Kurzer Überblick zu Online-Attesten und: LG Hamburg verbietet Online-Corona-Selbsttest-Zertifikate ohne Arztkontakt
Bereits vor kurzem wies Herr Kollege Kleinebrink in seinem Blog darauf hin, dass Online-Corona-Selbsttest-Zertifikate keinen ordnungsgemäßen Testnachweis im Sinne der 3G-Pflicht (§ 28b Abs. 1 IfSG) darstellen. Ebenfalls gibt er praktische Tipps für Arbeitsgebende und Arbeitsnehmende, wie mit diesen zweifelhaften Testnachweisen umzugehen ist - ein lesenswerter Beitrag!
Nun untersagte das Landgericht Hamburg "Dr. A." vorläufig, für die Ausstellung von Selbsttest-Zertifikaten zu werben oder diese auszustellen, sofern die ärztliche Fachperson den Test nicht vornimmt oder überwacht (LG Hamburg v. 7.12.2021 - 406 HKO 129/21).
Das Unternehmen warb auf seiner Internetseite für ein Selbsttest-Zertifikat „für freien Zugang für alle zu Restaurant, Arbeit, Bus & Bahn etc“. Die Zertifikate sollen laut Werbung überall dort einsetzbar sein, wo die 3G- oder 2G-plus-Regel gilt. In drei Schritten solle man zum Testzertifikat gelangen: Selbsttest durchführen, Fragebogen beantworten und kurz danach Testzertifikat als PDF-Datei erhalten.
Nachdem bei der Wettbewerbszentrale etliche Beschwerden und Anfragen zu diesem Angebot eingegangen waren, bestellte sie probeweise ein Testzertifikat. Das mitgeteilte Testergebnis wurde nicht kontrolliert oder angefordert. Trotzdem stellte eine Ärztin ohne Kontakt mit der Testperson das Testzertifikat für das Ergebnis eines Selbsttests aus. Sie bestätigte auf dem Zertifikat, dass die Testperson nicht mit dem Coronavirus infiziert sei, da sie einen negativen Antigen-Test gemacht habe, „unter meiner fachärztlichen Überwachung meiner Arztpraxis…“.
Das LG Hamburg folgt den Argumenten der Wettbewerbszentrale: Die Wettbewerbszentrale sah die Werbung als irreführend an. Es werde der unzutreffende Eindruck erweckt, es handele sich um ein rechtswirksames Testzertifikat, das überall dort, wo Testnachweise notwendig seien, vorgelegt werden könne. Die Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung (SchAusnahmV) sieht aber für einen gültigen Testnachweis vor, dass dieser von einem Leistungserbringer vorgenommen oder überwacht wurde. Die Ausstellung eines Testnachweises ohne jeglichen Arztkontakt entspricht diesen Vorgaben nicht. Zudem waren die Angaben auch inhaltlich unzutreffend, weil der Test entgegen den Angaben weder in einer Arztpraxis noch unter fachärztlicher Aufsicht durchgeführt wurde. Das Hamburger Unternehmen argumentierte vergebens, die gesetzlich vorgeschriebene ärztliche Überwachung sei auch mittels eines Online-Fragebogens möglich.
Quelle: Pressemitteilung der Wettbewerbszentrale Frankfurt vom 14.12.2021
Die Entscheidung des LG Hamburg verdient Zustimmung. Online-Corona-Selbsttests stellen keinen ordnungsgemäßen Testnachweis im Sinne des 28b Abs. 1 IfSG dar (so auch Kleinebrink). Dies ergibt sich aus § 2 Nr. 7c SchAusnahmV der auf die Regelungen der TestV verweist. Im Einzelnen:
Ausgangspunkt ist § 2 Nr. 7c SchAusnahmV. Dieser lautet:
„Im Sinne dieser Verordnung ist [… ] ein Testnachweis ein Nachweis hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus, […] wenn die zugrundeliegende Testung von einem Leistungserbringer nach § 6 Absatz 1 der Coronavirus-Testverordnung vorgenommen oder überwacht wurde."
