 5 AZR 410/90, NJW 1992, 69; HWK/Schliemann/Vogelsang, § 3 EFZG Rn. 72). Berücksichtigt man, dass die hauptsächliche Übertragung über Tröpfchen erfolgt und welchen Empfehlungen das Robert-Koch-Institut Bürgern zur Vermeidung einer Tröpfcheninfektion gibt, nämlich u.a., dass sie die Vorgaben der Behörden befolgen (der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet; es ist mindestens 1,5 Meter Abstand zu halten von anderen Menschen), eine gute Händehygiene praktizieren, sich an die Husten- und Niesregeln halten, aufs Händeschütteln verzichten, sich möglichst wenig ins Gesicht fassen, um etwaige Krankheitserreger nicht über die Schleimhäute von Augen, Nase oder Mund aufzunehmen sowie keine privaten Veranstaltungen (Geburtstagsfeiern, Spieleabende o.ä.) organisieren oder besuchen, spricht prima vista einiges dafür, dass jemand, der sich seit dem Appell der Bundesregierung vom 20. März (#WirBleibenZuhause) und mehr noch seit dem am 22. März beschlossenen öffentlichen Kontaktverbot infiziert hat, nicht konsequent an diese Vorgaben gehalten hat. Das schließt natürlich nicht aus, dass er sich bei einer zum Haushalt gehörenden Person oder einem Familienmitglied, mit dem auch engere Kontakte zulässig sind, infiziert haben kann. Jedoch wird der Arbeitgeber nach diesen Umständen fragen dürfen. Fraglich ist, ob der Arbeitgeber zunächst noch weitere Umstände behaupten muss, die für ein Verschulden des Arbeitnehmers sprechen, um dessen Aufklärungspflicht zu begründen und ob der Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer keine oder keine plausiblen Antworten gibt, nach § 273 BGB ein Zurückbehaltungsrecht ausüben kann. In letzter Konsequenz könnte gegenüber dem Arbeitgeber kein Entgeltfortzahlungsanspruch bestehen.

Wie dies die Arbeitsgerichte, die dem "shut down" gefolgt sind, dann, wenn sich die Verhältnisse wieder normalisiert haben, wohl sehen werden? Gesetzlich Versicherte hätten immerhin einen Anspruch auf Krankengeld; die Krankenkasse kann nach § 52 Abs. 1 SGB V nur bei vorsätzlicher Herbeiführung einer Erkrankung das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer dieser Krankheit versagen und zurückfordern.

RA FAArbR Axel Groeger, Bonn www.redeker.de

Zurück