§ 2 Nr. 7c SchAusnahmV verweist also auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 Coronavirus-Testverordnung (TestV), der folgendes regelt:
„Zur Erbringung der Leistungen nach § 1 Absatz 1 sind berechtigt, Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken, medizinische Labore, Rettungs- und Hilfsorganisationen, und die von den Kassenärztlichen Vereinigungen betriebenen Testzentren.“
§ 1 Abs. S. 2 Nr. 3 TestV bestimmt wiederum, welche Leistungen die in § 6 Abs. 1 Nr. 3 TestV genannten Leistungserbringer erbringen dürfen:
„Zur Diagnostik durch Antigen-Test gehören […] ein Antigen-Test zur Eigenanwendung, dessen Durchführung von einem Leistungserbringer nach § 6 vor Ort überwacht wird (überwachter Antigen-Test zur Eigenanwendung).“
Das Zusammenspiel der SchAusnahmV und der TestV ergibt somit eindeutig, dass ein "überwachter Selbsttest“ zur Erfüllung der 3G-Pflicht stets von einem Leistungserbringer vor Ort zu überwachen ist.
Die Wettbewerbszentrale ging zuvor gegen die Werbung des Unternehmens für digital ausgestellte Krankschreibungen ohne Arztkontakt vor. Diese waren ebenfalls auf Bestellung erhältlich, indem der Interessent einen Fragebogen ausfüllte, dort unter anderem seine Symptome ankreuzte und angab, für wie lange er krankgeschrieben werden wollte. Ein „Privatarzt“ stellte dann die Bescheinigung aus. Die Wettbewerbszentrale beanstandete das unter anderem als Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen.
Das Landgericht Hamburg untersagte die Werbung bereits. Das OLG Hamburg wies die Berufung des Unternehmens zurück (OLG Hamburg, Hinweisbeschluss vom 1.10.2021 und Zurückweisungsbeschluss vom 19.10.2021 - 3 U 148/20; nicht rechtskräftig). Ein solches Modell, wonach die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ohne persönlichen Kontakt zur Ärztin oder zum Arzt ausgestellt wird, entspricht nach Auffassung der Richter nicht den ärztlichen fachlichen Standards. Deshalb dürfe dafür auch nicht geworben werden. Irreführend seien auch Aussagen wie „100 % Akzeptanz bei Arbeitgebern und Krankenkassen“. Eine ordnungsgemäße Übung der Arbeitsunfähigkeit liege gerade nicht vor.
Die Entscheidung des OLG Hamburg liegt auf einer Linie mit der Entscheidung des ArbG Berlin vom 1.4.2021 (42 Ca 16289/20). Auch das ArbG Berlin vertritt die Auffassung, dass eine Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ohne Arztkontakt kein ausreichender Nachweis im Sinne des EFZG ist (mit Verweis auf BAG vom11.8.1976 – 5 AZR 422/75). Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung stehe Arbeitnehmenden deshalb nicht zu.
Zuletzt ein kleiner Exkurs in die analoge Welt der Atteste: Ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht muss eine konkrete Diagnose erhalten und darf nicht lediglich pauschal ausgestellt sein. Ist dies der Fall, entbinden solche Atteste davon, im Betrieb, bei öffentlichen Veranstaltungen oder in Schulen eine Maske tragen zu müssen (ArbG Siegburg vom 18.8.2021 – 4 Ca 2301/20; LAG Köln vom 12.4.2021 – 2 SaGa 1/21; VGH München vom 26.4.2021 – 20 CE 21.1141; OVG Münster vom 24.9.2020 – 13 B 1368/20).
Ob eine Kündigung wegen der Anordnung einer Corona-Quarantäne wirksam ist, erläutere ich auf www.arbrb.de in folgendem Blog (klick).
Zur Frage, ob Quarantäne immer auch Arbeitsunfähigkeit bedeutet und welche Folgen die fehlerhafte Beurteilung nach sich zieht, finden Sie auf www.arbrb.de einen Beitrag von Kleinebrink.